Nach der Grenzstation zwischen den indischen Bundesstaaten Assam und Arunachal Pradesh geht die Fahrt durch dichten Dschungel. Am Rand der schmalen Piste, die sich mühsam die Himalajaberge aufwärts schlängelt, sieht man nur gelegentlich Hütten von Straßenarbeitern. Feuer lodert unter einer großen Wanne mit Teer. Männer rühren darin mit Holzpflöcken. Andere sortieren Steine der Größe nach, die vorher von Frauen und Kindern klein gehauen wurden. Eine Dampfwalze rollt langsam über einen bereits geteerten Abschnitt.
Auch die Serpentinen reiche Strecke auf den 4200 Meter hohen Sela-Pass wird an vielen Stellen verbreitert. Unterwegs immer wieder Militärlager und Schießübungsplätze. Fahrzeuge der indischen Armee kriechen langsam aufwärts. Durch eine verschneite Schlucht führen Serpentinen hinunter ins Tawang Tal. Mindestens 14 Stunden dauerte die Fahrt vom 350 km entfernten Tezpur in Assam. " I love my India" ist immer wieder auf Schildern am Straßenrand zu lesen, "Ich liebe mein Indien". Tibet und somit zu China liegt von hier aus nur 40 Kilometer entfernt. Den älteren Bewohner von Tawang sitzt der Schreck noch in den Knochen, als 1962 chinesische Soldaten über die Grenze kamen. Der 75 jährige Mönch Wangdü erinnert sich.
"Die indischen Soldaten eilten plötzlich zur Grenze, und wir hörten Schüsse. Da wussten wir, dass etwas passiert ist. Als die chinesischen Soldaten kurz vor Tawang waren, gab die Klosterleitung uns die Genehmigung, das Kloster zu verlassen oder zu bleiben. Panik brach aus. Ein Munitionslager explodierte. Dann hieß es wieder, nein, die Chinesen kommen doch nicht. Flugzeuge kamen und warfen Lebensmittel ab für die Soldaten. Dann war klar, die Chinesen kommen doch, und die meisten flohen."
Das Kloster thront wie ein riesiger weißer Hut über der Ansiedlung auf 3800 Metern Höhe. Buddhisten ist Tawang heilig. Es war einst ein tibetischer Pilgerort, weil hier der 6. Dalai Lama geboren wurde. Drei Monate hielten chinesische Soldaten Tawang, den Selapass und Gebiete südlich davon besetzt. Viele Bewohner versteckten sich damals in den Bergen.
"Chinesen kamen zu Fuß durch den Dschungel, weil die Straße bewacht war. Sie schossen von allen Seiten auf die indischen Soldaten. (55) Sie trugen alle Lebensmittel auf dem Rücken, sonst nur ein Gewehr. Geschlafen haben sie ohne Decken auf dem Erdboden. (57) Hoffentlich schaffen es die Inder, sie beim nächsten Mal abzuwehren, denn eines weiß ich, mit den Chinesen wollen wir nicht zusammen leben. Das sind Dämonen."
Sobald es dunkel wird, wirkt Tawang wie ausgestorben. Die Geschäfte schließen, nur ein einziges Restaurant ist nach sieben Uhr noch geöffnet. Bei Kerzenlicht sitzen die wenigen Gäste in einem niedrigen Raum. Ab 17 Uhr soll es zwar Strom geben, aber darauf kann man sich nicht verlassen. Bis 1914 gehörte Tawang wie ganz Arunachal Pradesh zu Tibet. Danach wurde die so genannte McMahon-Linie entlang der Himalajagipfel gezogen und das Gebiet wurde Britisch-Indien zugeschlagen. Peking erkannte diese Grenzziehung nicht an. Bis in die 1950er Jahre zahlten die Leute von Tawang ihre Steuern weiterhin nach Lhasa, das 400 Kilometer weiter nördlich liegt. Der Blitzkrieg von 1962 war ein Versuch von Seiten der Chinesen, diese Grenzziehung rückgängig zu machen. Ca. 300 000 indische Soldaten stehen heute an der 1000 Kilometer langen McMahon-Linie. Seit es die Eisenbahnlinie von Peking nach Lhasa gibt, die schnelle Truppenbewegungen möglich macht, wird auch südlich der Grenze weiter aufgerüstet. Mindestens 140 unerlaubte Grenzübertritte von Chinesen soll es allein im letzten Jahr gegeben haben. Erst seit 2003 gibt es regelmäßig Gespräche zwischen Indien und China über das Grenzproblem.
Auf der Fahrt in ein Dorf schwärmt unser junger Übersetzer immer wieder von der Entwicklung im nahen Tibet durch die Chinesen: Von den neuen Straßen und dass die Leute dort nicht so viel arbeiten müssten, wie hier in Indien. In Indien herrsche zwar Demokratie, aber kritisieren dürfe man nichts. In China dagegen, so habe er gehört, soll Kritik sogar erwünscht sein, weil es verbessern hilft. Nur dass die Chinesen den Buddhismus unterdrücken, gefällt ihm nicht. In ein Mikrophon möchte er das alles aber nicht sprechen.
In einem kleinen Dorf, 10 Kilometer von Tawang entfernt, steht Sonam Yüton mit Verwandten in ihrer fensterlosen engen Küche und destilliert Raksi, einen Schnaps aus Gerste. Sie ist 40 Jahre alt.
"Ich bin in einem Dorf geboren, das vier Stunden von hier entfernt liegt. Eine Schule gab es dort nicht, lesen und schreiben habe ich nicht gelernt. Als Kind habe ich auf dem Feld gearbeitet. Kartoffeln, Mais und anderes brauchten wir für uns selbst, denn eine Straße gab es zu unserem Dorf nicht. Nun braue ich Gerstenbier, verkaufe Gemüse und manchmal auch Raksi."
Vier Kinder hat Sonam Yüton groß gezogen. Die beiden jüngsten leben in einem buddhistischen Kloster in Südindien. Ihre Vorbildung war so schlecht, dass sie dort zwei Klassen zurückgestuft wurden. Die beiden fast erwachsenen Mädchen leben noch im Dorf. Dass die zur Schule gegangen sind, war eher Zufall, sagt Sonam, denn in diesem Dorf hier gibt es eine. Ihre älteste, Thinley Tsomo, ist allerdings nicht begeistert.
In unserer Dorfschule gibt es nicht genug Lehrer, und die die da sind, haben nicht genug Kenntnisse, uns zu unterrichten, deshalb bin ich später nach Tawang gegangen. Nun bereite ich mich auf die Abschlussprüfung an der Highschool vor. Ich will Lehrerin werden. Bliebe ich hier, könnte ich zwar mein Dorf entwickeln helfen, aber wenn ich die Gelegenheit bekomme, werde ich ganz bestimmt das Tawangtal verlassen, und egal wohin gehen. (.. any place.)
Thinleys Mutter hört das nicht gerne.
"Meine beiden Söhne habe ich fünf Jahre lang nicht gesehen. Das macht mich traurig. Aber auf der anderen Seite ist es natürlich schön, wenn es den Kindern gut geht und meinen Kindern geht es gut."
90 Prozent der Chinesen können lesen und schreiben, in Indien sind es nur 60 Prozent. Chinesen verdienen heute im Durchschnitt doppelt so viel wie Inder. Wirtschaftlich hat China die Nase vorn, Indien politisch. "I love my India" steht wieder am Straßenrand. Im Februar 2008 besuchte der indische Premier Manmohan Singh den Bundesstaat Arunachal Pradesh, Indiens "Land der aufgehenden Sonne", und versprach die Verbesserung der Infrastruktur. Nach Tawang kam er aus Rücksicht gegenüber den Chinesen jedoch nicht. Trotz wirtschaftlicher Vernachlässigung würden sich 90 Prozent der Bewohner hier für ihre Zugehörigkeit zu Indien entscheiden, wenn man sie fragen würde. Ist Olympia erst mal vorbei, könnten die Chinesen wieder einen größeren Angriff wagen, fürchtet so mancher in Tawang.
Auch die Serpentinen reiche Strecke auf den 4200 Meter hohen Sela-Pass wird an vielen Stellen verbreitert. Unterwegs immer wieder Militärlager und Schießübungsplätze. Fahrzeuge der indischen Armee kriechen langsam aufwärts. Durch eine verschneite Schlucht führen Serpentinen hinunter ins Tawang Tal. Mindestens 14 Stunden dauerte die Fahrt vom 350 km entfernten Tezpur in Assam. " I love my India" ist immer wieder auf Schildern am Straßenrand zu lesen, "Ich liebe mein Indien". Tibet und somit zu China liegt von hier aus nur 40 Kilometer entfernt. Den älteren Bewohner von Tawang sitzt der Schreck noch in den Knochen, als 1962 chinesische Soldaten über die Grenze kamen. Der 75 jährige Mönch Wangdü erinnert sich.
"Die indischen Soldaten eilten plötzlich zur Grenze, und wir hörten Schüsse. Da wussten wir, dass etwas passiert ist. Als die chinesischen Soldaten kurz vor Tawang waren, gab die Klosterleitung uns die Genehmigung, das Kloster zu verlassen oder zu bleiben. Panik brach aus. Ein Munitionslager explodierte. Dann hieß es wieder, nein, die Chinesen kommen doch nicht. Flugzeuge kamen und warfen Lebensmittel ab für die Soldaten. Dann war klar, die Chinesen kommen doch, und die meisten flohen."
Das Kloster thront wie ein riesiger weißer Hut über der Ansiedlung auf 3800 Metern Höhe. Buddhisten ist Tawang heilig. Es war einst ein tibetischer Pilgerort, weil hier der 6. Dalai Lama geboren wurde. Drei Monate hielten chinesische Soldaten Tawang, den Selapass und Gebiete südlich davon besetzt. Viele Bewohner versteckten sich damals in den Bergen.
"Chinesen kamen zu Fuß durch den Dschungel, weil die Straße bewacht war. Sie schossen von allen Seiten auf die indischen Soldaten. (55) Sie trugen alle Lebensmittel auf dem Rücken, sonst nur ein Gewehr. Geschlafen haben sie ohne Decken auf dem Erdboden. (57) Hoffentlich schaffen es die Inder, sie beim nächsten Mal abzuwehren, denn eines weiß ich, mit den Chinesen wollen wir nicht zusammen leben. Das sind Dämonen."
Sobald es dunkel wird, wirkt Tawang wie ausgestorben. Die Geschäfte schließen, nur ein einziges Restaurant ist nach sieben Uhr noch geöffnet. Bei Kerzenlicht sitzen die wenigen Gäste in einem niedrigen Raum. Ab 17 Uhr soll es zwar Strom geben, aber darauf kann man sich nicht verlassen. Bis 1914 gehörte Tawang wie ganz Arunachal Pradesh zu Tibet. Danach wurde die so genannte McMahon-Linie entlang der Himalajagipfel gezogen und das Gebiet wurde Britisch-Indien zugeschlagen. Peking erkannte diese Grenzziehung nicht an. Bis in die 1950er Jahre zahlten die Leute von Tawang ihre Steuern weiterhin nach Lhasa, das 400 Kilometer weiter nördlich liegt. Der Blitzkrieg von 1962 war ein Versuch von Seiten der Chinesen, diese Grenzziehung rückgängig zu machen. Ca. 300 000 indische Soldaten stehen heute an der 1000 Kilometer langen McMahon-Linie. Seit es die Eisenbahnlinie von Peking nach Lhasa gibt, die schnelle Truppenbewegungen möglich macht, wird auch südlich der Grenze weiter aufgerüstet. Mindestens 140 unerlaubte Grenzübertritte von Chinesen soll es allein im letzten Jahr gegeben haben. Erst seit 2003 gibt es regelmäßig Gespräche zwischen Indien und China über das Grenzproblem.
Auf der Fahrt in ein Dorf schwärmt unser junger Übersetzer immer wieder von der Entwicklung im nahen Tibet durch die Chinesen: Von den neuen Straßen und dass die Leute dort nicht so viel arbeiten müssten, wie hier in Indien. In Indien herrsche zwar Demokratie, aber kritisieren dürfe man nichts. In China dagegen, so habe er gehört, soll Kritik sogar erwünscht sein, weil es verbessern hilft. Nur dass die Chinesen den Buddhismus unterdrücken, gefällt ihm nicht. In ein Mikrophon möchte er das alles aber nicht sprechen.
In einem kleinen Dorf, 10 Kilometer von Tawang entfernt, steht Sonam Yüton mit Verwandten in ihrer fensterlosen engen Küche und destilliert Raksi, einen Schnaps aus Gerste. Sie ist 40 Jahre alt.
"Ich bin in einem Dorf geboren, das vier Stunden von hier entfernt liegt. Eine Schule gab es dort nicht, lesen und schreiben habe ich nicht gelernt. Als Kind habe ich auf dem Feld gearbeitet. Kartoffeln, Mais und anderes brauchten wir für uns selbst, denn eine Straße gab es zu unserem Dorf nicht. Nun braue ich Gerstenbier, verkaufe Gemüse und manchmal auch Raksi."
Vier Kinder hat Sonam Yüton groß gezogen. Die beiden jüngsten leben in einem buddhistischen Kloster in Südindien. Ihre Vorbildung war so schlecht, dass sie dort zwei Klassen zurückgestuft wurden. Die beiden fast erwachsenen Mädchen leben noch im Dorf. Dass die zur Schule gegangen sind, war eher Zufall, sagt Sonam, denn in diesem Dorf hier gibt es eine. Ihre älteste, Thinley Tsomo, ist allerdings nicht begeistert.
In unserer Dorfschule gibt es nicht genug Lehrer, und die die da sind, haben nicht genug Kenntnisse, uns zu unterrichten, deshalb bin ich später nach Tawang gegangen. Nun bereite ich mich auf die Abschlussprüfung an der Highschool vor. Ich will Lehrerin werden. Bliebe ich hier, könnte ich zwar mein Dorf entwickeln helfen, aber wenn ich die Gelegenheit bekomme, werde ich ganz bestimmt das Tawangtal verlassen, und egal wohin gehen. (.. any place.)
Thinleys Mutter hört das nicht gerne.
"Meine beiden Söhne habe ich fünf Jahre lang nicht gesehen. Das macht mich traurig. Aber auf der anderen Seite ist es natürlich schön, wenn es den Kindern gut geht und meinen Kindern geht es gut."
90 Prozent der Chinesen können lesen und schreiben, in Indien sind es nur 60 Prozent. Chinesen verdienen heute im Durchschnitt doppelt so viel wie Inder. Wirtschaftlich hat China die Nase vorn, Indien politisch. "I love my India" steht wieder am Straßenrand. Im Februar 2008 besuchte der indische Premier Manmohan Singh den Bundesstaat Arunachal Pradesh, Indiens "Land der aufgehenden Sonne", und versprach die Verbesserung der Infrastruktur. Nach Tawang kam er aus Rücksicht gegenüber den Chinesen jedoch nicht. Trotz wirtschaftlicher Vernachlässigung würden sich 90 Prozent der Bewohner hier für ihre Zugehörigkeit zu Indien entscheiden, wenn man sie fragen würde. Ist Olympia erst mal vorbei, könnten die Chinesen wieder einen größeren Angriff wagen, fürchtet so mancher in Tawang.