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Little St. Simons Island
Paradies des Bleistiftfabrikanten

Abseits von New York, Washington und Boston gibt es noch nahezu unberührte Flecken an der ansonsten dicht besiedelten amerikanischen Atlantik-Küste. Einer dieser Orte heißt Little St. Simons Island. Der deutschstämmige Bleistiftfabrikant Philip Berolzheimer kaufte die Insel 1908 - seitdem hat sich fast nichts verändert.

Von Rudi Schneider |
    Der Strand von Little St. Simons Island im US-Staat Georgia.
    Schier endlos: Der Strand von Little St. Simons Island. (Rudi Schneider)
    An der Atlantikküste von Georgia reihen sich einige vorgelagerte Inseln wie Perlen an einer Kette. Man nennt sie die "Golden Islands", womit sicher auch gesagt werden soll, dass sie landschaftliche Schmuckstücke sind. Im Seehafen von Brunswick führt eine atemberaubende Hochbrücke zu einer der Golden Islands, der St. Simons Island.
    Zur Blütezeit gab es 14 Plantagen auf St. Simons. Es wurde Baumwolle, Getreide und Tabak angebaut. Nach der Plantagenzeit kam die Holzindustrie. Das Holz der Eichenbäume eignete sich besonders gut für den Schiffsbau der US-Navy. Ende 1800 - Anfang 1900 wurde die Insel mit ihren traumhaften Stränden dann auch als Reiseziel sehr beliebt. Schon von Ferne lockt der historische Leuchtturm, in dem uns Marcy Hunter erwartet.
    "Der wunderschöne Leuchtturm wurde 1810 erbaut, und während des Bürgerkrieges von den Konföderierten zerstört. Sie wollten nicht, dass die Soldaten der Union die Insel mit allen den Truppen, die hier stationiert waren, finden. 1872 wurde der Leuchtturm dann wieder aufgebaut, und seitdem leuchtet er bis heute und ist 23 Meilen weit auf dem Ocean zu sehen. Man kann ihn natürlich besuchen und die 129 Stufen nach oben klettern."
    Hat man die 129 Stufen erklommen und die alte Mechanik der Prismen-Lampe bewundert, kann man den wunderbaren Rundblick auf die maritime Welt der Insel genießen. Im Norden liegt das Fort Frederica. Dort wurde 1742 das Schicksal Georgias im Kampf der spanischen gegen die britische Armee entschieden.
    Rückzugsort aus der Zivilisation
    Unser eigentliches Ziel liegt noch nördlicher. Es ist Little St. Simons Island. Am Landungssteg der Marina warten wir auf ein Boot, das uns zu diesem Inselparadies bringt.
    Captain Blane Haze ist der Mann am Steuerrad. Mit seinem Boot geht es südwärts auf dem Hampton River in den Mosquito Creek, wo die private Lodge der Berolzheimer Familie gelegen ist. Der aus Fürth in Bayern stammende Bleistiftfabrikant kaufte diese Insel im Jahr 1908, um sie für seine Familie und Freunde als Rückzugsort aus der Zivilisation zu nutzen.
    Im Schatten uralter Virginia Eichen, deren Äste wie ein Baldachin weit ausladen und fast den Boden berühren, gruppieren sich einige Blockhäuser. In ihrer Mitte, mit Blick zum Ufer des Mosquito Creek, befindet sich das Haupthaus mit einer gemütlichen Veranda. Taylor Worley, der die ankommenden Gäste betreut, wartet in der alten Eichentür auf uns.
    Die Hunting Lodge der Berolzheimer auf Little St. Simons Island.
    Die Hunting Lodge der Berolzheimer auf Little St. Simons Island. (Rudi Schneider)
    "Das Gebäude, das wir jetzt betreten, ist unser ältestes Gebäude, das 1917 erbaut wurde und auch heute immer noch genutzt wird. Das war die Hunting-Lodge der Berolzheimer Familie. Im Haus befinden sich neben verschiedenen Wohnräumen und dem Esszimmer auch die Küche. Fühlen Sie sich hier einfach zuhause."
    Es ist fast, als wäre Mr. Berolzheimer gerade zu Jagd gegangen. Der Duft des Kaminfeuers hängt noch in der Luft und die gemütlichen Ledersessel, die sich um einen Rauchertisch gruppieren, laden zum Verweilen ein. Kaum hat man Platz genommen, erwacht die Neugier, diese seine Welt zu erkunden. Die Vielfalt der Tier- und Pflanzewelt auf dieser Insel ist einfach phänomenal.
    Unberührte Schönheit
    Das Besondere der Insel ist ihre Unberührtheit. Der tropische Wald wird von mehr als elf Kilometer weißem Sandstrand am Atlantik gesäumt. Cassandra ist Naturkundlerin und lädt uns zu einer Tour in die Wildnis der Insel ein.
    Auf dieser Insel gibt es nur drei, vier Geländewagen und nur einige wenige unbefestigte Wege, die man im Schritttempo befahren kann. Die tropischen Bäume und Pflanzen rund um uns herum wurden nie von Menschen beeinflusst, erzählt Cassandra.
    Die Insel ist 2.500 Jahre alt. Vor 2.000 Jahren war hier, wo wir gerade unterwegs sind, der Strand. Die Hügelketten zu unserer Linken sind somit vorzeitliche Dünen. Heute wachsen dort riesige Virginia Eichen an deren Ästen üppig lange girlandenartige Pflanzen herunterhängen und im Wind wehen.
    "Das ist Spanisches Moos. Tatsächlich ist diese Pflanze weder 'spanisch' noch ist sie ein 'Moos'. Sie ist auch kein Parasit. Dieses Moos findet man hier im Süden fast ausschließlich auf diesen Virginia Eichen. Beide Pflanzen können ohne einander leben, aber wenn sie zusammenleben, haben sie interessante Vorteile. Das Spanische Moos bringt den Bäumen und dem ganzen Wald viel Feuchtigkeit. Unglaublich, aber das Spanische Moos kühlt die Temperatur in den Baumkronen bis zu 20 Grad Fahrenheit. Damit schafft das Moos für diesen Wald sein eigenes Klima."
    Das Holz dieser Virginia Eichen hat eine ganz besondere Qualität, lernen wir von Cassandra. "Ende 1700 kam ein Schiffsingenieur in diesen tropischen Dschungel und fand diese riesigen Virginia Eichen. Er fand heraus, dass dieses Eichenholz hervorragende Eigenschaften für den Schiffsbau hat. Die "USS Constitution", die im Hafen von Boston liegt, wurde aus Virginia Eichen von St. Simons Island gebaut. Sie sagten, das Holz hätte eine so dichte Struktur, dass Kanonenkugeln nicht durchschlugen, sondern abprallten, das ist ganz schön cool."
    Jeder Erwachsene wird hier zum Kind
    Nach einer Weile halten wir an und wandern zu einer besonderen Beobachtungsstelle, von wo wir einen weiten freien Blick auf einen Binnensee haben. Flamingos kümmern sich in flachem Gewässer um ihre Brut. Lee Brewel, die aus Princeton, New Jersey, kommt, begleitet uns. Sie ist bereits zum 14. Mal auf der Insel und entdeckt immer wieder Neues.
    "Du kannst im Wald spazieren oder am Strand, man kann wunderbare Sachen sehen und finden. Ob seltene Vögel und Fische, Wasserschildkröten oder sogar kleine und große Alligatoren oder auch Schlangen. Die Inselwelt ist voll von Abenteuern und Überraschungen, 1.000 Dinge, die man entdecken kann. Jeder Erwachsene wird hier einfach zum Kind."
    Als wir uns dann von den Flamingos lösen und unsere Fahrt im Jeep fortsetzen, bremst Cassandra die sowieso langsame Fahrt plötzlich. In der linken Reifenspur sonnt sich direkt vor uns ein eineinhalb Meter langer Alligator in einer Regenpfütze.
    "Das ist ein hübscher, der ist noch jung, man kann noch die gelben Streifen am Schwanz sehen. Er ist vermutlich vier oder fünf Jahre alt. In den ersten Jahren wachsen sie etwa 30 Zentimeter pro Jahr, danach hängt des davon ab, was sie fressen. Auf seinem Rücken hat er kleine Spornknochen, die aber nicht mit dem Skelett verbunden sind. In dieser Größe muss er eigentlich nichts fürchten - außer andere Alligatoren. Große Alligatoren fressen auch kleine. Das ist das Einzige, was er zu befürchten hat."
    Cassandra lockt den jungen Alligator geschickt aus seinem kleinen Schlammbad. Er erhebt sich widerwillig und verschwindet mit missmutigen Geräuschen im Unterholz des Busches nicht ohne seine Störenfriede mit einem kräftigen Schwanzschlag nass zu spritzen. Wir wandern zu Fuß zum nördlichen Strand wo die Wasserschildkröten ihre Eier ablegen und allerlei, Seevögel ungestört nach Meeresfrüchten suchen. Das taten hier bereits vor 1.300 Jahren Indianer, erzählt Cassandra. "Diese Muscheln stammen von den Guale Indianern, die während der Winterzeit hier durchkamen und das war ihr Platz, wo sie frische Austern gegessen haben. Wir wissen davon, weil wir rundherum Scherben ihrer Tongefäße gefunden haben. Sie haben ihre Tongefäße offensichtlich mitgebracht, weil es hier keinen Ton gibt, mit dem man solche Tonschüsseln- oder Becher herstellen könnte. Im Sommer lebten Guales in der Gegend von Macon und im Winter kamen sie mit ihren Booten hierher, um Austern zu essen."
    Sommer, Herbst und Winter, für Lee ist das ein Stichwort, denn sie hat über die Jahre hier die Besonderheiten der Jahreszeiten erlebt. "Die unterschiedlichen Jahreszeiten zeigen uns auf dieser Insel ihre eigenen Schönheiten. Das Marschgras hat im Herbst so wunderbare Pink-, Lila und lavendelartige Farben. Goldene Blumen sind überall in strahlendem Grün. Die Vögel sind rundherum zu sehen und zu hören. Zu bestimmten Uhrzeiten sind das richtige Konzerte. Selbst der Himmel hat ein ganz besonderes Blau, das vom Wasser der Flüsse und Seen reflektiert wird. Die Wolken sind so wunderbar hier, so weiß und in ihren Formen so großartig, das ist wirklich eine unglaubliche visuelle Erfahrung."
    Ein einzigartiger Garten
    Die Natur auf Little St. Simons Island ist ein kleines Paradies, und weil das so ist, wird auf der Insel auch sehr darauf geachtet, dieses Juwel zu bewahren. Was das für die Ernährung der Gäste bedeutet, erfahren wir am Ende unseres Ausflugs in die Wilderness. Kirby Farrell zeigt uns den mit viel Liebe und Fachverstand aufgebauten Garten, aus dem für die Küche der Lodge täglich geerntet wird.
    "Unser Garten ist wirklich einzigartig. Wir sind auf einer Insel, deren Boden hauptsächlich reiner Sandboden ist. Wir mussten also die fruchtbare Erde selbst erzeugen. Wir haben deshalb eine perfekte Kompostanlage gebaut, die wir schon fast wissenschaftlich betreiben. Das ist ein richtiger Kreislauf. Wir sammeln alle Abfälle der Küche und alles, was organisch verwertbar ist. Mit der Zeit konnten wir alle Beete im Garten mit perfekter und fruchtbarer Erde ausstatten. Wir achten auch auf einen regelmäßigen Fruchtwechsel, weil das unseren Pflanzen die beste Grundlage zum Wachstum gibt."
    Schon allein die Wanderung durch den Organic Garden, wie ihn Kirby nennt, erzeugt nach der Inselerkundung ganz einfach Hunger und Lust auf ein leckeres Essen.
    Der Küchen-Zauberer
    Die Dinner-Glocke läutet an der Hunting Lodge. Die Gäste versammeln sich nach einem Aperitif im Wohnzimmer am Kaminfeuer der Berolzheimers und begeben sich dann in den Dining Room, in dem der Tisch geschmackvoll gedeckt ist. Der Zauberer der Küche ist Charles Bostick, der seinen Gästen erzählt, was er heute vom Strand und dem Organic Garden von Kirby Farrell zubereitet hat.
    "Wir haben eine ganze Reihe von lokalen Meeresfrüchten. Heute Abend gibt es eine Flunder im Teigmantel. Als Vorspeise biete ich frische Muscheln von unserem Strand in einer leckeren Sud Komposition. Aus unserem Garten habe ich für das Dessert einen Beerenkompott und ein feines Gemüsebouquet zum Fisch. Dazu ein leckerer Pflücksalat mit kleinen Mangostreifen, das ist eine Spezialität hier in Georgia."
    Um es gleich zu sagen, das Dinner von Charles Bostick hat seine Gäste begeistert. Charles wohnt übrigens in einem der historischen Häuser und bringt die vielen wunderbaren visuellen Eindrücke, die man in diesem Inselparadies erleben kann, auf Leinwand. Den letzten Eindruck dieses Tages vermittelt uns nun Mrs. Wilson. Sie hat heute auf das traumhafte Dinner verzichtet, möglicherweise um das in natura zu erleben, was Charles auf seine Leinwände gemalt hat.
    "Heute Abend möchte ich zum ersten Mal eine ganz besondere Stimmung anstelle meiner üblichen Strandwanderungen erleben. Bis jetzt bin ich immer morgens, noch vor dem Sonnenaufgang gewandert, heute Abend möchte ich das vom Sonnenuntergang bis in die sternenklare Nacht tun. Ich möchte sehen, wie das schwindende Licht alles verändert. Ich weiß, dass ich an diesem Strand, soweit das Auge reicht, alleine bin. Ich werde kein anderes menschliches Wesen sehen. Das ist vielleicht einer der wenigen Moment, an denen man das Gefühl verliert, an welchem Punkt der Zivilisation man sich befindet."