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Linksautonomes Zentrum in Hamburg
Hinter den Türen der "Roten Flora"

Seit 30 Jahren will die "Rote Flora" den Herrschenden in Hamburg das Leben schwer machen. Was die Besetzer aus der einstigen Ruine gemacht haben und was hinter den Mauern der linksautonomen Trutzburg geboten wird - ein Blick hinter die Kulissen.

Von Axel Schröder |
Das Bild zeigt die Fassade der Roten Flora, die mit linken Parolen und Graffits besprüht ist.
Nach eigenem Selbstverständnis halten die Rotfloristen das ehemalige Theatergebäude im Schanzenviertel seit Anfang November 1989 besetzt (Deutschlandradio / Axel Schröder)
Rechts und links der alten Opernhaus-Fassade sind linke Parolen plakatiert. Davor rollt der Verkehr über das Schulterblatt, die Flaniermeile des Schanzenviertels. Am Seiteneingang wartet Klaus Waltke, einer der Flora-Sprecher, der seinen richtigen Namen lieber für sich behält. Waltke öffnet die mit kleinen Politaufklebern und Graffiti übersäte, extra verstärkte Stahltür.
"Es gibt auf der Innenseite auch noch einen Henkel. Wenn es hart drauf ankommt, kann man sie damit auch zuhalten. Aber in die andere Richtung funktioniert das ganz anders. Es gibt auch einen Panikschutzbügel, damit sie auch als Notausgang funktionieren würde. Von außen rein ist schwierig, von innen raus, wenn es schnell gehen muss, ist problemlos möglich."
Denn trotz der Ablehnung der staatlichen Kontrollinstanzen und ihrem Bekenntnis zu militantem Handeln: die Rotfloristen halten sich an die Vorschriften zum Brandschutz und lassen die Hamburger Bauprüfabteilung hier regelmäßige Kontrollen durchführen.
Es riecht ein bisschen muffig. Klaus führt in den Veranstaltungsraum der Flora, über die speckigen, dunklen Dielen. Mehrere hundert Besucher finden hier Platz, jede Woche gibt es Programm.
Einst eine zum Abriss freigegebene Ruine
"Sehr viele Konzerte und Diskoveranstaltungen, auch Techno-Partys. Man sieht aber auch tatsächlich gerade Spuren von der gestrigen Veranstaltung. Das war nämlich eine Filmvorführung. Man sieht hier eine etwas improvisierte Leinwand aufgehängt. Da wurde ein Dokumentarfilm über die Swing-Jugend gezeigt."
Unter dem Dach der "Roten Flora" gibt es eine sogenannte "Küche für alle", in der veganes Essen angeboten wird, Bandproberäume, eine Motorrad- und Fahrradwerkstatt, einen Sportraum und das penibel sortierte sogenannte "Archiv der Sozialen Bewegungen" im Obergeschoss.
Von den so harmlos klingenden Freizeit- und Hilfsangeboten in der der Roten Flora dürften sich die Menschen aber nicht täuschen lassen, warnt Marco Haase, der Sprecher des Hamburger Landesamts für Verfassungsschutz:
"Es gibt Szene-Zeitschriften, in denen auch über Militanz debattiert wird. Wann ist Gewalt ein legitimes Mittel, um auch unseren Staat, unsere Demokratie abzuschaffen. Und all das ist auch seit drei Jahrzehnten mit der 'Roten Flora' verbunden!"
In den Fokus geriet das linksautonome Zentrum zuletzt beim G20-Gipfel vor zwei Jahren. Tausende G20-Gegner entfachten zusammen mit angetrunkenen, erlebnisgeilen Jugendlichen etliche Feuer auf dem Kopfsteinpflaster, plünderten zwei Geschäfte, legten Brände in drei Häusern. Der nach dem G20-Gipfel eingesetzte Sonderausschuss fand keine Hinweise auf eine aktive Beteiligung der Rotfloristen an den heftigen Ausschreitungen. Sondern darauf, dass ihre Versuche, mäßigend auf die Randalierer einzuwirken, keinen Erfolg hatten.
Ende der 1980er-Jahre war das Gebäude eine einzige, zum Abriss freigegebene Ruine. Und der Bauunternehmer Ralf Gauger war dabei, als der Plan des Entertainment-Konzern Stage, dort ein großes Musicaltheater zu bauen, durchkreuzt wurde.
"Die Anfangsidee war eher eine spontane. Man wollte verhindern, dass ein großer Konzern reinkommt und eigentlich nur mit einem Massentourismus eine Abschöpfung macht. Und im Grunde genommen das schafft, was man jetzt auch im Schanzenviertel beobachten kann, dass man teilweise das Gefühl hat, man ist in Teneriffa auf der Strandpromenade und es geht nur um Essen, Fressen, Saufen und schnell wieder weg. Das sollte ja verhindert werden!"
"Friedliche, gewaltfreie Entwicklung der Stadt"
Das Musicaltheater mitten in der Schanze konnte zwar verhindert werden. Trotzdem ist die "Rote Flora" heute aber auch das, was sie nie sein wollte: ein Faktor, mit dem Immobilienfirmen werben und dann überteure Wohnungen im Schanzenviertel vermieten können.
2001 hatte die Stadt das Gebäude an den Immobilienunternehmen Klausmartin Kretschmer verkauft. Rund zehn Jahre später versucht der Investor, aus der Roten Flora einen Einkaufstempel zu machen. Es gibt Solidaritätskundgebungen und Straßenschlachten. Der Senat unter Olaf Scholz entscheidet sich, die Immobilie zurückzukaufen. Der damalige Finanzsenator Peter Tschentscher, heute Erster Bürgermeister, verteidigte den Rückkauf vor der Bürgerschaft:
"Wir tun dies, weil wir für eine friedliche, gewaltfreie Entwicklung der Stadt – bei allen komplexen Themen, die eine solche Metropole wie Hamburg hat – nicht wollen, dass ein privater Eigentümer mit seinen Verwertungsinteressen unsere Stadt allein durch Ankündigungen und Pläne – die aus unserer Sicht auch nicht durchsetzbar sind – in Aufruhr versetzt." Seitdem gehört das Gebäude der stadteigenen Lawaetz-Stiftung.
Zurück im Herzen, im großen Veranstaltungsraum des autonomen Zentrums. Dort soll gleich ein Film über das Leben des Expressionisten Franz Jung starten. Vor allem ältere Menschen sind gekommen, sitzen noch vorn im Café, unterhalten sich. "Ich finde es einfach wichtig, so ein Zentrum zu haben, das selbstbestimmt funktioniert. Ich glaube, das ist einfach ein Anziehungspunkt."