Archiv


"Live from the Concertgebouw 1978/1979"

Ich begrüße Sie ganz herzlich zu zwei neuen CDs der EMI aus dem Bereich der Kammermusik, wobei die Aufnahmen zu der einen Scheibe schon eine Weile zurückliegen: Da geht es nämlich um Konzerte, die Martha Argerich in den Jahren 1978 und 1979 im Concertgebouw in Amsterdam gab und aus denen nun eine CD mit Werken von Robert Schumann und Maurice Ravel geworden ist. Es ist der EMI durchaus als Verdienst anzurechnen, dass sie - nicht nur mit dieser Produktion - die musikalische Vergangenheit der Martha Argerich aufarbeitet. Es ist dies eine stürmische Vergangenheit, wie sich zum Beispiel an "Traumes Wirren" aus den Fantasiestücken op. 12 von Robert Schumann zeigt. * Musikbeispiel: R. Schumann - 7. 'Traumes Wirren' aus: "Fantasiestücke op. 12" Martha Argerich mit "Traumes Wirren" aus den Fantasiestücken op. 12 von Robert Schumann, live aufgezeichnet bei einem Konzert am 7. Mai 1978 im Amsterdamer Concertgebouw. Wilde Spontaneität der Interpretation war es, was die Argerich in den 70er Jahren zu einem Phänomen der Pianistenszene machte, von dem ein starker Impuls von Befreiung ausging. Zu Ende das sichere Wissen, die wohlgesetzte musikalische Rede, der es vor allem um die kompositorische Struktur ging. Momente von Improvisation, überraschende Farben, ein Anschlag, der Biss und Zärtlichkeit vereinte - das alles ließ die Argerich zu einem Idol werden, fast zu einer Popgröße. Über allem stand freilich auch immer eine technische Souveränität, die diese junge Wilde am Klavier zugleich unangreifbar erscheinen ließ. Sie war eminent sicher, obwohl sie sich nie auf die sichere Seite schlug. Manches geriet ihr dabei - und das zeigt auch diese CD - außer Proportion. Aber dieser unvergessliche Impuls von Aufbruch ist auch heute noch zu spüren. Es waren dies schließlich auch die Jahre der legendären Konzerte eines Keith Jarrett. Auch in Jarretts Improvisationen klang Schumann an, aber eher wie eine beruhigende Nachricht aus ferner Zeit. Wenn die Argerich Schumann spielte, spürte man die moderne Zerrissenheit des Romantikers. Die Formenwelt der kleinen Formen zerspringt freilich. Geeint wird alles durch den überwältigenden Gestus einer großen Musikerin. Das gilt noch mehr von den beiden Ravel-Werken, der Sonatine und dem "Gaspard de la Nuit". Dass sie "Scarbo" atemberaubend spielte, ist angesichts des Werdegangs dieser Pianistin geradezu selbstverständlich. Aber die Melancholie des "Gibet", des einsamen Galgens, ist selten mit einer so einfühlsamen Härte dargestellt worden. * Musikbeispiel: M. Ravel - 2. 'Le Gibet' aus: "Gaspard de la nuit" Martha Argerich auf der neuen EMI-CD mit Live-Mitschnitten aus den Jahren 1978 und 1979.

Norbert Ely |