Manfred Kloiber: Herr Gyroff, Sie versuchen wahrscheinlich am längsten Linux unter die Leute zu bringen. Ist Linux inzwischen soweit, sich massenweise in den Büros durchzusetzen?
Roland Dyroff: Linux ist als Serverbetriebssystem etabliert. Der endgültige Durchbruch, quasi der Ritterschlag, kam vor rund einem halben Jahr, als die großen Hersteller begannen, ihre Softwareprodukte für Linux anzubieten.
Manfred Kloiber: Das Stichwort Serverbetriebssystem hört man immer wieder in Sachen Linux. Die meisten Leute, die mit dem Computer arbeiten, brauchen aber keinen Server, sondern einen Computer, mit dem sie einfach nur arbeiten können. Ist Linux für diese Welt geeignet?
Achim Cloer: Zumindest wenn die Anwendungen etwas weiter gehen, braucht jeder auch einen Server. Aber Sie haben recht, der Anwender sieht zunächst seinen Desktop. Linux hat sehr gute Chancen, sich auch dort durchzusetzen. Wir unterstützen viele Firmen, die Linux am Arbeitsplatz einsetzen. Es ist dafür hervorragend geeignet.
Manfred Kloiber: Trotzdem frage ich mich, ob Linux im Moment das Betriebssystem für den Alltag im Büro ist.
Tom Schwaller: Ich würde es schon dafür empfehlen. Ich habe viele Leute erlebt, die noch nie mit Linux gearbeitet hatten, bevor man sie ins kalte Wasser warf. Sie kamen ganz gut damit zurecht. Momentan entstehen auch Spiele - das interessiert die Heimanwender natürlich - Videoschnittund 3-D-Software.
Manfred Kloiber: Im vielen Bereich wächst Linux im Moment. Hängt das damit zusammen, daß Unternehmen wie IBM das System im Moment sehr stark pushen?
Volkhard Wolf: Ich denke schon, daß das große Auswirkungen hat. Vor allem die Aussage, daß SAP jetzt sein R/3-System auf Linux zur Verfügung stellt, ist für ein Betriebsystem immer eine Wendemarke, wie man schon an anderen Beispielen sehen konnte. Es gibt mittlerweile alle wirklich bedeutenden Datenbanken für das Linux-System. Auch die Universal Database von der IBM ist zur Zeit kostenlos als Download zu bekommen. All das spielt eine große Rolle.
Manfred Kloiber: Wird Linux jetzt von der großen Industrie in den Hand genommen und richtig gepusht? Wo steht Linux im Moment?
Achim Cloer: Es war immer unser Ziel, daß auch die großen Anbieter wie SAP und IBM das Betriebsystem Linux ernstnehmen, daran haben wir alle gearbeitet. Ich glaube, keiner von uns hat ein Problem damit, daß unsere Früchte nun geerntet werden. Da gibt es keinen Neid und keine Bedenken.
Manfred Kloiber: Es ist aber doch trotzdem schwierig, die beiden Welten zu verbinden. Zum einen Linux als das Open-Source-Betriebsystem, das anfangs von Studenten entwickelt und von einer sehr eingeschworenen Szene weitergeführt wurde. Und jetzt stoßen ganz andere dazu. Macht es Ihnen nicht Bauchschmerzen, Herr Dyroff, daß Sie als Unternehmen, das mit Linux groß geworden ist, vielleicht überrundet werden könnten?
Roland Dyroff: Wir wachsen natürlich mit dem Markt mit und machen mit den großen Unternehmen Geschäfte. Es wird oft die Frage gestellt, wie sich der Einstieg der großen Unternehmen auf die Linux-Entwickler-Community auswirkt. Ich befürchte da keine Demotivation, denn die Motivation ist nicht eine soziale - also die, eine kostenlose Software zu programmieren - sondern eine technische Faszination treibt die Linux-Entwickler an. Die aber wird durch die Verfügbarkeit kommerzieller Software eher noch größer.
Manfred Kloiber: Hat eine technische Faszination oder die Aussicht auf blühende Gewinne die IBM dazu bewogen, ein so starkes Bekenntnis zu Linux abzugeben?
Volkhard Wolf: Beides ist wichtig. Zunächst einmal ist IBM ein Anbieter, der Produkte auf den Markt bringt. Der Linux-Markt ist ein reizvoller Markt mit sehr guten Wachstumsraten, die einen Anbieter aufhorchen lassen. Auf der anderen Seite ist die Technik hinter Linux beeindruckend. Ich selber habe es jetzt auf einem Thinkpad betrieben und gemerkt, daß das Gerät deutlich schneller wird. Es macht einfach Spaß.
Manfred Kloiber: Herr Schwaller, steckt hinter diesem Linux-Trend nicht auch die Abneigung gegen Microsoft?
Tom Schwaller: Ja, das sicherlich auch. Aber letztendlich ist die Hauptmotivation, daß man sich ein eigenes System bauen will, ein freies und offenes System, bei dem man unter die Haube schauen kann und das man sich nach dem eigenen Bedarf zusammenstellen kann.
Manfred Kloiber: Glauben Sie wirklich, daß jedermann sich sein eigenes Betriebsystem bauen will, oder ist das auf einen Expertenmarkt beschränkt?
Tom Schwaller: Die große Masse neuer Linux-User, die im vergangenen Jahr dazu gestoßen ist, schaut nicht ganz so tief hinein. Aber wer einen Internetserver betreibt oder auch einen Intranetserver, will manchmal mehr. Er kann sich aber auch Produkte dazu kaufen, die einem gewisse Aufgaben abnehmen.
Manfred Kloiber: Herr Cloer, Sie sind Vorsitzender des Linux-Verbandes und haben selbst ein Softwareberatungsunternehmen. Sehen Sie durch den Trend Perspektiven für ihr eigenes Unternehmen?
Achim Cloer: Ich will zunächst noch einmal zur Triebfeder zurück, weswegen man sich mit dem System beschäftigt. Bei mir war es nicht nur eine technische Faszination, die zwar sicherlich Voraussetzung ist. Aber es war auch ein Befreiungsschlag von der durch Microsoft aufgedrängten Technik. In unserem Unternehmen betreuen wir Firmen, die Linux auf dem Desktop im Büro benutzen. Wir haben jetzt gerade in einer Firma sämtliche Arbeitsplätze, die vorher unter Windows 3.11 liefen, durch Linux-Terminals ersetzt. Es macht schon Spaß, einen kompletten Betrieb auf eine neue Technik umzustellen.
Manfred Kloiber: Macht es den Unternehmen denn auch Spaß, auf eine Technologie zu setzen, die noch sehr stark im Wachsen ist und deren Entwicklung in Strukturen stattfindet, die so in der Wirtschaftswelt unbekannt sind? Oder verunsichert das die Firmen?
Achim Cloer: Mit technischen Problemen und fehlender Unterstützung in den Firmen haben wir täglich zu kämpfen. Es ist natürlich leichter, ein Produkt zu kaufen, hinter dem ein Unternehmen steht. Davon kann man auch einen Kunden leichter überzeugen. Ein Kunde, der auf Linux setzt, muß schon selber davon überzeugt sein, daß dieser neue Ansatz richtig ist. Es gibt aber mittlerweile Firmen, die das erkannt haben.
Manfred Kloiber: Viele Verantwortliche in den Unternehmen sichern ihre Entscheidungen über Millionenausgaben zum Beispiel mit dem Argument ab: Das Produkt ist von Microsoft, es ist gängige Software, also gibt es auch Support dafür und man kann es kaufen. Ist es bei Linux nicht schwieriger, eine Grundlage für Entscheidungen zu schaffen, die jeder mittragen kann?
Volkhard Wolf: Ich denke nicht. Die IBM hat sich zum Beispiel entschlossen, mit vier großen Distributoren Abkommen zu treffen, die auch Serviceelemente beinhalten. Die IBM wird auch selber für ihre Produkte unter Linux als Support- und Servicegeber auftreten. Es werden Hotlines geschaltet, es gibt die Möglichkeit, über das Internet mit IBM direkt zu kommunizieren. Außerdem scheinen die Linuxforen hervorragend zu funktionieren, so daß dieses Problem nicht sehr im Vordergrund steht.
Roland Dyroff: Die Frage nach Open Source im strategischen Unternehmenseinsatz kann eigentlich auch so beantwortet werden: Es gibt seit einigen Jahren den strategischen Ansatz ,,Open Standards'' als Investitionssicherungskriterium. ,,Open Standards'' bedeutet, daß Dokumentformate, Netzwerkprotokolle und derartige Dinge öffentlich dokumentiert werden, zum Beispiel das Format, in dem eine Textdatei abgelegt ist. Dann lassen sich wesentlich leichter Filter zu anderen Softwareprogrammen schreiben. Jeder Anwender von Textverarbeitungsprogrammen kennt diese Problematik. Insofern ist Open Source eigentlich nur der nächste Schritt, die konsequente Weiterentwicklung des Open-Standards-Gedanken.
Manfred Kloiber: Sind offene Standards Argumente für oder gegen ein Betriebsystem? Windows ist ja ein De-Facto-Standard, das war bislang auch ein gewichtiges Argument.
Roland Dyroff: Das ist genau der Punkt. Windows ist ein De-Facto-Standard und ein De-Facto-Monopol. Durch offene Standards brechen Sie genau das auf, dadurch stehen die technologischen Grundlagen allen Firmen zur Verfügung und die Konkurrenz wird lebhafter. Open Source geht da noch einen Schritt weiter.
Manfred Kloiber: Sind es nicht vielleicht bloße Wunschäußerungen, daß Linux die Rolle des David gegen Goliath einnimmt?
Tom Schwaller: Das glaube ich definitiv nicht. Ein Punkt ist dabei die Investitionssicherheit. Wenn Sie sich nach offenen Standards richten, haben Sie diese Investitionssicherheit, im anderen Fall nicht. Mit Linux haben Sie ein System, daß Sie mit Sicherheit auch in 20 Jahren noch einsetzen können. Ob es dann technologisch den Anforderungen noch gewachsen ist, ist eine andere Frage. Ich glaube auch, daß unsere Generation sich ein eigenes Busineßmodell baut. Dieses Modell beruht auf offenen Standards, bei denen man auf investitionssicherer Basis in die Zukunft schauen kann.
Volkhart Wolf: Es ist eine sehr interessante Bemerkung, daß man ein neues Geschäftsmodell erfunden hat, wo man sozusagen in einem globalen Team an einem Produkt arbeitet. Was das bringt, zeigt das Beispiel Linux. Wie schnell das Betriebssystem auf die Funktionalität gebracht werden konnte, die es heute hat, ist schon sagenhaft. Wenn man mal überlegt, daß Windows NT seit 1989 in der Entwicklung ist, Linux aber erst in den 90er Jahren entstanden und nach drei Jahren schon ein voll funktionstüchtiges Betriebssystem dieser Klasse geworden ist, zeigt das schon, was solche Modelle bringen können. Mit offenen Standard zu operieren, bringt schnelle Entwicklungszeiten, und die werden wir in der Zukunft brauchen.
Manfred Kloiber: Linus Torvalds hatte wohl kaum Geschäftsmodelle im Sinn, als er die Linux-Entwicklung anstieß.
Roland Dyroff: Das ist sicher richtig, wobei es aber eine Parallele zum Internet gibt. Diejenigen, die das Internet aufgebaut haben, haben auch nicht an die heutige Nutzung gedacht. Unser Geschäftsmodell bei Suse ist eigentlich leicht zu erklären. Das herkömmliche Geschäftsmodell einer Softwarefirma ist es, proprietäre Software zu machen, das heißt, einen Code für eine Software zu schreiben, den man als Geschäftsgeheimnis definiert und an niemanden herausgibt. Dadurch muß man die gesamte Entwicklung selbst bezahlen, hat aber im Erfolgsfall - der sehr unwahrscheinlich ist - eine extreme Monopolrendite, siehe SAP, siehe Microsoft. Beim neuen Geschäftsmodell auf Open-Source-Basis arbeiten zum Teil Hobbyisten und zum Teil kommerzielle Entwickler weltweit zusammen. Jeder, der daraus ein Geschäft machen will, kann sich nur aus der Gegenwart finanzieren, also aus einem Service und dem Dienstleistungsgeschäft, oder aus einer aktuellen Entwicklung, zu der er beisteuert. Das ist der Unterschied zum herkömmlichen Modell.
Manfred Kloiber: Ein solches Geschäftsmodell kostet aber viel Geld. Wer soll das bezahlen?
Achim Cloer: Auch die beste Software braucht einen guten Service. Sie nützt nichts, wenn niemand weiß, wie man sie installiert oder benutzt. Das bezahlen die Anwender nach wie vor und müssen dafür Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Diese Dienstleister verdienen nicht daran, die Software zu verkaufen, sondern werden für ihre Dienste bezahlt. Im Linux-Umfeld, muß man hinzufügen, haben die Anwender untereinander eine sehr gute Solidarität.
Manfred Kloiber: Ist Linux inzwischen reif für den Massenmarkt, für einen Otto Normaluser?
Roland Dyroff: Wie ich zu Beginn sagte: Linux ist als Serversystem inzwischen etabliert. In gewisser Weise ist damit all denen, die mit Linux zu tun haben, eine Vision abhanden gekommen. Die nächste Vision ist natürlich Linux für den Desktop. Das ist mit Themen wie 3-D, Spracherkennung und Ergonomie auch technisch wesentlich spannender. Linux ist heute aus meiner Sicht aber noch nicht Mainstream für den Normalverbraucher, das sage ich ganz deutlich.
Volkhart Wolf: Die neuen grafischen Oberflächen sind durchaus schon so weit, daß jemand sie bedienen kann, der kein Unix-Experte ist. Denn man kann von einem Massenmarkt nicht verlangen, daß es dort ein großes Heer von Unix-Experten gibt, die mit Shells umgehen können. Die einfache Bedienbarkeit, Konfigurierbarkeit und Installation muß ein Betriebssystem mitbringen. Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung.
Roland Dyroff: Linux ist als Serverbetriebssystem etabliert. Der endgültige Durchbruch, quasi der Ritterschlag, kam vor rund einem halben Jahr, als die großen Hersteller begannen, ihre Softwareprodukte für Linux anzubieten.
Manfred Kloiber: Das Stichwort Serverbetriebssystem hört man immer wieder in Sachen Linux. Die meisten Leute, die mit dem Computer arbeiten, brauchen aber keinen Server, sondern einen Computer, mit dem sie einfach nur arbeiten können. Ist Linux für diese Welt geeignet?
Achim Cloer: Zumindest wenn die Anwendungen etwas weiter gehen, braucht jeder auch einen Server. Aber Sie haben recht, der Anwender sieht zunächst seinen Desktop. Linux hat sehr gute Chancen, sich auch dort durchzusetzen. Wir unterstützen viele Firmen, die Linux am Arbeitsplatz einsetzen. Es ist dafür hervorragend geeignet.
Manfred Kloiber: Trotzdem frage ich mich, ob Linux im Moment das Betriebssystem für den Alltag im Büro ist.
Tom Schwaller: Ich würde es schon dafür empfehlen. Ich habe viele Leute erlebt, die noch nie mit Linux gearbeitet hatten, bevor man sie ins kalte Wasser warf. Sie kamen ganz gut damit zurecht. Momentan entstehen auch Spiele - das interessiert die Heimanwender natürlich - Videoschnittund 3-D-Software.
Manfred Kloiber: Im vielen Bereich wächst Linux im Moment. Hängt das damit zusammen, daß Unternehmen wie IBM das System im Moment sehr stark pushen?
Volkhard Wolf: Ich denke schon, daß das große Auswirkungen hat. Vor allem die Aussage, daß SAP jetzt sein R/3-System auf Linux zur Verfügung stellt, ist für ein Betriebsystem immer eine Wendemarke, wie man schon an anderen Beispielen sehen konnte. Es gibt mittlerweile alle wirklich bedeutenden Datenbanken für das Linux-System. Auch die Universal Database von der IBM ist zur Zeit kostenlos als Download zu bekommen. All das spielt eine große Rolle.
Manfred Kloiber: Wird Linux jetzt von der großen Industrie in den Hand genommen und richtig gepusht? Wo steht Linux im Moment?
Achim Cloer: Es war immer unser Ziel, daß auch die großen Anbieter wie SAP und IBM das Betriebsystem Linux ernstnehmen, daran haben wir alle gearbeitet. Ich glaube, keiner von uns hat ein Problem damit, daß unsere Früchte nun geerntet werden. Da gibt es keinen Neid und keine Bedenken.
Manfred Kloiber: Es ist aber doch trotzdem schwierig, die beiden Welten zu verbinden. Zum einen Linux als das Open-Source-Betriebsystem, das anfangs von Studenten entwickelt und von einer sehr eingeschworenen Szene weitergeführt wurde. Und jetzt stoßen ganz andere dazu. Macht es Ihnen nicht Bauchschmerzen, Herr Dyroff, daß Sie als Unternehmen, das mit Linux groß geworden ist, vielleicht überrundet werden könnten?
Roland Dyroff: Wir wachsen natürlich mit dem Markt mit und machen mit den großen Unternehmen Geschäfte. Es wird oft die Frage gestellt, wie sich der Einstieg der großen Unternehmen auf die Linux-Entwickler-Community auswirkt. Ich befürchte da keine Demotivation, denn die Motivation ist nicht eine soziale - also die, eine kostenlose Software zu programmieren - sondern eine technische Faszination treibt die Linux-Entwickler an. Die aber wird durch die Verfügbarkeit kommerzieller Software eher noch größer.
Manfred Kloiber: Hat eine technische Faszination oder die Aussicht auf blühende Gewinne die IBM dazu bewogen, ein so starkes Bekenntnis zu Linux abzugeben?
Volkhard Wolf: Beides ist wichtig. Zunächst einmal ist IBM ein Anbieter, der Produkte auf den Markt bringt. Der Linux-Markt ist ein reizvoller Markt mit sehr guten Wachstumsraten, die einen Anbieter aufhorchen lassen. Auf der anderen Seite ist die Technik hinter Linux beeindruckend. Ich selber habe es jetzt auf einem Thinkpad betrieben und gemerkt, daß das Gerät deutlich schneller wird. Es macht einfach Spaß.
Manfred Kloiber: Herr Schwaller, steckt hinter diesem Linux-Trend nicht auch die Abneigung gegen Microsoft?
Tom Schwaller: Ja, das sicherlich auch. Aber letztendlich ist die Hauptmotivation, daß man sich ein eigenes System bauen will, ein freies und offenes System, bei dem man unter die Haube schauen kann und das man sich nach dem eigenen Bedarf zusammenstellen kann.
Manfred Kloiber: Glauben Sie wirklich, daß jedermann sich sein eigenes Betriebsystem bauen will, oder ist das auf einen Expertenmarkt beschränkt?
Tom Schwaller: Die große Masse neuer Linux-User, die im vergangenen Jahr dazu gestoßen ist, schaut nicht ganz so tief hinein. Aber wer einen Internetserver betreibt oder auch einen Intranetserver, will manchmal mehr. Er kann sich aber auch Produkte dazu kaufen, die einem gewisse Aufgaben abnehmen.
Manfred Kloiber: Herr Cloer, Sie sind Vorsitzender des Linux-Verbandes und haben selbst ein Softwareberatungsunternehmen. Sehen Sie durch den Trend Perspektiven für ihr eigenes Unternehmen?
Achim Cloer: Ich will zunächst noch einmal zur Triebfeder zurück, weswegen man sich mit dem System beschäftigt. Bei mir war es nicht nur eine technische Faszination, die zwar sicherlich Voraussetzung ist. Aber es war auch ein Befreiungsschlag von der durch Microsoft aufgedrängten Technik. In unserem Unternehmen betreuen wir Firmen, die Linux auf dem Desktop im Büro benutzen. Wir haben jetzt gerade in einer Firma sämtliche Arbeitsplätze, die vorher unter Windows 3.11 liefen, durch Linux-Terminals ersetzt. Es macht schon Spaß, einen kompletten Betrieb auf eine neue Technik umzustellen.
Manfred Kloiber: Macht es den Unternehmen denn auch Spaß, auf eine Technologie zu setzen, die noch sehr stark im Wachsen ist und deren Entwicklung in Strukturen stattfindet, die so in der Wirtschaftswelt unbekannt sind? Oder verunsichert das die Firmen?
Achim Cloer: Mit technischen Problemen und fehlender Unterstützung in den Firmen haben wir täglich zu kämpfen. Es ist natürlich leichter, ein Produkt zu kaufen, hinter dem ein Unternehmen steht. Davon kann man auch einen Kunden leichter überzeugen. Ein Kunde, der auf Linux setzt, muß schon selber davon überzeugt sein, daß dieser neue Ansatz richtig ist. Es gibt aber mittlerweile Firmen, die das erkannt haben.
Manfred Kloiber: Viele Verantwortliche in den Unternehmen sichern ihre Entscheidungen über Millionenausgaben zum Beispiel mit dem Argument ab: Das Produkt ist von Microsoft, es ist gängige Software, also gibt es auch Support dafür und man kann es kaufen. Ist es bei Linux nicht schwieriger, eine Grundlage für Entscheidungen zu schaffen, die jeder mittragen kann?
Volkhard Wolf: Ich denke nicht. Die IBM hat sich zum Beispiel entschlossen, mit vier großen Distributoren Abkommen zu treffen, die auch Serviceelemente beinhalten. Die IBM wird auch selber für ihre Produkte unter Linux als Support- und Servicegeber auftreten. Es werden Hotlines geschaltet, es gibt die Möglichkeit, über das Internet mit IBM direkt zu kommunizieren. Außerdem scheinen die Linuxforen hervorragend zu funktionieren, so daß dieses Problem nicht sehr im Vordergrund steht.
Roland Dyroff: Die Frage nach Open Source im strategischen Unternehmenseinsatz kann eigentlich auch so beantwortet werden: Es gibt seit einigen Jahren den strategischen Ansatz ,,Open Standards'' als Investitionssicherungskriterium. ,,Open Standards'' bedeutet, daß Dokumentformate, Netzwerkprotokolle und derartige Dinge öffentlich dokumentiert werden, zum Beispiel das Format, in dem eine Textdatei abgelegt ist. Dann lassen sich wesentlich leichter Filter zu anderen Softwareprogrammen schreiben. Jeder Anwender von Textverarbeitungsprogrammen kennt diese Problematik. Insofern ist Open Source eigentlich nur der nächste Schritt, die konsequente Weiterentwicklung des Open-Standards-Gedanken.
Manfred Kloiber: Sind offene Standards Argumente für oder gegen ein Betriebsystem? Windows ist ja ein De-Facto-Standard, das war bislang auch ein gewichtiges Argument.
Roland Dyroff: Das ist genau der Punkt. Windows ist ein De-Facto-Standard und ein De-Facto-Monopol. Durch offene Standards brechen Sie genau das auf, dadurch stehen die technologischen Grundlagen allen Firmen zur Verfügung und die Konkurrenz wird lebhafter. Open Source geht da noch einen Schritt weiter.
Manfred Kloiber: Sind es nicht vielleicht bloße Wunschäußerungen, daß Linux die Rolle des David gegen Goliath einnimmt?
Tom Schwaller: Das glaube ich definitiv nicht. Ein Punkt ist dabei die Investitionssicherheit. Wenn Sie sich nach offenen Standards richten, haben Sie diese Investitionssicherheit, im anderen Fall nicht. Mit Linux haben Sie ein System, daß Sie mit Sicherheit auch in 20 Jahren noch einsetzen können. Ob es dann technologisch den Anforderungen noch gewachsen ist, ist eine andere Frage. Ich glaube auch, daß unsere Generation sich ein eigenes Busineßmodell baut. Dieses Modell beruht auf offenen Standards, bei denen man auf investitionssicherer Basis in die Zukunft schauen kann.
Volkhart Wolf: Es ist eine sehr interessante Bemerkung, daß man ein neues Geschäftsmodell erfunden hat, wo man sozusagen in einem globalen Team an einem Produkt arbeitet. Was das bringt, zeigt das Beispiel Linux. Wie schnell das Betriebssystem auf die Funktionalität gebracht werden konnte, die es heute hat, ist schon sagenhaft. Wenn man mal überlegt, daß Windows NT seit 1989 in der Entwicklung ist, Linux aber erst in den 90er Jahren entstanden und nach drei Jahren schon ein voll funktionstüchtiges Betriebssystem dieser Klasse geworden ist, zeigt das schon, was solche Modelle bringen können. Mit offenen Standard zu operieren, bringt schnelle Entwicklungszeiten, und die werden wir in der Zukunft brauchen.
Manfred Kloiber: Linus Torvalds hatte wohl kaum Geschäftsmodelle im Sinn, als er die Linux-Entwicklung anstieß.
Roland Dyroff: Das ist sicher richtig, wobei es aber eine Parallele zum Internet gibt. Diejenigen, die das Internet aufgebaut haben, haben auch nicht an die heutige Nutzung gedacht. Unser Geschäftsmodell bei Suse ist eigentlich leicht zu erklären. Das herkömmliche Geschäftsmodell einer Softwarefirma ist es, proprietäre Software zu machen, das heißt, einen Code für eine Software zu schreiben, den man als Geschäftsgeheimnis definiert und an niemanden herausgibt. Dadurch muß man die gesamte Entwicklung selbst bezahlen, hat aber im Erfolgsfall - der sehr unwahrscheinlich ist - eine extreme Monopolrendite, siehe SAP, siehe Microsoft. Beim neuen Geschäftsmodell auf Open-Source-Basis arbeiten zum Teil Hobbyisten und zum Teil kommerzielle Entwickler weltweit zusammen. Jeder, der daraus ein Geschäft machen will, kann sich nur aus der Gegenwart finanzieren, also aus einem Service und dem Dienstleistungsgeschäft, oder aus einer aktuellen Entwicklung, zu der er beisteuert. Das ist der Unterschied zum herkömmlichen Modell.
Manfred Kloiber: Ein solches Geschäftsmodell kostet aber viel Geld. Wer soll das bezahlen?
Achim Cloer: Auch die beste Software braucht einen guten Service. Sie nützt nichts, wenn niemand weiß, wie man sie installiert oder benutzt. Das bezahlen die Anwender nach wie vor und müssen dafür Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Diese Dienstleister verdienen nicht daran, die Software zu verkaufen, sondern werden für ihre Dienste bezahlt. Im Linux-Umfeld, muß man hinzufügen, haben die Anwender untereinander eine sehr gute Solidarität.
Manfred Kloiber: Ist Linux inzwischen reif für den Massenmarkt, für einen Otto Normaluser?
Roland Dyroff: Wie ich zu Beginn sagte: Linux ist als Serversystem inzwischen etabliert. In gewisser Weise ist damit all denen, die mit Linux zu tun haben, eine Vision abhanden gekommen. Die nächste Vision ist natürlich Linux für den Desktop. Das ist mit Themen wie 3-D, Spracherkennung und Ergonomie auch technisch wesentlich spannender. Linux ist heute aus meiner Sicht aber noch nicht Mainstream für den Normalverbraucher, das sage ich ganz deutlich.
Volkhart Wolf: Die neuen grafischen Oberflächen sind durchaus schon so weit, daß jemand sie bedienen kann, der kein Unix-Experte ist. Denn man kann von einem Massenmarkt nicht verlangen, daß es dort ein großes Heer von Unix-Experten gibt, die mit Shells umgehen können. Die einfache Bedienbarkeit, Konfigurierbarkeit und Installation muß ein Betriebssystem mitbringen. Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung.