Karin Fischer: In Sofia sind innerhalb von 24 Stunden ein Geschäftsmann erschossen und ein bekannter Autor von Büchern über die Mafia durch Kopfschüsse lebensgefährlich verletzt worden. Der 35-jährige Publizist Georgi Stoew war erst vor zehn Tagen in einem Politmagazin im Fernsehen aufgetreten, und die Moderatorin der Sendung hat nun den Anschlag auf Stoew in direkten Zusammenhang mit diesen Fernsehauftritt gebracht. Frage an den Journalisten und Übersetzer Thomas Frahm in Sofia, dass eine Mafia in Bulgarien gibt, ist bekannt, dass dort auch Schriftsteller oder Autoren gefährlich leben, war noch nicht so klar. Wer ist Georgi Stoew, und was hat ihn zur Zielscheibe gemacht?
Thomas Frahm: Ja, die Antwort ist wie alle Antworten, die man aus Bulgarien geben kann, sehr verflochten. Und zwar ist, wie ich schon vermutet hatte, Georgi Stoew der Informant des wichtigsten Schriftstellers über die Mafia gewesen, Hristo Kaltschew, der also nach der Wende der einzige Autor war, der die Auflagen von vor der Wende halten konnte, so hundertausender Auflagen. In seinen Büchern hat er nicht literarische Fiktion gemacht, sondern sozusagen dokumentarisch beschrieben, was sich in der Mafiawelt Bulgariens getan hatte.
Doch während Hristo Kaltschew eines natürlichen Todes gestorben ist vor zwei Jahren, ist eben Georgi Stoew, sein Informant, wohl tiefer in die Sachen verstrickt gewesen als allgemein vermutet wurde. Er hat zwar selber auch wichtige Bücher über die Mafiastrukturen in Bulgarien jetzt in den letzten Jahren vorgelegt, aber sein Redakteur Vlado Daverov ist der Meinung, dass nicht mehr die Bücher Grund sind, einen Autor umzubringen und auch nicht direkt die Fernsehsendung "Seismograf", im größten Privatsender Bulgariens.
Fischer: Sie haben Kaltschew erwähnt. Das ist ja ein Autor, der in Bulgarien den Mafiaroman sozusagen als Genre etabliert hat, um jetzt mal sozusagen auf der Seite der Literatur zu bleiben. Ist das eine neue literarische Tradition geworden?
Frahm: Ja, das kann man schon sagen. Man muss sich natürlich vorstellen, dass die Literatur in Bulgarien nach der Wende tot war, zumindestens was bulgarische Autoren war. Es strömte aus dem Westen alles das ins Land, was vorher verboten war, und das war natürlich vor allen Dingen Sex und Crime. Kaltschew, der immer schon damit geliebäugelt hat, er hat sich unter Kollegen immer als Nichtschriftsteller präsentiert, er hat gesagt, ich mach jetzt Romane, aber sozusagen als Nichtliteratur, und die Romane waren so dokumentarisch, dass wenn ein Buch von ihm rauskam, in dem der Mord eines Mafiapaten beschrieben wurde, der dann innerhalb der nächsten Zeit in der Tat umgebracht worden ist und die Auflagen fördern. Die Suspense in der ganzen Geschichte bestand dann darin, dass alle sich fragten, wo kommt der Mann an diese Informationen ran. Und jetzt vermutet man, dass es dieser Georgi Stoew gewesen ist, der ihm diese hautnahen Informationen beschafft hat.
Fischer: Sie haben das Buch "Verfall" von Vladimir Zarev übersetzt. Ein Schriftsteller und Romanautor, den man nun nicht direkt mit der Mafia in Beziehung setzen kann. Und er hat in diesem Roman sehr gut beschrieben, wie sich eine staatliche Elite nach der Wende am Volkseigentum bedient und sehr schnell mafiöse Strukturen sich etablieren, die bedeuten, Alkoholika oder was auch immer am Zoll vorbei ins Land zu schmuggeln und dadurch reich zu werden. War das damals für Zarev auch in irgendeiner Hinsicht gefährlich?
Frahm: Er selbst hat es neulich auf einer Lesung in Berlin gesagt, dass in der Tat er ständig natürlich mit der Angst lebt. Um aber noch mal den Bogen zu schlagen, zurück zu Georgi Stoew. Er hat schon 2006 in einem Fernsehinterview gesagt, dass die beiden größten organisierten Verbrechensvereinigungen in Bulgarien im Auftrag der ehemaligen bulgarischen Staatssicherheit gegründet wurde, und zwar eben, um die Leute einzuschüchtern, die damals massenhaft auf die Straßen gegangen sind. Es war richtig einer der letzten Sabotageakte der Schivkov-Ära, die dann eben diese merkwürdige Verzerrung der demokratischen Entwicklung hier verursacht haben.
Fischer: Wie würden Sie das Verhältnis von Literatur und Realität derzeit in Bulgarien beschreiben?
Frahm: Seit der Jahrtausendwende kann man in Bulgarien eine Tendenz beobachten, dass die Menschen bereit sind, sich der eigenen Wirklichkeit zu stellen. Bulgaren sind sehr, sehr empfindlich, sehr, sehr darauf bedacht auf das Ansehen, auf das äußere Erscheinungsbild und so weiter. Und sich dieser furchtbaren Wirklichkeit der 90er Jahre zu stellen, sind sie lange nicht bereit gewesen. Das ist jetzt eine neue Tendenz in den letzten Jahren. Und Zarevs Roman ist jetzt bei Weitem keine Ausnahme mehr. Da drängen auch jüngere Autorengenerationen nach, junge Leute beschreibt, die Brüche in der Psyche der jungen Leute, die einfach sich weder mit dem Vorher noch mit dem Nachher identifizieren können und in irgendeinem Niemandsland leben. Das ist etwas, das vermutlich in der Literatur jetzt eine der wichtigsten Tendenzen sein wird. Die Wende in Bulgarien psychologisch gesehen kommt noch.
Fischer: Herzlichen Dank an Thomas Frahm für diese Einschätzungen.
Thomas Frahm: Ja, die Antwort ist wie alle Antworten, die man aus Bulgarien geben kann, sehr verflochten. Und zwar ist, wie ich schon vermutet hatte, Georgi Stoew der Informant des wichtigsten Schriftstellers über die Mafia gewesen, Hristo Kaltschew, der also nach der Wende der einzige Autor war, der die Auflagen von vor der Wende halten konnte, so hundertausender Auflagen. In seinen Büchern hat er nicht literarische Fiktion gemacht, sondern sozusagen dokumentarisch beschrieben, was sich in der Mafiawelt Bulgariens getan hatte.
Doch während Hristo Kaltschew eines natürlichen Todes gestorben ist vor zwei Jahren, ist eben Georgi Stoew, sein Informant, wohl tiefer in die Sachen verstrickt gewesen als allgemein vermutet wurde. Er hat zwar selber auch wichtige Bücher über die Mafiastrukturen in Bulgarien jetzt in den letzten Jahren vorgelegt, aber sein Redakteur Vlado Daverov ist der Meinung, dass nicht mehr die Bücher Grund sind, einen Autor umzubringen und auch nicht direkt die Fernsehsendung "Seismograf", im größten Privatsender Bulgariens.
Fischer: Sie haben Kaltschew erwähnt. Das ist ja ein Autor, der in Bulgarien den Mafiaroman sozusagen als Genre etabliert hat, um jetzt mal sozusagen auf der Seite der Literatur zu bleiben. Ist das eine neue literarische Tradition geworden?
Frahm: Ja, das kann man schon sagen. Man muss sich natürlich vorstellen, dass die Literatur in Bulgarien nach der Wende tot war, zumindestens was bulgarische Autoren war. Es strömte aus dem Westen alles das ins Land, was vorher verboten war, und das war natürlich vor allen Dingen Sex und Crime. Kaltschew, der immer schon damit geliebäugelt hat, er hat sich unter Kollegen immer als Nichtschriftsteller präsentiert, er hat gesagt, ich mach jetzt Romane, aber sozusagen als Nichtliteratur, und die Romane waren so dokumentarisch, dass wenn ein Buch von ihm rauskam, in dem der Mord eines Mafiapaten beschrieben wurde, der dann innerhalb der nächsten Zeit in der Tat umgebracht worden ist und die Auflagen fördern. Die Suspense in der ganzen Geschichte bestand dann darin, dass alle sich fragten, wo kommt der Mann an diese Informationen ran. Und jetzt vermutet man, dass es dieser Georgi Stoew gewesen ist, der ihm diese hautnahen Informationen beschafft hat.
Fischer: Sie haben das Buch "Verfall" von Vladimir Zarev übersetzt. Ein Schriftsteller und Romanautor, den man nun nicht direkt mit der Mafia in Beziehung setzen kann. Und er hat in diesem Roman sehr gut beschrieben, wie sich eine staatliche Elite nach der Wende am Volkseigentum bedient und sehr schnell mafiöse Strukturen sich etablieren, die bedeuten, Alkoholika oder was auch immer am Zoll vorbei ins Land zu schmuggeln und dadurch reich zu werden. War das damals für Zarev auch in irgendeiner Hinsicht gefährlich?
Frahm: Er selbst hat es neulich auf einer Lesung in Berlin gesagt, dass in der Tat er ständig natürlich mit der Angst lebt. Um aber noch mal den Bogen zu schlagen, zurück zu Georgi Stoew. Er hat schon 2006 in einem Fernsehinterview gesagt, dass die beiden größten organisierten Verbrechensvereinigungen in Bulgarien im Auftrag der ehemaligen bulgarischen Staatssicherheit gegründet wurde, und zwar eben, um die Leute einzuschüchtern, die damals massenhaft auf die Straßen gegangen sind. Es war richtig einer der letzten Sabotageakte der Schivkov-Ära, die dann eben diese merkwürdige Verzerrung der demokratischen Entwicklung hier verursacht haben.
Fischer: Wie würden Sie das Verhältnis von Literatur und Realität derzeit in Bulgarien beschreiben?
Frahm: Seit der Jahrtausendwende kann man in Bulgarien eine Tendenz beobachten, dass die Menschen bereit sind, sich der eigenen Wirklichkeit zu stellen. Bulgaren sind sehr, sehr empfindlich, sehr, sehr darauf bedacht auf das Ansehen, auf das äußere Erscheinungsbild und so weiter. Und sich dieser furchtbaren Wirklichkeit der 90er Jahre zu stellen, sind sie lange nicht bereit gewesen. Das ist jetzt eine neue Tendenz in den letzten Jahren. Und Zarevs Roman ist jetzt bei Weitem keine Ausnahme mehr. Da drängen auch jüngere Autorengenerationen nach, junge Leute beschreibt, die Brüche in der Psyche der jungen Leute, die einfach sich weder mit dem Vorher noch mit dem Nachher identifizieren können und in irgendeinem Niemandsland leben. Das ist etwas, das vermutlich in der Literatur jetzt eine der wichtigsten Tendenzen sein wird. Die Wende in Bulgarien psychologisch gesehen kommt noch.
Fischer: Herzlichen Dank an Thomas Frahm für diese Einschätzungen.