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Linksautonome in Berlin
No-Go-Area für Polizisten und Politiker ausgerufen

Rechtsextreme stecken Flüchtlingsheime in Brand und bedrohen diejenigen, die ihnen politisch nicht in den Kram passen. Seien es Bürgermeister oder Bundestagsabgeordnete wie zum Beispiel Petra Pau von der Linken. Es geht aber auch politisch andersherum. Linksautonome in Berlin bedrohen Investoren und einen SPD-Parlamentarier.

Von Claudia van Laak |
    Polizisten durchsuchen ein linksalternatives Wohnprojekt in Berlin-Friedrichshain
    Polizisten durchsuchen ein linksalternatives Wohnprojekt in Berlin-Friedrichshain (Imago)
    Berlin-Friedrichshain, Rigaer Straße. Kaum ein Laternenmast ohne Aufkleber, kaum ein Stromkasten ohne Demoaufruf, kaum eine Fassade ohne Graffiti. "Werte Deinen Kiez ab" hat jemand mit grüner Farbe an ein frisch saniertes Haus aus der Gründerzeit gesprüht. Die Baustelle nebenan: besser bewacht als in anderen Gegenden Berlins – Linksautonome werfen gerne Steine in die Fenster neu gebauter Wohnhäuser. Dann die Kreuzung Rigaer-, Ecke Liebigstraße - die Fassaden voller gelber Plakate:
    "Ihr Gefahrengebiet. Unser Widerstandsviertel. Das heißt: Investoren werden abgeschreckt. Die Mieten steigen nicht so schnell. Bullen können nur begrenzt aktiv werden. Leisten wir weiter Widerstand gegen die Pläne, hier einen teuren Spießer-Kiez entstehen zu lassen. Die Nachbarschaft bleibt rebellisch!"
    Sozialdemokrat bedroht
    Tom Schreiber biegt um die Ecke, Sporttasche unter dem Arm. Mal kurz nach dem Rechten sehen, sagt der 37-jährige Sozialdemokrat. Danach ein Termin beim Staatsschutz, dann ins Sportstudio. Kaum ist er aufgetaucht, fährt auch schon ein Streifenwagen vorbei.
    "Die Polizei guckt zum einen, was in der Straße los ist und zum anderen sind sie auch darüber informiert, dass ich heute vor Ort bin."
    Denn Tom Schreiber wird bedroht von Linksautonomen, die den Kiez als den ihren betrachten. Haben Neonazis in Mecklenburg-Vorpommern "National befreite Zonen" und No-Go-Areas für Ausländer ausgerufen, soll nach Wunsch der linken Szene die Rigaer Straße in Berlin-Friedrichshain eine No-Go-Area für Polizisten und Politiker wie Tom Schreiber sein.
    Hass-Mails und -Tweets
    "Die Polizei aber auch ich nehmen das sehr erst, wenn es indirekte und direkte Bedrohung gibt. Aber ich sag mal ganz klar, davon lass ich mich weder abbringen noch einschüchtern, für mich gibt es kein Gebiet in der Stadt, wo ich mich nicht hintraue und deswegen gehe ich da ganz bewusst hin."
    Der Abgeordnete zieht schon länger den Hass der linksextremen Szene auf sich. Weil er Polizisten bei ihren Einsätzen begleitet, Fotos und Kommentare twittert, die Gewalt der Szene anprangert. Nun erhält Sozialdemokrat Schreiber Droh-Mails, die Scheiben seines Bürger-Büros in Köpenick wurden beschmiert, die Szene kreierte den Hash-Tag #TomDuArschloch.
    Tom Schreiber nimmt diese Entgleisungen sportlich, amüsiert sich bei schwarzem Kaffee und Schinkentoast über Mails, in denen ihm angedroht wird, sein Auto anzuzünden. Dabei hat er gar keins. Gerade noch hat er ein Selfie gemacht – vor einem besetzten Haus in der Rigaer Straße. Jetzt wird zurückgetwittert: "Haustürbesuche in meiner Lieblingsgegend."
    "Sie werden es eben nicht schaffen, mir das zu nehmen, wofür ich gewählt bin. Und das heißt, sich einzusetzen dafür, dass gerade im Bereich des Extremismus wir hier eine klare Linie, eine klare Kante fahren im Land Berlin. Also Ächtung von Gewalt, egal ob es von rechts oder von links ist."
    Verfassungsschutz beobachtet
    Tom Schreiber verunsichert die linksautonome Szene, heißt es beim Verfassungsschutz. Ist der Politiker doch erstens Sozialdemokrat, zweitens bekennender Homosexueller und drittens aktiv für Flüchtlinge und gegen Neonazis in seinem Wahlkreis Köpenick. Es gelingt also nicht, das alte Feindbild vom rechten Law-and-Order-Politiker zu bedienen.
    Gleichzeitig verändert sich die Szene. In den letzten Jahren blieben die berüchtigten Ausschreitungen rund um den 1. Mai aus – die Linksautonomen waren nicht mehr in der Lage, viele gewaltbereite Aktivisten zu mobilisieren. Die Ankündigung, ein Haus zu besetzen, konnte nicht umgesetzt werden. Bernd Palenda, Chef des Berliner Verfassungsschutzes:
    "Es ist tatsächlich dazu gekommen, dass in kleinen Gruppen ganz wenig Militanz entstanden ist. Zwar viele Menschen sich an den Demonstrationen beteiligt haben, aber der Funke der Militanz nur gering übergesprungen ist. Vor diesem Hintergrund haben wir eine wirkliche Veränderung der Aktivität in der linksextremistischen Szene."
    Weniger Rückhalt für Linksautonome
    In der nächsten Woche präsentiert der Berliner Verfassungsschutz eine neue Studie zu linker Gewalt in der Hauptstadt. Die wichtigsten Erkenntnisse: Immer mehr Täter sind bereits einschlägig vorbestraft, Opfer sind zunehmend Polizisten – in 8 von 10 Fällen. Der Kampf um linksautonome Freiräume und gegen die Aufwertung von Kiezen – sprich Sanierung und Neubau – wird härter, erläutert Verfassungsschutzchef Palenda.
    "Wir hatten das Thema Besetzung von Häusern, wir hatten das Thema Umgestaltung von Wohnräumen, Vertreibung von Mietern. Jetzt sieht man eben deutlicher, dass durch Umbauten, dass durch Wohnprojekte und Wohnvorhaben der von der Szene für sich beanspruchte Raum immer kleiner geworden ist und vor dem Hintergrund wird dagegen sehr aktiv vorgegangen."
    Mainzer Straße in Berlin-Friedrichshain im November 1990
    Mainzer Straße in Berlin-Friedrichshain. Im November 1990 wurden dort mehrere besetzte Häuser von der Polizei geräumt. (picture alliance / dpa / Foto: Peter Hammer)
    Tom Schreiber beobachtet, dass selbst in den traditionell linken und grünen Stadtteilen Kreuzberg und Friedrichshain die Unterstützung für die linksautonome Szene zurückgeht. Die Kieze werden gentrifiziert, Wohlhabendere bauen, kaufen und sanieren, Schmuddelecken verschwinden. Schon hat der erste Bio-Supermarkt in der Rigaer Straße aufgemacht. Der Aufruf "Werte Deinen Kiez ab" – wird von immer weniger Aktivisten befolgt. Als Entwarnung will der Innenpolitiker das aber nicht verstanden wissen.
    "Der harte Kern schrumpft oder schmilzt runter, der politische Ansatz fehlt total, es gibt nicht irgendetwas, wo man sagen kann, da gibt es einen politischen Willen, aus den oder den Gründen macht man das. Sondern die Mehrheit von denen ist einfach gewaltbereit und extremistisch. Denen geht es darum zu zerstören."
    Der SPD-Politiker lässt sich gerne auf einen Twitter-Streit mit Linksautonomen ein – ist aber froh darüber, dass sie nicht wissen, wo er wohnt.