Donnerstag, 28. März 2024

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"linksunten.indymedia"
Verhandlung über verbotenen Verein

In dieser Woche verhandelt das Bundesverwaltungsgericht über das Verbot von "linksunten.indymedia". Die Plattform war 2017 in Deutschland verboten worden, weil sie die bedeutendste Internetseite für gewaltbereite Linksextremisten gewesen sein soll. Das Netzwerk selbst versteht sich hingegen als Teil einer sozialen Bewegung.

Von Michael Voregger | 28.01.2020
25.01.2020, Sachsen, Leipzig: Teilnehmer einer linken Demonstration halten vor dem Bundesverwaltungsgericht ein Transparent mit der Aufschrift "Wir sind alle linksunten.indymedia.org"
Nach Polizeiangaben demonstrierten am 25. Januar 2020 rund 1.600 Menschen vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gegen ein Verbot von "linksunten.indymedia" (picture alliance / dpa / Sebastian Willnow)
Es ist fast zweieinhalb Jahre her, als der damalige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) das Internetportal linksunten.indymedia schließen ließ und das Angebot verbot. Hier hatten vorgeblich linksradikale Gruppen wiederholt Erklärungen zu politisch motivierten Anschlägen veröffentlicht, etwa rund um den G20-Gipfel in Hamburg im Jahr 2017. Begründet wurde das Verbot auch damit, dass es hier Aufforderungen zu Sachbeschädigung gab und Anleitungen zum Bau von Brandsätzen veröffentlicht wurden.
"Dieses Verbot richtet sich ausdrücklich nicht gegen das weltweite Netzwerk 'Indymedia'. Dieses Verbot richtet sich vielmehr ausschließlich gegen den linksextremistischen deutschen Ableger. 'linksunten.indymedia' ist die bedeutendste Internetplattform für gewaltbereite Linksextremisten in Deutschland", so de Maizière.
Auf dem Bild sind vermummte Demonstranten auf einer Straße in Leipzig zu sehen. Sie protestieren gegen das Verbot einer linksextremistischen Internetplattform 
Demonstration in Leipzig für "linksunten.indymedia"
Sachsens Innenminister Wöller hat die Gewalt in Leipzig nach einer Demonstration gegen das Verbot einer linksextremen Internet-Plattform verurteilt. Wer Journalisten und Polizisten attackiere, greife die Meinungsfreiheit und die friedliche Gemeinschaft an, erklärte der CDU-Politiker.
"Das Innenministerium hat zur Begründung der Verbotsverfügung ausgeführt, dass eben über 'linksunten.indymedia' in erheblicher Anzahl strafrechtliche Inhalte verbreitet worden sind, also Aufforderungen zu der Begehung von Straftraten, auch die Billigung von Straftraten", sagt Boris Burghardt, Professor für Strafrecht an der Humboldt-Universität in Berlin und Vorstandsmitglied in der Gesellschaft für Freiheitsrechte.
Innenministerium stufte die Webseite als Verein ein
Allein die Anzahl von Beiträgen mit strafbarem Inhalt reicht seiner Ansicht nach nicht für ein Verbot aus. Ein Argument: Bei "linksunten.indymedia" konnte praktisch jeder posten, was er wollte – wie bei anderen sozialen Netzwerken.
"Zum anderen ist es eben so, wie ich sagte, eine Internetplattform, über die Meinungsäußerungen stattfinden, Postings der verschiedensten Art publiziert werden, die bei weitem, wenn sie man jetzt zahlenmäßig ins Gewischt rücken würde, nicht jetzt in ihrer Mehrzahl verbotene oder sogar strafbare Inhalte betreffen, da die ganze Plattform dann zu schließen über dieses Vereinsverbot erachten wir eben auch im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der einen Rechtsstaat ja grundsätzlich prägt, für problematisch."
Wenn es um illegale Inhalte auf einer Website geht, dann können Diensteanbieter per Telemediengesetz zur Löschung der Beiträge verpflichtet werden. "linksunten.indymedia" wurde allerdings mit einem juristischen Schachzug verboten – über das Vereinsrecht: Das Innenministerium stufte die Webseite als Verein ein, obwohl die Betreiber sich nicht so definieren. Ein Nachrichtenportal zu verbieten, wäre dagegen, wegen der grundgesetzlich geschützten Pressefreiheit, mit hohen Hürden verbunden.
netzpolitik.org: Indymedia "nicht auf Gewaltaufrufe reduzieren"
Das Verbot von "linksunten.indymedia" durch den Innenminister sieht Markus Reuter von "netzpolitik.org" kritisch: Die Seite habe mehr zu bieten gehabt als Gewaltaufrufe. "Es gab auch durchaus relevante Artikel." Etwa die Veröffentlichung von AfD-Chatprotokollen, so Reuter im Deutschlandfunk Kultur.
Weltweites Netzwerk gegründet vor über 20 Jahren
"linksunten.indymeda" ist 2008 als regionales Portal für Süddeutschland entstanden und hat danach eine wichtige Rolle in der linksradikalen Szene in Deutschland gespielt. Das Portal ist ein Ableger des weltweiten "Indymedia"-Netzwerks, das vor über 20 Jahren zu den Protesten gegen die Welthandelskonferenz in Seattle gegründet wurde.
Wegen Auseinandersetzungen zwischen Globalisierungskritikern und der Polizei konnte das Treffen nicht wie geplant ablaufen. Die Ereignisse 1999 sind im Rückblick der Beginn einer neuen weltweiten globalisierungskritischen Bewegung.
Wenige Tage vor den Protesten gegen die Tagung ging die erste "Indymedia"-Seite online, sagt Soziologe Simon Teune von der TU Berlin: "Mit der Idee, wir müssen der Medienberichterstattung – die undifferenziert über die Proteste berichtet – etwas entgegenstellen, die eigene Perspektive der Protestierenden. Das heißt es war von Anfang an gedacht als ein Beitrag zur Gegenöffentlichkeit während dieser Gipfelproteste, um den Menschen auf der ganzen Welt eben die Ereignisse aus der Perspektive der Demonstrierenden zu zeigen."
Aktivisten benutzen verstärkt Facebook, Twitter und Youtube
Die Bewegung entstand zu einem Zeitpunkt, als sich Zugang zum Internet und digitale Fotografie verbreiteten. Jeder Einzelne konnte ohne Vorkenntnisse Fotos und Texte veröffentlichen. Vor 20 Jahren gab es weder Wikipedia noch Blogs oder Social Media.
In Seattle konnten die vielen Reporter, Fotografen und Videofilmer ihre Inhalte einfach online stellen. Heute ist "Indymedia" nicht mehr der zentrale Ort, um Informationen aus sozialen Bewegungen zu verbreiten und einzuholen. Die Bedeutung nimmt ab, weil Aktivisten Nachrichten verstärkt über Facebook Twitter und Youtube verteilen.
Soziologe Simon Teune: "Das heißt aber nicht, dass die Idee hinter 'Indymedia' überflüssig ist. Die wird weiterentwickelt, und gerade bei so größeren Anlässen wie Gipfelprotesten gibt es auch das, was damals in Seattle schon entwickelt wurde, nämlich ein Medienzentrum, was parallel zu dem offiziellen Medienzentrum organisiert wird, wo es Pressekonferenzen gibt, Infrastruktur für die Produktion von Beiträgen. Das haben wir zuletzt gesehen 2017 bei den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg."
Bundesverwaltungsgericht verhandelt am 29. Januar 2020
Das Bundesverwaltungsgericht wird jetzt entscheiden, ob das Verbot gegen "linksunten.indymedia" Bestand hat. Das Innenministerium hatte bei dem Verbot argumentiert, Beiträge auf der Seite richteten sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und liefen Strafgesetzen zuwider, weil dort zum Beispiel zu Gewalt gegen Polizisten aufgerufen werde und Körperverletzungen, Brandstiftungen und Anschläge propagiert würden.
Die Verfahren gegen die Betreiber der Seite selbst wegen der Verbreitung strafbarer Inhalte sind inzwischen allerdings eingestellt.