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Literaturfestival Wortgarten in der Uckermark
Vom Umland schreiben

In Fürstenwerder, 130 Kilometer von Berlin entfernt, treffen sich Autoren und Verleger zum Wortgarten-Festival. Eine Erkenntnis: Die besten Texte entstehen dort, wo die Geschichten erst noch entdeckt - und dann mit nötiger Distanz aufgeschrieben werden.

Von Cornelius Wüllenkemper | 09.08.2015
    Ein Landwirt bearbeitet am 03.11.2012 einen Acker im Umland von Riesa in Sachsen.
    Landwirtschaft: Das Umland kann für Autoren inspirierend sein. (picture-alliance / dpa / Arno Burgi)
    "Ich war selten so entspannt bei einer Lesung. Seit ein paar Stunden hier, durch die Sonne gelaufen, in den See gehüpft, meine Badehose verloren. Was man so macht, wenn man im Urlaub ist."
    In einer alten Scheune im 800-Seelen-Dorf Fürstenwerder, 130 Kilometer nördlich von Berlin, machte Tilman Rammstedt keinen Hehl aus seiner Skepsis gegenüber dem, was in der Hauptstadt als "das Umland" bezeichnet wird. Hier kreuzt die Ernst-Thälmann-Straße die Karl-Marx-Straße, es gibt ein Heimatmuseum und eine alte Stadtmauer. Und sogar einen florierenden Buchladen hat dieses erstaunliche Dorf.
    Autoren, Verleger und vereinzelte Journalisten waren angereist, um darüber zu sinnieren, was Literatur und Natur eigentlich zusammenhält, ob die besten Geschichten vielleicht doch auf dem Dorf zu finden sind. Oder ob man tatsächlich am besten schreibt, wenn der Wald am offenen Fenster rauscht. Sommerliche Fragen, auf die der gebürtige Ostwestfale Rammstedt in seinem Text "Umland" herrlich ironische Antworten gab.
    "Und jajajajaja, ich weiß, ich sollte mal mitkommen ins Umland. Man hat mir erzählt vom Umland. Von Orten, die ich noch nie gehört hatte. Und von Seen und Wäldern in kaum zu bewältigenden Portionen. Es wurde erzählt vom Klöstern und Ruinen und Festen mit Lampions und glücklich verdreckten Kindern. Ich habe vom Umland schon gehört als idealen Ort für Geburtstag und Hochzeiten und Pilze. Ich habe davon gehört als Schatztruhe und als Geheimtipp und Erlebnispark. Als Trost habe ich davon gehört, dass das Umland ja immerhin schön sei, ganz im Gegenteil zu dem nun leider überhaupt nicht schönen Inland."
    Mit wenigen Worten hatte Rammstedt am Eröffnungsabend des Wortgarten-Festivals in Fürstenwerder alles gesagt: Natur kann natürlich inspirierend sein für einen Autor, aber auch das Gegenteil ist richtig.
    "Ich habe mich, glaube ich, von Natur noch nie inspirieren lassen, dafür spricht die Natur zu leise. Oder ich achte da doch nicht so darauf. Aber ich finde die Vorstellung sehr angenehm, sich nicht inspirieren zu lassen und trotzdem Bäume um einen zu haben. Nicht alles verwerten zu müssen. Man kann auch einfach mal sehr lange geradeaus laufen. Das mache ich auch ganz gerne."
    Land als Quelle literarischer Stoffe
    Nicht als Inspirationspause, sondern als wertvolle Quelle literarischer Stoffe versteht die gebürtige Niederländerin Pauline de Bok die Landschaft im Norden Brandenburgs. In den 1990er-Jahren schrieb de Bok eine äußerst beachtenswerte literarische Reportage über das, was der Zerfall der DDR mit den Menschen auf dem Lande macht, fernab von Hauptstadt und Weltpolitik.
    "Was mich eigentlich interessiert, ist, wie Leute leben mit allem, was in ihrem Leben passiert ist, also mit Kriegen. Da ist hier so viel passiert, und die Flüchtlinge ... Und wie die Leute dann weiterleben und wie die sich durchschlagen, und ja, wie Leute funktionieren, wie Menschen funktionieren. Und ich liebe die Landschaft. Und ich gehe jetzt ja auch zur Jagd. Und das wird auch das Thema des nächsten Buches sein."
    In ihren Romanen "Blankow oder Das Verlangen nach Heimat" und im bald erscheinenden "Dorf. Geschichten aus Fürstenhagen" nimmt sich Pauline de Bok der kleinen Geschichten an, aus denen die große politische Geschichte erst hervorgeht. Sie sucht in alten Stasi- oder Stadtarchiven oder spricht mit den Dorfbewohnern. Der Landarzt, der in de Boks Text über die Nachwendezeit in Fürstenwerder gegen den regimetreuen Bürgermeister protestiert, steht 25 Jahre später beim Wortgarten-Festival vor der Lesebühne und dankt der Autorin sichtlich gerührt.
    Ein paar Kilometer weiter, wirklich mitten im Wald auf dem alten Gutshof Bülowsiege, liest Saša Stanišić dann aus seinem Roman "Vor dem Fest", für den er im vergangenen Jahr den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt. "Vor dem Fest" ist in Fürstenwerder entstanden, seine Geschichte über ein Dorf und seine Bewohner konnte Stanišićs hier mit der Wirklichkeit abgleichen. Auf einem Spaziergang führt der Autor die Festivalbesucher zu den Orten, die ihn zu Szenen und Figuren aus seinem Roman inspiriert haben.
    "Mit dem Blick auf die Felder, da hat man natürlich eine Ruhe und auch eine Art der Weitläufigkeit der Landschaft, die sich schon in das Schreiben hineinspielt. Aber ich weiß nicht, ob das auch so wäre, wenn mein Text nicht von dieser Landschaft handeln würde. Ich habe hier schon sehr viel Ruhe gefunden und Zeit, um diese Geschichten aufzuschreiben. Aber ich weiß auch, dass das nicht jedermanns Sache ist, weil andere Autoren das überhaupt nicht können und lieber in einem Café sitzen, wo Leute mit ihnen reden. Aber ich denke, dass das über das Land schreiben und dabei auf dem Land sein sich bedingt und beeinflusst."
    Auch der im kommenden Jahr erscheinende Erzählungsband von Sasa Stanišić wird vier Geschichten enthalten, die in der Uckermark spielen. Der 1982 in Bosnien-Herzegowina geborene Autor hat sich ebenso wie die Niederländerin Pauline de Bok in seinen Texten den Blick von außen bewahrt.
    Das ist eine Erkenntnis nach diesem sommerlichen literarischen Treffen in der Natur: Die besten Texte entstehen dort, wo die Geschichten erst noch entdeckt und dann mit nötiger Distanz aufgeschrieben werden.