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Literarischer Geiger
Gidon Kremer: "Briefe an eine junge Pianistin", Braumüller Literaturverlag, Wien

Der Geiger Gidon Kremer ist einer der bedeutendsten Instrumentalisten unserer Zeit. Sein neues, aus drei Teilen bestehendes Buch "Briefe an eine junge Pianistin" bietet jedoch nur allgemeine Botschaften: Lieber solle man sich eine von Kremers großartigen Aufnahmen zulegen, meint Rezensent Martin Ebel.

Von Martin Ebel |
    Es gibt viele Gründe, den Geiger Gidon Kremer zu bewundern. Er ist einer der bedeutendsten Instrumentalisten unserer Zeit. Er setzt sich für zeitgenössische Musik ein, spielt nicht nur Mozart und Mendelssohn, sondern auch Reimann und Schnittke, Nono und Glass - und jüngst sogar Tangos von Astor Piazzolla. Um junge baltische Musiker zu fördern, hat der aus dem seinerzeit noch sowjetischen Riga stammende Kremer ein eigenes Kammerorchester gegründet, es wortspielend "Kremerata Baltica" genannt und zu einer eigenen Marke gemacht. Und er pflegt von Jugend auf die Kammermusik, die innigste, tiefsinnigste, wertvollste Sparte der klassischen Musik. Eigens dafür hat er das Festival Lockenhaus ins Leben gerufen. Kremers Interpretationen zielen nicht auf Effekt und Glamour, sondern immer auf den Kern, den Sinn des Werks, mag der auch schwierig und spröde sein.
    Das waren Jubelakkorde für Gidon Kremer, in strahlendem Dur gehalten. In gedämpftes Moll dagegen müssen die Bemerkungen über sein neues Buch getaucht werden. Dass Kremer schreiben kann und etwas zu sagen hat, ist bewiesen durch berührende autobiografische Texte. Diese "Briefe an eine junge Pianistin" sind eher ein Gelegenheitswerk, das nur solchen Fans des Geigers empfohlen werden kann, die alles, aber auch wirklich alles von ihm besitzen müssen.
    Das Buch ist eigentlich ein Büchlein und besteht aus drei Teilen. Den Hauptteil bilden die titelgebenden Briefe, geschrieben zwischen 2010 und 2012. Empfängerin ist eine gewisse Aurelia, hinter der manche schon die junge georgische Pianistin Katia Buniatishvili vermuteten. Das ist aber erstens Spekulation und zweitens unerheblich. Denn wer immer sie ist, diese Pianistin ist bloss stumme Zuhörerin der Lektionen des Dozenten Kremer. Und was lehrt dieser Dozent? Treue zu den grossen Meistern, Hören auf die innere Stimme, die Suche nach dem eigenen Ton, vor allem aber Misstrauen gegenüber dem schnellen, billigen Erfolg und allen dazugehörigen Aspekten: Mainstream und und Markt, Sponsoren und Potentaten, Establishment und Starwesen.
    Man hört die Botschaft schon im ersten Brief und ist nicht einmal verstimmt, denn Kremer hat ja recht. Aber man hat so schnell begriffen, was er will, dass man sich nach der x-ten Wiederholung, um sich nicht endlos zu langweilen, zu vorsichtigem Widerspruch aufrafft. Und zu Gegenfragen. Was unterscheidet falsche von echter Brillanz? Sind äusserliche Effekte nicht notwendiger Teil der Virtuosität? Ist Erfolg bei einem Massenpublikum wirklich ein Indiz dafür, dass man für die wahre Musik verloren ist? Darf eine junge Pianistin nicht erst einmal mit den Reissern und Schlachtrössern aufwarten, bevor sie in ihre Konzerte, wie das Lehrmeister Kremer tut, Abseitiges und Schwieriges einstreut? Kurz: Inwieweit helfen diese Warnungen und Hinweise der jungen Adressatin überhaupt? Sie sind eher dazu angetan, ihr Schuldgefühle zu machen - unproduktive noch dazu. Denn ganz offensichtlich ist sie sich der Verpflichtung, die aus dem Umgang mit grossen Werken erwächst, ja bewusst - dafür spricht die fiktive Gegenrede, die Kremer manchmal in seine Briefe einflicht. Er könnte ihr also einfach zutrauen, ihren Weg zu gehen, ohne sich zu verlieren.
    Kremers Botschaft ist nicht falsch, aber unbefriedigend, weil sie allgemein bleibt. Gern wüsste man mehr über die Zwänge des Konzertbetriebs, über den Einfluss von Veranstaltern auf die Programmgestaltung, vor allem aber, wie man sich diesen Zwängen stetig und beharrlich entzieht. Hier schweigt Kremer. Stattdessen hören wir Binsenweisheiten und Gemeinplätze. Bach zu spielen, ist ein "Gespräch mit der Ewigkeit". Und "nur der überlebt, der sich am Ewigen orientiert". Wie Lipatti, Furtwängler, Bernstein. Solche Ewigkeitskünstler - dazu gehören weiter noch Martha Argerich, Jascha Heifetz, Friedrich Gulda – soll man sich zum Vorbild nehmen, nicht aber ihnen sklavisch nachfolgen. Hüten soll man sich vor denen, die "unsere Seele verkaufen wollen" - das sind nun aber Agenten, Manager, Organisatoren, ohne die das Konzertleben nicht funktioniert. Aus Gidon Kremers Briefen spricht die Verachtung eines, der ganz oben angekommen ist, für die, ganz ohne die er kaum dorthin gekommen und geblieben wäre. Und ohne die es ein junger Künstler heute erst recht nicht schafft.
    In einem zweiten Teil, der "Albtraumsinfonie", entwickelt Kremer in Gestalt eines Traumes eine Negativfolie des Konzertbetriebs: Da spielt ein "Orchester der vereinten Nichtskönner", und natürlich hat es Riesenerfolg. Eine milde Satire. Ganz ernst gemeint dann wieder der Schlussteil, der "Dekalog eines Interpreten", in dem grosso modo die schon bekannten Themen und Lehren wiederkehren. Ehrfurcht vor den grossen Meistern, künstlerischer Ernst und Bescheidenheit, Dienst an der Musik, Zeit für Pausen und Stille, Suche nach dem Eigenen und Wahren. "Wahre Musik", schreibt Kremer, "ist wahrhaftig und aufrichtig. Sie geht von Herz zu Herz." Wie wahr - und wie tautologisch. Wer den Geiger Kremer liebt, kaufe lieber eine seiner großartigen Aufnahmen.
    Gidon Kremer: Briefe an eine junge Pianistin. Aus dem Russischen von Rosemarie Tietze und Claudia Zecher. Braumüller Literaturverlag, Wien 2013. 120 Seiten, 18.90 Euro