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Linker Poet

"Ludwig Uhland. Tübinger. Linksradikaler. Nationaldichter" heißt eine Sonderausstellung im Tübinger Stadtmuseum zum 150. Todestag des Dichters. "Eine sehr schöne, sehr plastische Ausstellung" über einen absoluten Star, fast einen Heiligen seiner Zeit, der vom Dichter zum Politiker wurde, urteilt Christian Gampert.

Christian Gampert im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich |
    Burkhard Müller-Ullrich: Geboren in Tübingen, gestorben in Tübingen, begraben in Tübingen – auf dem Friedhof übrigens ganz in der Nähe von Hölderlin – und jetzt widmet das Stadtmuseum Tübingen ihm eine Sonderausstellung: Die Rede ist von Ludwig Uhland, einem dieser rechtschaffen-revolutionären Literaturschwaben, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts den deutschen Südwesten zu einer kulturell äußerst lebendigen und fruchtbaren Gegend machten.

    "Der Schelling und der Hegel, der Uhland und der Hauff, das ist bei uns die Regel. Das fällt hier gar nicht auf", dichtete irgendein Lokalpatriot, und der Spruch war lange eine Art Motto für das Schiller-Nationalmuseum, aus dem später das Deutsche Literaturarchiv in Marbach am Neckar hervorging. Das Deutsche Literaturarchiv, 40 Kilometer nördlich von Stuttgart, hat nun die Ausstellung in Tübingen, 40 Kilometer südlich von Stuttgart, mitgestaltet, und das, Christian Gampert, bedeutet schon, dass sie nicht ganz schlecht sein kann. Habe ich Recht?

    Christian Gampert: Ja, Sie haben absolut Recht. Das ist eine sehr schöne, sehr plastische Ausstellung, die auch mit sehr vielen Handschriften und Erstausgaben wuchern kann. Kuratiert hat sie trotzdem die Leiterin des Tübinger Stadtmuseums, Wiebke Ratzeburg, aber die Exponate kommen fast ausschließlich aus Marbach, das sich ja doch über die Arbeitsstelle Dichterhäuser und Dichtermuseen dezentral verdient macht, und diese Ausstellung ist ein schönes Beispiel für dieses Konzept.

    Müller-Ullrich: Eine Ausstellung zum 150. Todestag, habe ich noch vergessen zu sagen, und jetzt kommen wir mal zu Uhland. Der war ja ein nationaler Hero früher.

    Gampert: Ja, er war ein Star, ein absoluter Star. Man macht sich gar keinen Begriff, wie sehr der idealisiert wurde. Seine Wähler schickten ihm Pokale, seine Studenten schickten ihm auch zum Abschied einen Pokal. Goethe, Schiller, Uhland, das war das Dreigestirn so in der Metternich-Zeit.

    Müller-Ullrich: Zu seinem 75. Geburtstag, habe ich gelesen, wurden überall Uhland-Linden und Uhland-Eichen gepflanzt.

    Gampert: Ja, schön, und ein Denkmal wurde auch errichtet, kurz nach seinem Tod. Das steht noch heute, in Rufweite übrigens zum Silcher-Denkmal, der ja den guten Kameraden vertont hat, das möglicherweise ja sein bekanntestes Gedicht ist. Das kann man natürlich auch sehen in originaler Handschrift.

    Müller-Ullrich: Den wollen wir mal gerade hören.

    Gampert: "Die Trommel, die schlug zum Streite", und die Frage ist, dieses Lied wird ja heute noch benutzt, auch von der Bundeswehr bei Trauerfeiern: Worin liegt eigentlich die Wirkungsmacht dieser Lyrik? Und ich glaube, man hat in der Ausstellung auch die Gelegenheit, sich wirklich zu versenken in die Details, in die Handschriften und in die Erstausgaben. Ich glaube, es ist diese volksliedhafte Emotionalisierung dieser Begebenheit des Todes im Felde, im Kriege, die Schlichtheit der Verse und Reime, aber auch das ganz individuelle, das da drin ist.

    Die Kugel kommt geflogen, und es ist ein individuelles Leben, das da beendet ist, und er widmet das seinem Freund Friedrich von Harprecht, der mit Napoleon nach Russland zog und dort zu Tode kam. Ich glaube, das ist die Wirkungsmacht, und das beherrscht er perfekt, und da hat er eben profitiert von seinem Studium der mittelalterlichen Lyrik und der Balladen und der Volkslieder natürlich, und das setzt er perfekt um.

    Müller-Ullrich: Eben! Er war ja Philologe, hatte eine Professur.

    Gampert: Jurist eigentlich.

    Müller-Ullrich: Jurist! Dann hatte er auch diese Professur, und dann ging er aber in die Politik, also ein Intellektueller, wie es ja zu der Zeit, vor März und dann 68, 48, also 1848, manches Mal passierte.

    Gampert: Ein schöner Versprecher!

    Müller-Ullrich: Ja.

    Gampert: 48 und 68 haben ja doch vielleicht auch ein bisschen was gemeinsam, weil doch auch sehr viele literarisch bemühte Leute 68 dann politisiert wurden. – Nein, das Interessante an Uhland ist doch, dass seine dichterische Produktion eigentlich abbricht – schon sehr früh, eigentlich mit Ende der Studentenzeit -, und dann wird er Politiker. Dann setzt er sozusagen seine lyrischen Fähigkeiten um in vaterländische Gedichte und in Parlamentsreden, die auch alle in der Ausstellung übrigens gut dokumentiert sind. Da kann man nachlesen, man kann sogar zum Teil nachhören, mit welchem Pathos er da für Pressefreiheit eintritt oder gegen die Todesstrafe.

    Müller-Ullrich: Aber war er nicht relativ erfolglos?

    Gampert: Als Parlamentarier ja, als Dichter nicht. Er war fast ein Heiliger, er war ein Nationaldichter, er durfte das sagen, was andere nicht sagen durften. Jacobi wurde zum Tode verurteilt, Uhland bekam den Orden Pour le Mérite angetragen – er hat ihn abgelehnt. Aber er war so ein bisschen einer, der doch ein relativ beschauliches Leben führte in seinem Tübinger Gärtchen, das gepflegt werden musste, und dann in die Paulskirche ging und sich für die großdeutsche Lösung starkmachte und für die Demokraten war und gegen die Leute, die den König im Amt halten wollten. Da war er schon moralisch nicht korrumpierbar.

    Müller-Ullrich: Und dann ist es seltsam – wir müssen schnell durch die Geschichte stapfen -, dass sein Ruhm eigentlich heute völlig verblasst ist. Wer liest noch Uhland-Gedichte? Das Lied, das bei militärischen Ehren für Gefallene noch gespielt wird, das haben wir gerade erwähnt. Aber nicht mal mehr der ICE Ludwig Uhland, der verkehrte zwischen Dortmund und Salzburg, den gibt es auch nicht mehr.

    Gampert: Ja. Ich glaube, dass Uhland eigentlich ein Pop-Dichter war. Das traf den Nerv der Zeit. Das ist wunderbar gemacht, formal, aber wenn man das von heute aus liest, ist es eben auch sehr bürgerlich, altmodisch, hat keine Ironie wie Heine, es gibt kein Aufbegehren wie dann bei den 68ern, die Sie ja schon erwähnt haben. Deswegen ist er so ein bisschen durchs Netz gefallen. Aber wenn man die Gedichte liest heute - erste Sahne, ein bisschen alt, aber immer noch lesenswert.

    Müller-Ullrich: Und über Ludwig Uhland eine Ausstellung in Tübingen, im Stadtmuseum zu besichtigen, Anlass ist der 150. Todestag des Dichters.