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"Liegt es daran, dass ich Französin bin?"

Mit "Salz auf unserer Haut" hielt Benoîte Groult in den späten 80ern Platz eins der deutschen Bestellerlisten über zwei Jahre lang fest im Griff. Mit ihrer erotischen Fabel hatte Benoîte Groult in Deutschland einen Nerv getroffen. In Frankreich interessierte das Buch niemanden.

Von Rebecca Partouche | 26.02.2010
    "Ich weiß nicht, durch welchen Zufall der Roman 'Salz auf unserer Haut' in Deutschland eine so außergewöhnlich sentimentale Karriere gemacht hat. Liegt es am Sinn der Deutschen für Romantik? Liegt es daran, dass ich Französin bin und man von Französinnen Frivoles erwartet? Fakt ist: Als ich einmal in Begleitung meines Mannes in Deutschland auf Lesereise war, wollten alle den Mann anfassen, der mit mir schlief. Als wäre ich die Heilige von Lourdes, als wäre ich Teil eines Märchens, einer zeitlosen Geschichte wie 'Romeo und Julia'"

    "Salz auf unserer Haut" war über zwei Jahre auf Platz eins der deutschen Bestellerlisten. Das Buch wurde zum Klassiker der späten 80er-Jahre. Von der "Brigitte"-Leserin, über die Kassiererin, bis hin zum Studienrat - der Roman stand in jedem deutschen Billy-Regal. Es ist die Geschichte eines bretonischen Fischers und einer Pariser Intellektuellen, die sich über Jahrzehnte immer wieder treffen, überall in der Welt, um miteinander ins Bett zu gehen. Mit ihrer kleinen erotischen Fabel hat Benoîte Groult in Deutschland einen Nerv getroffen: Nach den vielen freudlosen Jahren düsterer Beziehungsgespräche und zäher Gruppentherapien - schrieb endlich jemand von leidenschaftlichem und purem Sex. Ohne Fußnoten.

    Endlich wieder Archetypen: Ein maskuliner, proletarischer Kerl - so wortkarg wie ein Fischer aus Hemingway - und eine hübsche kultivierte Pariserin, die absolut nicht mehr reden will. Im emanzipierten Deutschland hat es eine solche Geschichte schon lang nicht mehr gegeben. Und weil das Buch dann noch aus dem Land der Liebe selbst kommt, schlägt es in Deutschland ein wie eine Bombe.

    "Wenn eine Deutsche das Buch geschrieben hätte, wäre es überhaupt kein Erfolg geworden. Die Leute dachten, dass wir in Frankreich vielleicht die Antwort auf alle Liebesfragen haben. Wir hatten schließlich das 18. Jahrhundert, die Salons, die Kurtisanen. Meine Geschichte fügte sich ein in diese französische Tradition der Doppelleben, der amourösen Arrangements. Nehmen Sie die Beerdigung von Mitterrand: In der ersten Reihe - die Ehefrau. Dahinter - seine Geliebte. So was gibt es nur in Frankreich."

    Genau darum interessiert das Buch auch niemanden in Frankreich. "Doppelleben" und "Machos" sind für die Franzosen schon lange grauer Alltag. Im formbewussten Frankreich waren die Männer schon immer Eroberer, und die Frauen hatten sich zu zieren. Aber die Protagonistin der Groult, die ja keine andere ist als die Groult selbst, verzichtet auf Schmollmund und Wimpernklimpern. Sie tut, was sie denkt, und nimmt sich, was sie braucht. Das allein wäre schon Tabubruch genug. Aber was die Franzosen schier als Beleidigung empfinden ist - dass sie ganz direkt & uncharmant von eiskalten Vaginalcremes und ungünstig gelegenen Herpesbläschen lesen müssen. Am allerschlimmsten allerdings finden die Kritiker, dass das Buch von einer 65 Jahre alten Frau stammt. Und sie beschimpfen die Groult als: "Alte Schachtel", "Pornografin", "frustrierte Lesbe". Selbst die seriöse Zeitschrift "Le nouvel observateur" versteigt sich in die absurde These, dass die Autorin wohl "nicht hinreichend durchgevögelt worden sei".

    "Als ich 'Salz auf unserer Haut' schrieb, war ich 65 Jahre alt. Ich hätte dieses Buch nicht früher schreiben können, weil das Thema so gewagt war für eine Frau. - 'Benoîte Groult, Sie bringen die Männer zum Erröten!'- hieß es in einer Literatursendung. Und: 'Was sagt Ihr Mann denn dazu?' Als würde man den Pornoautoren Philippe Sollers fragen, was seine Frau davon hält. Aber weil ich eine Frau bin, musste ich wohl erzogen bleiben, und von Sex reden ohne Sex und von der Vagina ohne Vagina zu sagen."

    Dabei sind ihre Bücher in keinster Weise pornografisch. Benoîte Groult benennt einfach nur sehr konkret alle Körperteile, auch die pikanten. Unaufgeregt, präzise und fast sachlich. Denn Benoîte Groult glaubt daran, dass man einfach das beschreiben soll, was vor einem steht. Wie eine Naturwissenschaftlerin. Und auch wenn man ihr persönlich begegnet - tritt die 90-Jährige höchst nüchtern auf, sehr direkt und überhaupt nicht anrüchig. Eigentlich wollte Benoîte Groult ja auch Ärztin werden. Und auf keinen Fall... Schriftstellerin.

    "Ich wollte Ärztin werden, und das bin ich auch geworden mit meinen Büchern, ich versuche, den Kopf der Frauen zu heilen. Ich versuche sie zu heilen von ihrer Unwissenheit, Sie hatten lange keine Ahnung von ihrem Körper. Wenn ich an meine Mutter zurückdenke, Die steckte voller nebulöser, freudianischer Schreckensbilder -'erigierte Lanzen', 'Pflugscharen', 'blutige Schwerter'. Am Ende ist sie doch zu einem Gynäkologen gegangen, dem sie gesagt hat: 'Schauen Sie, ich bin nicht normal. Ich kann den Anblick der Geschlechtsorgane meines Mannes nicht ertragen.' Er hat ihr gesagt: 'Aber doch Madame, Sie sind völlig normal. Man muss es doch nur da reinstecken.'"


    Die einfachsten Fakten des Lebens gehen an der extrovertierten Mutter völlig vorbei, sie ist vollkommen damit beschäftigt, ihr Leben, genauer: ihr Sexualleben, zu ästhetisieren. Sie pflegt eine offene lesbische Beziehung zu ihrer Freundin, der Malerin Marie Laurencin, und verschreckt die ganze Familie mit Horrorszenarien männlicher Sexualität. Sie schwärmt von monströsen, überdimensionierten Geschlechtsteilen; liest gemeinsam mit surrealistischen Künstlerfreunden in ihren Traumtagebüchern und bespricht alles Verdrängte. Die Mutter zwingt ihre Tochter sogar dazu... selbst ein Tagebuch zu führen, das die kleine Benoîte dann dem Freundeskreis vorlesen soll. Noch mit 40 Jahren kann Benoîte Groult zwei Dinge nicht ausstehen: Sex. Und Surrealismus.

    Erst die Amerikaner, die mit Kanonen und Kondomen über den Atlantik kommen, befreien Frankreich von den Nazis... und die Groult von ihren Hemmungen.

    "Die Kondome haben wir erst durch die Amerikaner kennengelernt. Wir hatten in Frankreich noch nie was von Kondomen gehört. Beim ersten Mal, als ich so ein Kondom 'klatsch' machen hörte, fühlte ich mich richtig gedemütigt. Ich dachte, was haben sie denen bloß erzählt in Amerika? Dass alle französischen Frauen die Syphilis haben? Aber sehr bald habe ich mich frei gefühlt. Keine Schwangerschaften, keine Abtreibungen mehr. Mit Amerika habe ich die Lust ohne Risiko und ohne Bestrafung kennengelernt. 43 Es war ein Gefühl von Freiheit und Glück!"
    Mit Kurt, ihrem Amerikaner, lernt Benoîte Groult den Sex pur zu genießen - ohne Psychologie und surrealistischen Horror. Mit ihrem Ehemann, dem Schriftsteller Paul Guimard, passiert im Bett gar nichts. Dafür führt er sie an das Schreiben heran. Mit ihm lernt sie eine Literatur kennen, jenseits von Surrealismus und Kunstpose. Eine Literatur, die ganz konkret beschreibt, was ihr vorsteht - nach dem Vorbild des amerikanischen "New Journalism". In ihren Büchern wird Benoîte Groult immer wieder auf das Lebensthema ihrer Mutter zurückkommen - den weiblichen Körper. Aber anstatt ihn zu mystifizieren, versucht sie ihn so genau wie möglich zu beschreiben. Und das ist neu in Frankreich. Denn noch die Generation von Simone de Beauvoir hat den weiblichen Körper völlig tabuisiert.

    "Simone de Beauvoir traute sich nicht das Wort 'Vagina' auszusprechen. Sie hatte einen Artikel für die Zeitung 'Le Monde' geschrieben über Folter im Algerienkrieg. Es ging um unsere Fallschirmjäger, die die Freiheitskämpferin Djamila Boupacha gefoltert hatten. Und de Beauvoir hatte zuerst geschrieben 'die Fallschirmjäger hatten ihr Glasflaschen in die Vagina geschoben, um sie zum Sprechen zu bringen.' Woraufhin der Direktor von 'Le Monde Madame de Beauvoir - diese hoch-renommierte Schriftstellerin, Philosophin, Historikerin - anrief, um ihr zu sagen: 'Madame, das Wort Vagina passt nicht zu "Le Monde".' Und der Chefredakteur sagte ihr: 'Schreiben sie doch stattdessen Bauch'.' - Und de Beauvoir hat zugelassen, dass man Vagina dadurch ersetzt, weil alle das Gefühl hatten, dass eine Vagina etwas Schmutziges ist."

    Aber Benoîte Groult traut sich. Sie ist die einzige Französin, die den weiblichen Körper völlig tabufrei beschreibt. In ihren frühen Sachbüchern schildert sie die Leiden des Körpers, Abtreibungen und Beschneidungen. Und in den späten Romanen - seine Freuden und seine Schönheit. Sie wird zur Chronistin des weiblichen Körpers. Und auch wenn die intellektuellen Zirkel sie ignorieren - Benoîte Groult hatte von Anfang an: einen direkten Draht zu ihrem Publikum. Nach jedem Buch wurde sie überflutet von Leserbriefen. Und als sich die Neunzigjährige in ihrer Autobiografie endlich als wahre Hauptdarstellerin ihrer Romane outet, löst sie noch einmal eine letzte, große Welle aus.

    "Ich bekomme täglich Fanpost und habe eine Mappe mit der Überschrift 'Briefe von 80-Jährigen'. Frauen, die 80 oder älter sind schreiben mir, um mir zu sagen: Mein Mann ist gestorben, ich habe wieder angefangen zu studieren, habe endlich den Orgasmus entdeckt und kann endlich das essen, was ich will. Und neulich in der Kinoschlange, hörte ich plötzlich: Danke! Sie helfen mir, alt zu werden. Das ist wunderbar! "