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Lindemanns Lyrik
Von Ekel und Einsamkeit

Till Lindemann kennt man vor allem als Sänger der Band Rammstein. Dass er auch Gedichte schreibt, ist weniger bekannt. In seinem neuen Lyrikband schreibt er über Liebe, Einsamkeit und Trauer. Eklig und grausam ist es trotzdem.

Von Sarah Mahlberg | 05.03.2020
Till Lindemann, der Sänger der Band Rammstein, ist auf einem Bild zu sehen, das ihn während eines Konzerts im Olympiastadion in Berlin im Juni 2019 zeigt.
Kein Ekelwort hienieden, das er nicht kann in Verse schmieden - Mannomann, Lindemann. (Imago / Christian Thiel)
Fleisch, Kotze, Blut und Speichel. Das Lesen der Lindemann-Lyrik löst an vielen Stellen Ekel aus. Ein lyrisches Ich, das den Haushund schlachtet oder lüstern über Frauen fantasiert, provoziert in "100 Gedichte" ganz ähnlich wie in manchem Rammstein-Text. Dabei ist das Umfeld oft idyllisch bis prüde. Die Figuren der traditionellen Familie in Form von Vater, Mutter und Kind tauchen immer wieder auf. Eine echte Idylle bildet sich trotzdem nicht.
Die Familie als zentrales Motiv
Zu gestört das Verhältnis zueinander, wie das Gedicht "Autobahn" zeigt:
"Sie legten mich unter eine Brücke. Und kamen nie zurück. Nach Süden sind sie gefahren. Weiß nicht, wie ich heiße. Weiß nicht, wie alt ich bin an Jahren. Weiß nicht wann der erste Zahn. Sie kamen nie zurück. Geboren auf der Autobahn."
Einsamkeit ist ein großes Thema im Gedichtband, oft eng verbunden mit der dargestellten Kleinfamilie. Die habe Lindemann oft abgelehnt und sich gleichzeitig gewünscht, sagt Nikolai Okunew. Er forscht am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam zu Heavy Metal als DDR-Subkultur und verfolgt Rammstein, wie er sagt, seit ihren Anfängen. Die Familie sei bei Lindemann zentrales Motiv.
"In vielen der Texte geht es ja darum dass diese Konstellation irgendwie bröckelt, dass die Schaden nimmt oder von Vornherein beschädigt ist."
Zerhackt. Zerbrochen. Kaputt.
Dass Till Lindemann sich in seiner sonst aufsehenerregenden Art überhaupt einem Feld wie Lyrik zuwendet, mag auf den ersten Blick überraschen. Auf den zweiten wirkt es aber logisch. Sind Songtexte nicht auch eine Art Dichtung? Trotzdem könne man zwischen den Gedichten und den Liedertexten deutliche Unterschiede festmachen, sagt Nikolai Okunew.
"Die Gedichte fand ich deutlich introspektiver, deutlich leiser, wenn man das bei einem Mann wie Lindemann sagen kann, also von sehr viel Verletzlichkeit gezeichnet und auch viel viel kürzer und mit kaputten Reimen, abgebrochen und zerhackt, also Texte, bei denen es sehr schwierig wäre, sie in Liedform zu gießen, weil sie eben sehr zerbrochen sind."
Bei einem Gedicht ist es dennoch gelungen. "Ach so gern" hat es als Lied in Lindemanns Soloprojekt geschafft. Aus dem sexuell gewalttätigen Gedicht, das inhaltlich stark an "Gern hab ich die Frau'n geküsst" aus einer Operette von Franz Lehàr erinnert, wurde ein Tango.
"Ich kannte viele schöne Damen auf dieser schönen Welt. Mit Fug und Recht kann man da sagen. Ich war ein wahrer Frauenheld. Man sagt mir nach, ich wäre schamlos..."
Defizitäre Hypermaskulinität
Sexualität ist in den Gedichten oft von Gewalt durchdrungen. Ein Mann, der wie in "Ach so gern" kein Nein akzeptieren will oder der einer Frau Schlafmittel gibt, um sie dann zu vergewaltigen. Für Nikolai Okunew ist diese Darstellung von Weiblichkeit in Lindemanns Gedichten bewusst gewählt.
"Die Frau ist in den Gedichten meist ein Objekt der Begierde seines lyrischen Ichs. Ich glaube aber, dass das immer auch ein Kommentar zu diesem lyrischen Ich ist, zu der Form von Hypermaskulinität, die halt defizitär ist, die sich selbst überschätzt, die falsche Träume hat."
Ein Dichter, der Männlichkeit kritisiert oder sich doch nur in Selbstmitleid suhlt? Die Gedichte haben Potential für beide Lesarten, was die Lektüre interessant macht. Es sind allerdings nicht alle gleich gut. Mal wirken die Versmaße lahm, mal die Reime erzwungen. Und nach einer Weile wiederholen sich Schockmomente und Ekelreize. Die Lyrik wird vorhersehbar und man fragt sich allmählich, ob es 50 Gedichte nicht auch getan hätten.