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Linkes Bürgertum in Frauenhand

Botho Strauß' Stück "Trilogie des Wiedersehens" gilt seit der Uraufführung 1977 als eine Bestandsaufnahme des westdeutschen Mittelstands zwischen Ölkrise und Deutschem Herbst. Es ist das Sittenbild einer Gesellschaft, die sich aus den gesellschaftspolitischen Diskussionen zurückgezogen hat. Regisseurin Friederike Heller hat das Stück handwerklich sauber, doch wenig selbstkritisch inszeniert.

Von Christian Gampert | 06.07.2009
    Die Halbwertszeit eines Shakespeare-Stücks beträgt ein paar tausend Jahre, die Verfallszeit einer Botho-Strauß-Komödie ist doch etwas kürzer. Man steht heute ein wenig kopfschüttelnd vor jenen pseudo-ironischen Empfindsamkeitsetüden, für die Strauß in den 1970er-ahren gefeiert wurde - als Beinahe-Tschechow und Porträtist des halblinken Mittelstands.

    Genau diese Klientel, Kunstliebhaber, Ärzte, Industrielle, Banker, Schauspieler und entsprechende Gattinnen, versammelt sich zum Preview der Ausstellung "Kapitalistischer Realismus" nun im Stuttgarter Schauspielhaus, übrigens nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Parkett. Ihre Narzissmen und Neurosen, Liebeleien und Befindlichkeitsdiagnosen wirken heute eher noch irrelevanter als damals schon. Immerhin: Die Kunst hat ihre pure Abbildungsfunktion verloren, das ist die Grundthese der von einem gewissen Moritz kuratierten Ausstellung - in einem Haus, das bisweilen plattestes Abbildungs- und Agitationstheater der Marke Volker Lösch betreibt, ist das ja mal eine Einsicht.

    Das heißt aber nicht, dass die Inszenierung nun einen konsequent genutzten Kunstraum aufmacht. Zwar lässt die Bühnenbildnerin Sabine Kohlstedt als Kunstwerke zunächst nur Platzhalter zu, vertikal gehängte abstrakte Neonleuchtröhren, wie sie der Minimalist Dan Flavin verwendet. Dann aber werden auch großformatige Polaroids hereingetragen, die ein elfjähriger Junge als Porträts der Ausstellungsbesucher schießt.

    Das ist ja die etwas dürftige Verabredung, die der Autor Botho Strauß mit dem Publikum trifft: Als Kunstwerke, als Ausstellungsstücke fungieren die Ausstellungsbesucher selber, ergo das Bühnenpersonal. Warum aber soll man diese Wohlstandskrüppel im Theater betrachten, wenn man das a. in jeder Provinz-Vernissage gratis geliefert bekommt und b. auch die Karikatur solcher Veranstaltungen bereits ziemlich ausgelutscht ist?

    Diese Frage kann auch die handwerklich saubere Inszenierung von Friederike Heller nicht beantworten. Zwecks Katastrophenvermeidung hat man die Aufführung von ursprünglich drei auf zwei Stunden heruntergekürzt, aber auch die produzieren viel gepflegte Langeweile - und aufgesetzte Champagner-Laune.

    Belegte Brötchen und wahrscheinlich lauwarmer Sekt: So ist das Stück, so ist die Inszenierung. Letztlich dient der Abend dem Beweis, dass Stuttgart einige bemerkenswerte Solisten zu bieten hat, die auch als Ensemble harmonieren. Viele sind so besetzt wie immer - Anja Brünlinghaus möchte man durchaus mal anders sehen denn als mondäne Erotik-Bombe. Dafür kämpft der schlaflose Boris Koneczny veitstanzartig mit seinen Dämonen und der Massenarbeitslosigkeit, Elmar Roloff und Martin Leutgeb bieten hingebungsvolle Schauspielerparodien und für Christoph Gawenda als Ausstellungs-Kurator ist die Disparatheit der Wirklichkeit nicht nur kunsttheoretische Behauptung, er spielt sie auch - ein Mann mit Zukunft.

    Die Anmach- und Trennungsrituale der anderen, die Gesangseinlagen und Bataille-Zitate, die - zwischen Parodie und Ernsthaftigkeit wechselnde - Darstellung von Sehnsuchtsmotiven, Hahnenkämpfen und politischen Meinungsumschwüngen sind aber nichts, was heute über brave Unterhaltung hinausginge. Die wahre, von Gerhard Richter und Konrad Lueg 1963 in einem Möbelhaus veranstaltete Ausstellung zum "kapitalistischen Realismus" war übrigens nicht nur provokant, sondern absolut selbstironisch. Es wäre schön, wenn sich das Stuttgarter Schauspiel wenigstens ab und an zu einer ähnlichen Haltung durchränge.