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Literarische Trüffelsucher

Alles begann mit den Gedichten eines befreundeten Lyrikers. Zwei Germanistikstudenten aus Heidelberg setzten sich zusammen und gründeten ohne großen Plan den Verlag Elfenbein. Portugiesische Literatur und die Wiederentdeckung zeitgenössischer Autoren der klassischen Moderne wurden zum Aushängeschild, Werkausgaben und zweisprachige Bücher sorgten für viel Lob in den Feuilletons.

Von Cornelia Staudacher | 15.08.2006
    In Heidelberg, wo sie den Verlag 1995 gründeten, wurden sie die Zwei von der Tankstelle genannt. Der erste Verlagssitz befand sich in einem ausgedienten Tankstellenwärterhäuschen: Ingo Drzecnik und Roman Pliske befanden sich noch mitten im Germanistikstudium, als sie den wagemutigen Entschluß faßten, die Gedichte des befreundeten Lyrikers Andreas Holschuh, den sie in ihrer Studentenzeitschrift "Metamorphosen" vorgestellt hatten, als Buch herauszubringen; und da man dafür einen Verlag braucht, entschlossen sie sich, einen zu gründen.

    "Wir haben uns dann abends zusammengesetzt, und überlegt, wie wird das Buch aussehen, welche Gedichte kommen rein, also mehr hatten wir gar nicht inpetto... Wir hatten uns da auch nicht überlegt, wie es weitergehen soll, wir hatten nur dieses eine Buch. Der Name, würde ich sagen, ist ne Schnapsidee gewesen, also wirklich so, man saß abends beisammen und hat nach nem Namen gesucht, der irgendwie einen Klang haben sollte, und vielleicht auch soon Klang, dass man denkt, na, den gibt’s doch schon länger, und der hat irgendwie auch was Besonderes.... Und gleichzeitig hatten wir natürlich auch als Studenten so die Vorstellung, wir müssen raus aus dem Elfenbeinturm, das hatte schon auch was damit zu tun, wir wollen nicht darin versauern, wir machen was, was Zukunft hat. "

    Die Zukunft kündigte sich im folgenden Jahr mit portugiesischer Literatur an. 1997 war Portugal Themenschwerpunkt auf der Frankfurter Buchmesse. Durch Zufall war ihnen der Erzählungsband eines jungen portugiesischen Autors in die Hände gefallen. Und portugiesische Literatur nimmt bis heute einen besonders großen Raum ein im kleinen, aber auserlesenen Programm des Elfenbein Verlags.

    "Wir haben einen jungen portugiesischen Autor José Rico Direitinho mit einem Erzählband herausgebracht, gleichzeitig erschien bei Hanser ein Roman von diesem jungen Autor, und das war natürlich für uns nicht schlecht, denn beide Bücher wurden immer sozusagen im Doppelpack besprochen, und zwar an namhafter Stelle, also eigentlich in allen wichtigen Feuilletons, und das hat uns richtig gute Publicity eingebracht, auf der Buchmesse kamen immer wieder Leute, die es sich angeschaut haben, ja das war der erste große Schritt. Und gleichzeitig haben wir noch einen anderen portugiesischen Autor verlegt....., aus den zwanziger Jahren, Antonio Botto, mit seinen Cancoes, also Liedern, von dem man lange Zeit gedacht hatte, er sei vielleicht eines der weiteren oder der vielen Heteronyme Fernando Pessoas, ....er ist natürlich eine eigene literarische Gestalt gewesen, .......auf jeden Fall haben wir das Buch herausgebracht mit einem Nachwort von Fernando Pessoa, also mit einem Essay, den Pessoa über Bottos Lyrik geschrieben hatte, und das hat auch Wellen geschlagen. "

    Der Höhepunkt ihrer intensiven Beschäftigung mit der portugiesischen Literatur war die Neuausgabe der Lusiaden von Luis de Camoes zur 500. Wiederkehr der Entdeckung des Seewegs nach Indien durch Vasco da Gama. Mit der von Hanns-Joachim Schaeffer neuübersetzten, bibliophil gestalteten Ausgabe landete der Verlag regelrecht einen Coup, der in den großen Feuilletons für seine präzise Übersetzung und gründliche Kommentierung gelobt wurde. Das Besondere an dieser wie auch an der zwei Jahre später herausgegebenen Neuausgabe des Hauptwerks des griechischen Dichters Odysseas Elytis, "To Axion Esti – Gespriesen sei" war die Zweisprachigkeit. Elytis’ bedeutendes Werk erschien 1999 in einer überarbeiteten Übersetzung von Günter Dietz, der es vor dreißig Jahren schon einmal übersetzt hatte. Zweisprachige Ausgaben sind eine Seltenheit auf dem Büchermakrt geworden. Und oft sind es gerade die kleineren Verlage, die das finanzielle Wagnis eingehen, wichtige Werke der Weltliteratur in zweisprachigen Ausgaben vorzulegen.

    " Wir hatten immer auch Leute, die uns unterstützt hatten, muss ich schon sagen, also, wenn Sie nach Geld fragen, es war immer so, dass es auch durch tatkräftige Unterstützung von vielen Freunden das gelungen ist. So was geht auch nicht allein, das kann man gar nicht allein, auch die Übersetzer, ich meine, das ist ja im Endeffekt auch Selbstausbeutung, wenn man son Buch übersetzt und im Endeffekt nicht das bekommt, was man eigentlich bekommen müsste, nämlich was stundenweise dem Wert entspricht, das geht aber gar nicht, das kann wahrscheinlich nicht mal ein großer Verlag leisten, es sei denn man hat einen Autor wie Marques oder Isabel Allende, das verkauft sich gut und da kann man auch den Übersetzern Entsprechendes bezahlen, man kann sie sogar beteiligen. Aber in so einem kleinen Verlag muss es andere Lösungen geben und das ist eben das Gute daran, ....., wenn wir was dran verdienen, dann gebe ich das auch weiter, ich kann nur keine Vorschüsse zahlen, zumindest keine großen. "

    Das Programm des Elfenbein Verlages ruht auf zwei Säulen. Die eine gilt der Wiederentdeckung vergessener Autoren der klassischen Moderne, die andere zeitgenössischer Literatur. Besonders, was die Wiederentdeckung vergessener Autoren betrifft, betätigten sich die jungen Verleger erfolgreich als Trüffelsucher, bevorzugt im deutschsprachigen und portugiesischen Raum, aber auch in der französischen, tschechischen und ungarischen Literatur.

    So brachten sie eine zweibändige Werkausgabe des zu Lebzeiten viel beachteten expressionistischen Schriftstellers Anton Schnack heraus und die gesammelten Werke der in den zwanziger Jahren früh verstorbenen Schriftstellerin Maria Luise Weissmann unter dem vielsagenden Titel "ich wünsche zu sein, was mich entflammt". Im Elfenbein Verlag erschien eine Sammlung von Dichtungen des in den 1890er Jahren zu den führenden Vertretern der literarischen Avantgarde Frankreichs zählenden Marcel Schwob und der erste, ins Deutsche übersetzte Roman des unter dem Pseudonym P. Howard bekannt gewordenen ungarischen Schriftstellers Jenö Rejtö, "Ein Seemann von Welt". Rejtö, der von den Nazis in ein Arbeitslager in der Ukraine deportiert wurde, wo er 1943 erfror, zählt als Meister parodistischer Abenteuer- und Kriminalromane in Ungarn heute zu den beliebtesten Schriftstellern. Die achtbändige Werkausgabe des expressionistischen Exzentrikers, rastlosen Träumers und Genießers Klabund entstand mit Unterstützung der Erben, denen an einer Gesamtausgabe seiner Werke gelegen war. Die Wiederveröffentlichung von Peter de Mendelssohns Roman "Fertig mit Berlin?" war auch und nicht zuletzt eine Referenz an die Stadt, in die der Verlag im Jahr 2001, einem lang gehegten Wunsch folgend, umzog. Seitdem residiert er im Hinterhof eines noch nicht sanierten Gewerbekomplexes im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg, der sich allmählich zu einem Refugium für Kleinverlage entwickelt.
    " Das hat dem Verlag dann aber auch sehr gut getan. In diesem ersten Jahr in Berlin haben wir einen gewaltigen Sprung noch mal nach vorn gemacht, (also) wir haben durch die vielen Kontakte, die wir neu geknüpft haben, zu wichtigen Institutionen und wichtigen Persönlichkeiten der Stadt,
    die ja auch Freunde geworden sind; ......, die haben uns sehr geholfen; und auch schon die Nähe zur Presse, die war viel stärker gegeben, damals hatte die FAZ noch ihre Berlinseiten, war noch viel stärker präsent, als es heute vielleicht ist, ....... H. war wichtig für den Anfang, H. in dem es eben keinen anderen Verlag gab, so wie uns, der sich neu gegründet hat....... Berlin war dann wichtig, dann noch mal einen neuen Schritt zu gehen, auch mit unserem ersten Berlintitel, "Fertig mit Berlin" von Peter de Mendelssohn, das ist ja auch hier sehr angekommen und hat uns Beachtung eingebracht."

    Literaturbegeisterung, Mut und Standfestigkeit haben die beiden Verleger in dem nun mehr als zehn Jahren bestehenden Verlag manche Trouvaillen ans Tageslicht fördern lassen, die von einer allmählich wachsenden Leserschaft dankbar angenommen werden. Das zeige sich auch bei den vom Verlag gelegentlich veranstalteten Lesungen, wie Drzecnik mit Genugtuung vermerkt. Eigene Veranstaltungen und gute Rezensionen sind ihm wichtiger als eine aufwendige Werbung, für die ohnehin das Geld fehle. Was die leidige Frage nach dem Geld angeht, so strahlt Drzecnik, der neben der Verlagsarbeit soeben das Lehrerexamen gemacht hat, trotz aller Schwierigkeiten eine große Zuversicht aus.

    "So viel Geld braucht man dafür nicht, wenn man das in kleinem Rahmen hält und wenn man eben seine Kosten auch versucht zu reduzieren. Und es ging uns immer um Literatur, und nicht darum, damit jetzt groß Geld zu verdienen. Wir haben ja auch nicht viel Geld in die Werbung stecken können, das einzige, was wir gemacht haben, waren diese Vorschauprospekte, die man machen muss, damit man im Buchhandel überhaupt wahrgenommen wird, alles andere ist eben doch über die Presse gelaufen am Anfang, wir haben dadurch, dass wir doch sehr, sehr gute Presse hatten, und nicht nur kleine Bemerkungen, sondern große, ganzseitige zum Teil, also ich denke gerade an Klabund und "Die Lusiaden", das waren ganzseitige Besprechungen; ........ das hat uns viel eingebracht, an Verkauf, an Renommé, an Bekanntheitsgrad. "

    Misslich findet Drzecnik die immer kürzer werdende Laufzeit literarischer Produkte, die in krassem Gegensatz stehe zur Langlebigkeit gehaltvoller literarischer Werke. Im Elfenbein Verlag sind noch alle Bücher vorrätig, manche in der zweiten oder dritten Auflage. Und es komme auch schon einmal vor, dass ein Buch erst ein Jahr nach seinem Erscheinen rezensiert werde, was durchaus auch als ein Hinweis auf seine besondere Qualität verstanden werden darf.

    Ein solches, wenn auch verspätetes Interesse erhofft er sich für den bereits im vergangenen Herbst erschienenen Tagebuch- und Erinnerungsband "Reise zur Wiege der Menschheit. Indische Erzählungen" des 1883 geborenen und 1916 an Tuberkulose gestorbenen italienischen Erzählers Guido Gozzano. Und es spricht einiges dafür, dass sich die eindrucksvollen, vom französischen Symbolismus beeinflussten Beschreibungen indischer Mythen und Traditionen, die zum Teil bis heute erhalten geblieben sind, doch noch zu einem Erfolgsschlager mausern, auch wenn das Buch bisher weder bei der Kritik noch beim Publikum Beachtung gefunden hat. Immerhin steht die diesjährige Frankfurter Buchmesse im Zeichen der indischen Literatur als Themenschwerpunkt.

    " Ich habe bei vielen Büchern schon erlebt, dass sie später rezensiert wurden, also insofern habe ich keine Furcht davor, dass ein Buch durchfällt, was bei großen Verlagen der Fall ist. Also wenn Suhrkamp ein Buch nicht im Jahre des Druckes unterbringt im Feuilleton, dann ist es durch, und das ist natürlich katastrophal, und für uns ist es nicht katastrophal, denn das Buch ist querfinanziert durch andere Bücher, die besser liefen, insofern ist es keine finanzielle Katastrophe, aber es wäre natürlich schade, wenn der Autor nicht irgendwie doch entdeckt werden würde."