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Liedzyklus von zeitloser Aktualität

Der Bariton Andreas Schmidt hat bei hänssler Classic eine CD herausgebracht, die bereits im Jahr 2000 im damaligen Sender Freies Berlin aufgenommen wurde; inzwischen ging der traditionsreiche SFB im RBB auf, in der neuen Berlin-brandenburgischen Rundfunk-Schöpfung, und man könnte die CD wenn schon nicht zu den historischen, so doch beinahe zu den zeithistorischen Tondokumenten rechnen. Anderseits geht es um einen Liedzyklus von zeitloser Aktualität: Schuberts "Winterreise" nach Gedichten von Wilhelm Müller. In einem eigenen Text verweist Andreas Schmidt darauf, dass ihn dieses gewaltige Werk schon seit seiner Jugend begleitet. Und das will etwas heißen. Schmidt begann seinen künstlerischen Weg ja als unverkennbarer Fischer-Dieskau-Schüler; das ging bis in das Timbre seines zunächst eher lyrischen Baritons hinein. Inzwischen hat die Stimme deutlich zugelegt. Sie ist kerniger geworden, wirkt besser fokussiert, und sie lässt sich auch nicht mehr ohne weiteres auf Fischer-dieskauische Weise führen, vor allem nicht in der Höhe. Auf der Opernbühne gehören seit Jahren die schwereren Partien zum Repertoire des Sängers; in Bayreuth kennt man ihn unter anderem als einen bewegenden Amfortas.

Von Norbert Ely |
    Das alles bringt für einen Zyklus wie Schuberts "Winterreise" Vor- und Nachteile mit sich. Das kernigere Timbre macht die Tragödie des ruhelos Ziehenden stärker glaubhaft. Der Text wirkt prägnanter. Der Reichtum an Farben ist größer geworden. Aber nicht immer, vor allem nicht in den scheinbar unwichtigen Nebennoten, nimmt Schmidt seinen Bariton in die nötige Disziplin. Das schwerer gewordene Material verlangt gerade auch in den leichten Taktteilen nach veränderten technischen Mitteln, die Schmidt in seinen neuen, dramatischeren Bühnenpartien ja auch einsetzt. Vielleicht liegt’s daran, dass ihm Schuberts "Winterreise" doch zu vertraut ist und eben nicht fremd.

  • Musikbeispiel: Franz Schubert - Nr.1 'Gute Nacht’ aus: "Winterreise", D 911


    Andreas Schmidt mit Schuberts "Winterreise". Seit vielen Jahren arbeitet er mit dem Pianisten Rudolf Jansen zusammen, der ihm auch bei dieser Aufnahme ein kluger, übrigens durchaus selbstbewusster Partner war. Trotz aller soeben erwähnten Einwände: Die beiden schlagen einen großen und überzeugenden dramatischen Bogen, und die Reise wird umso fesselnder, je dunkler und kälter die Welt um den Dichter, den Komponisten und den Sänger wird.

  • Musikbeispiel: Franz Schubert - Nr.14 'Der greise Kopf’ aus: "Winterreise", D 911


    Titel: "Franz Schubert - Winterreise"
    Solisten: Andreas Schmidt, Bariton
    Rudolf Jansen, Klavier
    Label: hänssler CLASSIC
    Labelcode: LC 06047
    Bestell-Nr.: CD 98.381