Donnerstag, 28. März 2024

Lieferkette
Der lange Weg des Weihnachtsbaums

Der Weihnachtsbaum kommt nicht einfach aus dem Wald um die Ecke. Seine Reise beginnt in Baumwipfeln in Georgien. Bis die Tannen festlich geschmückt in den Wohnzimmern stehen, vergehen bis zu zwölf Jahre.

Von Tanja Kunesch und Pia Behme | 22.12.2020
    Weihnachtliche Dekoration mit Sternen hängt an einem Tannenbaum
    Der Weg vom Tannenzapfen zum festlich geschmückten Weihnachtsbaum ist lang (Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa)
    Die Nordmanntanne kann auf ein abwechslungsreiches Leben blicken: Ihr Weg beginnt in den luftigen Höhen der georgischen Wälder, führt anschließend über die Baumschule zu ihrem Enderzeuger, bis sie schließlich zur Weihnachtszeit in den Wohnzimmern landet.
    "Viele Menschen und Institutionen haben noch kuriose Vorstellungen davon, woher der Weihnachtsbaum kommt", sagt Werner Koop, Geschäftsführer des Nordmann Informationszentrums. Dabei werden die Bäume in professionellen Kulturen gezüchtet. Aber nicht jede Tanne hat das Zeug zum Weihnachtsbaum.
    Die Grafik zeigt vier Weihnachtsbäume in unterschiedlichen Größen nach Beliebheitsgrad in Deutschland. Am beliebtesten ist die Nordmanntanne mit 75 Prozent, gefolgt von Blau-Fichte mit 15 Porzent, sonstigen Fichten mit 7 Prozent und Edel-Tanne mit 3 Prozent.
    Von den jährlich ungefähr 24 Millionen verkauften Weihnachtsbäumen in Deutschland ist die Nordmanntanne mit einem Marktanteil von 75 Prozent der absolute Favorit – und das seit den 1980er-Jahren. "Zum einen hat sie sehr festsitzende Nadeln, zum anderen sind die aber so weich, dass sie einem beim Schmücken nicht die Hände zerstechen", so Koop.
    Ein Großteil der Tannen stammt nach Angaben der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald aus eigener Produktion in Deutschland, nur ein geringer Anteil wird importiert.

    Klettern in Georgien

    Die Samen kommen jedoch vor allem aus Georgien und dem Kaukasus. Dort werden die Zapfen der Nordmanntanne in luftigen Höhen von Hand gepflückt und anschließend bearbeitet, ausgesiebt und gewaschen, bis sie in Säcken verpackt in die Baumschulen nach Deutschland reisen.
    Zwar gebe es auch ein paar Samenplantagen in Deutschland, aber nachdem die Nordmanntanne ihren Ursprung in Georgien habe, wachsen dort die besten Mutterbäume, sagt Saskia Blümel vom Bundesverband der Weihnachtsbaumerzeuger: "In den ganz alten Tannen findet sich das beste Pflanzgut." Zwei bis drei große Saatguthändler haben dort Pflücklizenzen und reisen jedes Jahr im Spätsommer nach Georgien, um mit einheimischen Saisonarbeiterinnen und -arbeitern die Zapfen zu ernten.
    Karl-Heinz Moser ist einer dieser Saatguthändler. Mit seinem Betrieb Plusbaum hat er Lizenzen im südlichen und nördlichen Teil des Kaukasus. Er fliegt alleine nach Georgien und arbeitet vor Ort mit einer Partnerfirma. Pro Ernte braucht er zehn bis 15 Leute. Meist sind es die selben Helfer, die jedes Jahr diese Arbeit übernehmen. Das Pflücken ist nicht ungefährlich: Die Arbeiterinnen und Arbeiter müssen in 20 Meter hohe Bäume klettern, um an die Zapfen zu kommen. Dafür werden sie vor Ort von einem Ausbilder geschult, der ihnen auch entsprechendes Equipment aus Deutschland bringt und für die Sicherheitsstandards sorgt.
    Eine Frau schmückt einen leuchtenden Weihnachtsbaum.
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    Vier Tonnen Samenkörner

    Die Zapfen müssen grün geerntet werden, um anschließend getrocknet, aufgeschnitten und gereinigt zu werden. "In einem Kilo Zapfen sind nach der Reinigung knapp 10.000 Samenkörner", sagt Moser. Vier Tonnen in einer Saison konnte er schon ernten. Dieses Jahr sei es allerdings weniger, da der Weihnachtsbaum-Markt stark unter Druck geraten sei. Die Samen verkauft Moser hauptsächlich an Baumschulen in Deutschland, manche landen aber auch in anderen Teilen Europas.
    Moser war selbst noch nicht auf einer Nordmanntanne. Die Besteigung einer Weißtanne in Deutschland hat ihm gereicht: "Das ist nichts für mich. Ich habe da zu viel Höhenangst und bin nicht locker genug", lacht er.

    Der Weg des Tannensamens

    Der Kartenausschnitt zeigt Deutschland auf der linken Bildseite und Georgien auf der rechten. Zwischen den Ländern verläuft ein Pfeil mit der Beschriftung: "4 Tonnen Saatgut werden von Georgien nach Deutschland importiert."
    Werner Koop vom Nordmann Informationszentrum sieht die Zukunft der Samengewinnung jedoch woanders. In Dänemark gebe es ein eigenes Tannenbaum-Forschungsinstitut, das sich unter anderem mit der heimischen Züchtung des Saatguts beschäftige. "Das hat natürlich mehrere Vorteile. Wir sind unabhängig von Georgien, und die Produzenten haben die ganze Lieferkette in der Hand", erklärt Koop. Er hofft, dass Deutschland vom dänischen Wissensstand profitieren könne.

    Ab ins Verschulbeet

    Angekommen in Deutschland landen die Samen zunächst in der Baumschule und werden in einem Verschulbeet ausgestreut. Über gut drei Jahre wächst hier ein kleines Pflänzchen heran, das immer wieder umgepflanzt werden muss, um ein vernünftiges Wurzelwerk zu bilden. Einer offiziellen Statistik von 2017 zufolge gibt es in Deutschland 203 Baumschulen, die sich der Aufzucht von Weihnachtsbäumen widmen. Darin fehlen allerdings die Unternehmen, die Weihnachtsbäume als Nebengeschäft aufziehen und ansonsten hauptsächlich andere Gehölze anbauen. Dazu kommt, dass Weihnachtsbäume von Region zu Region unterschiedlich kategorisiert werden und mal zur Forstwirtschaft, mal zu Landwirtschaft gehören.
    Sind die Pflanzen etwa 20 Zentimeter groß, ziehen sie aus der Baumschule aus an ihren endgültigen Standort. Saskia Blümel erklärt: "Natürlich könnte auch der Enderzeuger die Pflanzen aufziehen, aber das ist eine ganz andere Arbeit. Die Jungpflanzen werden mühsam gehegt und gepflegt in verschiedenen Beeten und haben einen ganz anderen Bedarf als später auf der Plantage."

    Anbau in Deutschland

    In der Weihnachtsbaumkultur kann die Tanne nun in Ruhe einige Jahre wachsen. Die Erzeuger kümmern sich derweil um Pflege und Ernte. Diese eher gärtnerische, als landwirtschaftliche Tätigkeit bestehe aus viel Handarbeit, sagt Blümel. Pro Hektar fallen etwa 80 Arbeitsstunden im Jahr an. Auf einem Hektar stehen ungefähr 4.000 Bäume.
    Bis zur Ernte im durchschnittlichen Alter von acht bis zwölf Jahren erreicht der Baum eine Größe von bis zu zwei Metern. Da die Tanne in einer Dauerkultur aufwächst, in der verschiedene Größen gefällt werden und neue nachwachsen, bleibt kein abgeholztes kahles Stück Land zurück.
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    Wie viel Anbauflächen in Deutschland für die Weihnachtsbaumkulturen genutzt werden, lässt sich nicht ganz exakt sagen. In seiner letzten Agrarstrukturerhebung von 2016 verzeichnete das Statistische Bundesamt eine Anbaufläche von 16.379 Hektar. Nach Schätzungen der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald schwanke der Wert jedoch zwischen 30.000 und 50.000 Hektar. Gründe für diese hohe Dunkelziffer gibt es viele: Zum einen behandelt jedes Bundesland die Flächen anders, mal als Sonderkultur, mal als Forst- oder Landwirtschaft. Die Kulturen erhalten auch keine Subventionen der EU, was für Blümel ein weiterer Grund ist, dass es keine richtige Auflistung gibt.

    Das Sauerland ist das größte Anbaugebiet

    Koop denkt hier eher an die Organisationsstruktur. "Die meisten Weihnachtsbaumproduzenten kümmern sich eher um sich selbst. Von geschätzten 7.000 Produzenten sind nur 800 in regionalen oder vom Bundesland gesetzten Verbänden organisiert. Selbst Bundesländer und Landeskammern haben nur punktuelle Zahlen. Meiner Meinung nach kann man da keine echte Zahl bekommen." Zudem sei der Weihnachtsbaum ein Nischenprodukt, das nur einmal im Jahr für kurze Zeit eine Rolle spiele.
    Worin sich aber alle einig sind, sind die entscheidenden Flächen: Das größte Anbaugebiet liegt im Sauerland in Nordrhein-Westfalen, gefolgt von Niedersachsen, Bayern und Schleswig-Holstein.
    Insgesamt arbeiten bis zu 7.500 Leute ausschließlich in den Weihnachtsbaumkulturen. In Deutschland kommen ungefähr noch 6.000 Saisonarbeitskräfte zum Sammeln, Schlagen, Verpacken und Versenden dazu. Viele davon aus Rumänien oder Polen, sagt Koop.

    Bereit für das große Fest

    Bereits vor der Adventszeit beginnt die Auswahl der Tannen. Normen, wie ein Weihnachtsbaum auszusehen hat, gibt es nicht. "Weihnachten war schon immer ein extrem emotionales Fest. Im Grunde entscheidet das Herz, welcher Baum es wird. Oder das Kind", sagt Blümel.
    Betrachtet man die Geschäftszahlen, ist der Weihnachtsbaum weit mehr als nur ein emotionaler Faktor: Bei einem Endverbraucherpreis von 20 bis 30 Euro ergibt sich laut dem Nordmann Informationszentrum ein jährlicher Umsatz von 630 bis 650 Millionen Euro ausschließlich durch den Tannenverkauf. Verwandte Produkte wie Kerzen und Deko erhöhen den Umsatz auf 750 bis 800 Millionen Euro.

    Weihnachtsbäume in der Coronakrise

    In diesem Jahr steht auch das Geschäft mit dem Weihnachtsbaum unter dem Einfluss der Coronakrise. Es finden keine Weihnachtsmärkte statt, Hotels und Gastronomie sind als Kundschaft weggebrochen. Branchenkenner rechnen aber mit einer höheren privaten Nachfrage, weil sich die Menschen in dieser schwierigen Zeit auf traditionelle Werte besinnen und viele auch nicht in den Urlaub fahren.
    Koop schätzt, dass eine gesteigerte Nachfrage der Privatkäufer von einer halben bis zu einer Million mehr verkauften Bäumen den Ausfall der Märkte, Hotels und Gasthäuser kompensieren könne.
    Auch eine moderate Preiserhöhung, die je nach Baumgröße und Region zwischen 2,50 Euro und 4,50 Euro liege, sei den Verkaufsbeschränkungen der Pandemie geschuldet: Weniger Kunden kauften bei Großmärkten ein, und seit den Lockdown-Einschränkungen erfahren die klassischen Weihnachtsbaumhändler wieder größeren Zulauf.
    Der grafische Weihnachtsbaum ist mit Kugeln geschmückt, die Informationen beinhalten. Etwa den jährlichen Umsatz von 630 bis 650 Millionen Euro.

    Weihnachtsbäume sind CO2-neutral

    Doch der Nutzen der Tanne beschränkt sich nicht auf die feierlichen Freuden zuhause. Ein Hektar Weihnachtsbaumkultur bindet in zehn Jahren 145 Tonnen Kohlendioxid und produziert 100 Tonnen Sauerstoff, sagt die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald. Zudem könne ein junger Baum mehr CO2 aufnehmen und Sauerstoff abgeben als ein alter. Insofern ist die Bewirtschaftung dieser Flächen inklusive der regelmäßigen Rodung ein bedeutender Faktor für Blümel, was die Klimabilanz der Tannen angeht.
    Die Nordmanntanne ist sehr widerstandsfähig. Nur so kann sie den extremen Temperaturen im Kaukasus trotzen. Mit einer Pfahlwurzel, die sich ebenso lang senkrecht in die Erde bohrt, wie die Tanne überirdisch nach oben ragt, kommt sie immer an eine gewisse Grundfeuchte heran. Blümel sieht den Baum insofern recht unbeeindruckt von den sich ändernden klimatischen Bedingungen in Deutschland.
    Aber auch gesellschaftlich muss sich die Tanne nicht fürchten: "Der Weihnachtsbaum ist immer noch eines der wichtigsten Symbole für das Weihnachtsfest. Das lassen sich die Menschen nicht so schnell nehmen", sagt Blümel. Und solange die Menschen nicht auf Plastikbäume umsteigen - für Koop nichts anderes als "Kultur-Banausentum" -, sollten sich auch weiterhin noch viele Samen auf das Abenteuer einlassen können, ein Weihnachtsbaum zu werden.