Freitag, 26. April 2024

Archiv

Literatur-Experiment
Waggon-Geschichten auf dem Ring

Eine S-Bahn ist wohl nicht der heimeligste Ort, um konzentriert zu arbeiten. Einige Hauptstadt-Literaten sehen das offenbar anders: 24 Stunden haben Kreative am Wochenende Texte in der Berliner Ringbahn verfasst. In vielen Sprachen und auf dem Smartphone oder Laptop.

Von Florian Fricke | 09.02.2015
    Eine S-Bahn in Berlin.
    Ja, auch hier lässt sich's schreiben. Eine S-Bahn in Berlin. (picture alliance / dpa / Paul Zinken)
    Also Samstag, 12 Uhr mittags, S-Bahnhof Schönhauser Allee. Wie viele Autoren seid ihr?
    Nicoletta Grillo: "Sieben. Das ist ein bisschen so diese Idee, man hat einen strengen Rahmen, also ganz schwierige Voraussetzungen. Und man muss schreiben. Und die Idee ist auch ein bisschen, dass wir ein bisschen multikulti sind, also ich bin Italienerin, Französin, Deutsche ein Belgier..."
    Ihr werdet jetzt zwei Stunden lang nur auf der Ringbahn unterwegs sein?
    Amélie Vrla: "Also das wichtigste ist das, was kommt am Ende. Das ist das Ziel, dass wir 24 Stunden schreiben, aber mal sehen, wie es wirklich läuft."
    Und hast du schon irgendeine Idee, über was du jetzt schreiben wirst?
    Amélie Vrla: "Ein bisschen – ich weiß nicht, wie es heißt auf Deutsch: La Ronde von Arthur Schnitzler."
    Der Reigen
    Amélie Vrla: "Der Reigen. Und ich denke, vielleicht eine Reihe von kurzen Geschichten um Leute, die sich auf der S-Bahn treffen.Also ein Typ trifft jemand, der trifft jemand... mal sehen."
    Die S-Bahn, ist ja nicht so der heimeligste Ort um zu arbeiten, oder?
    Nikita Afanasjew: "Nee, ich glaube wir müssen mit der Zeit einfach ein ganzes Abteil besetzen, und dann wird sich so ein Gefühl schon entwickeln. Ich glaube zum Glück, Hertha hat heute ja kein Heimspiel, das wird es schon mal einfacher machen, den Menschenmassen zu entgehen."
    Du schreibst aber nur – die meisten Kollegen haben einen Laptop, und du schreibst anscheinend auf einem Smartphone.
    Nikita Afanasjew: "Genau, ich schreibe auf dem Smartphone und gucke, wie sich das ergibt. Ich habe ach einen Laptop mit, falls meine Strategie der kurzen Form scheitert."
    Ihr habt jetzt vier Autoren im ersten Abteil. Schottet man sich da nicht ein bisschen ab von der realen Welt?
    Robert Klage: "Ganz klares Ja, natürlich."
    Nikita Afanasjew: "Das ist ja auch das Ziel. Man geht in die Welt hinaus, um sich von ihr abzuschotten."
    Ach wirklich?
    Nikita Afanasjew: "Na ja, etwas sarkastisch gesagt, aber klar, am Ende ist man ja doch alleine mit sich und dem Computer oder dem Blog oder ähnlichem."
    Ja, Ringbahn fast oder ziemlich genau 23 Stunden später. Wie war der kreative Output?
    Patrick Weh Weiland: "Ich hoffe ganz okay. Ich bin mir nicht ganz sicher. Ich werde das erst morgen oder übermorgen checken. Dafür hatte ich noch keine Zeit. Aber doch es sind ein paar sehr gute Sachen dabei rumgekommen, denke ich."
    Träumt ihr schon von S-Bahn-Stationen, eigentlich?
    Nicoletta Grillo: "Nein, aber ich muss sagen, als ich ausgestiegen bin und dann in dem Café gesessen, da hatte ich den Eindruck, ich rolle weiter."
    Ein bisschen, wie wenn man aus dem Flugzeug steigt.
    Amélie Vrla: "Oder auf einem Boot, ja."
    Und wie war der kreative Output? Seid ihr zufrieden? Roman fast fertig?
    Nicoletta Grillo: "Ich habe einen sentimentalen philosophischen Reiseführer geschrieben über Berlin."
    Den Ringbahn-Reiseführer?
    Nicoletta Grillo: "Nein nein, einen Berlin-Reiseführer. Ich habe so eine Liebe-Hass-Beziehung zu Berlin, also manchmal kann ich nicht mehr, kann diese Stadt nicht mehr ertragen. Aber es war wirklich so gut, sich wieder auseinanderzusetzen mit der Stadt mit diesem Blick: Ich muss was drüber schreiben, muss was erfinden, was auch schön ist. Also ich hoffe, der Text ist auch gut, aber persönlich hat mir viel gebracht."
    Robert Klage: "Ich habe mittlerweile hier, schreibe schon seit drei Seiten darüber, dass ich jetzt mit dem Schreiben aufhöre. Das war's. Schluss jetzt! Schnauze voll, ich und Literatur gehen jetzt getrennte Wege. Das war's."
    Ach so, das ist vielleicht sogar dein Fazit?
    Robert Klage: "Ja ja, ich höre auf. Mach mal was anderes, mal ne Bienenzucht oder so. Ein bisschen mehr arbeiten wieder. Mensch werden auch."
    So, noch zwei Stationen. Wir denken jetzt bitte langsam ans aufhören, ja? Den Gedanken noch zu Ende bringen.
    Nicoletta Grillo: "Aber das hat Paul Valery, der französische Dichter, der sagte: Eigentlich ein Werk ist nie zu Ende. Es geht nur zu Ende, weil es kommt der Verleger und sagt, jetzt aber reicht es, jetzt brauche ich das. Ah ja, wir haben es geschafft."