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Lob auf die Berge

Wenn es um die Alpen und ihre musikalische Schilderung geht, fällt dem Musikliebhaber natürlich gleich die mächtige Alpensinfonie ein, die Richard Strauss in den Jahren 1911 bis 1915 komponiert hat. Doch die Idee, mit großem Orchester die Schönheit dieser europäischen Bergregion zu besingen, hatte schon fast 40 Jahre vorher ein anderer, nämlich der aus der Schweiz stammende Komponist Joseph Joachim Raff. Der war zwar zu Lebzeiten ein viel gespielter Komponist und auch 1902, 20 Jahre nach seinem Tod, hat man ihm noch ein Denkmal errichtet, dann jedoch verschwand er weitgehend aus dem kollektiven Musikgedächtnis, bis die Bamberger Symphoniker zusammen mit dem Bayerischen Rundfunk und dem Plattenlabel Tudor seine Orchesterwerke nach und nach wieder ans Licht beförderten und in bemerkenswerten Aufnahmen "für die Ewigkeit" auf CD bannten. Inzwischen liegt Raffs 7. Sinfonie vor, und genau die trägt den Beinamen "In den Alpen".

    • Musikbeispiel: Joseph Joachim Raff - 1. Satz 'Wanderung im Hochgebirge’ (Ausschnitt) aus der Sinfonie Nr. 7 "In den Alpen"

    Mit geradezu choralartiger Feierlichkeit beginnt diese viersätzige Sinfonie - vielleicht ein Hinweis auf die imposanten Felsformationen, vor denen jedes Lebewesen klein und bescheiden wird. "Wanderung im Hochgebirge" ist jedenfalls dieser 1. Satz überschrieben. Doch über weitere Einzelheiten beim Durchstreifen von Wald und Feld, Geröll, Fels oder Gletscher erfahren wir nichts. Stattdessen eine erhaben-gelassene Musik, klar gegliedert wie eine klassizistische Häuserfassade, in ihrer Dramatik und Spannung sehr vorhersehbar, also eher gut unterhaltend als aufwühlend. Im 2. Satz folgt unter dem Motto "In der Herberge" eine Art gemütlicher Hüttenabend mit Tanz - aber auch hier reicht das Spektrum der Auslegungsmöglichkeiten von leicht wehmütiger volkstümlicher Stubenmusik bis hin zu eher mondän-luxuriöser Walzerseligkeit. Und in dieser Edelherberge können dann die fabelhaften Holzbläser der Bamberger Symphoniker ihr ganzes Können demonstrieren...

    • Musikbeispiel: Joseph Joachim Raff - 2. Satz 'In der Herberge’ (Ausschnitt) aus der Sinfonie Nr. 7 "In den Alpen"

    Joseph Joachim Raff wurde 1822 in Lachen am Züricher See geboren. Nach dem Abitur arbeitete er einige Jahre als Lehrer und bildete sich im Selbststudium musikpraktisch und kompositorisch aus. Seine ersten Kompositionen schickte er Mendelssohn, der sie seinem Verleger zum Druck empfahl. 1845 pilgerte Raff zu Fuß von Zürich nach Basel, um dort ein Konzert von Franz Liszt zu erleben. Liszt vermittelte ihm eine Stelle bei einer Kölner Musikalienhandlung, die Raff allerdings bald wieder aufgab. In Stuttgart lernte er Hans von Bülow kennen, der sein Schüler, lebenslanger Freund und begeisterter Förderer wurde. 1850 ging Raff nach Weimar und nahm das Angebot Franz Liszts an, ihm bei der "Ordnung der Manuskripte, Copien, Instrumentierungen und Dictéschreibereyen" zu helfen. Hier kam Raff nicht viel zu eigenem Schaffen, lernte aber die künstlerischen Gedanken der damaligen "Avantgarde" hautnah kennen. Sechs Jahre später verließ er Weimar, weil sich seine Anschauungen gewandelt hatten und er den "Druck, den Liszt freiwillig und unfreiwillig" auf ihn ausübte, nicht mehr ertragen wollte: er ging nach Wiesbaden, wo er heiratete und seine kompositorisch fruchtbarsten Jahre verbrachte. 1877 dann übernahm Raff die Leitung des kurz zuvor in Frankfurt gegründeten Hochschen Konservatoriums, unterrichtete selbst dort Komposition und verpflichtete angesehene Musiker als Lehrer.

    Zwischen 1850 und etwa 1875 war Raff zusammen vielleicht noch mit Komponisten wie Gade und Rubinstein einer der Wenigen, die die Sache der Sinfonie weiter betrieben. Denn nach Beethoven, nach Berlioz, Schumann und Mendelssohn schien das Potenzial dieser Musikgattung weitgehend erforscht, bis dann im letzten Viertel des Jahrhunderts Komponisten wie Brahms, Bruckner und Mahler die sinfonische Form zu neuen Höhepunkten führten. In dieser Lücke war anderes "angesagt", Programmmusik eben, sinfonische Dichtungen, wie vor allem Franz Liszt sie meisterhaft schuf. Etwas davon färbte auch auf den Sinfoniker Raff ab, aber sein Schicksal war es wohl, dass er den in Tönen Malenden zu sinfonisch-abstrakt, den "reinen" Sinfonikern wiederum zu gegenständlich-schildernd vorkam. Und in der nachklassischen Ära, wo jede Komposition als eigenständiges, unveränderbares Werk, als einmalige, in langem Ringen nach genialer Eingebung entstandene Schöpfung galt, stand Raff mit seinem Wunsch, die Schönheiten früherer Musiken zu vereinen, ziemlich alleine da. Sein Handwerk war gut, ihm gelangen die schwierigsten kompositorischen Techniken mühelos. Aber seine Melodien sind oft etwas einfach, manchmal mit trivialem Einschlag und bisweilen auch aus kompositionstechnischen Gründen bewusst schlicht und diatonisch angelegt, um später damit allerlei Kunststücke anstellen zu können. Doch wenn es dann an die Durchführung geht, bleibt vieles auch konventionell, vorausschaubar und wenig überraschend, es gibt Längen und Automatismen. Dabei ist gegen seine kontrapunktischen Künste genauso wenig einzuwenden wie gegen seine souveräne Beherrschung der zeitgenössischen Harmonik, und auch in der Instrumentation war er schon früh sehr geschickt - nicht umsonst hat Liszt ihn häufig mit der Instrumentation seiner eigenen Werke beauftragt. Von dieser Instrumentationskunst kann man sich auch auf der neuen CD der Bamberger überzeugen: Neben der Raff’schen "Alpensinfonie" findet man hier nämlich auch noch eine Bearbeitung einer Chaconne von Johann Sebastian Bach. Raff gelingt das Kunststück, aus dieser nur für Solovioline komponierten Musik ein Orchesterwerk zu machen, das souverän fast alle Klangmöglichkeiten des romantischen Sinfonieorchesters vorstellt.

    • Musikbeispiel: Johann Sebastian Bach / Joseph Joachim Raff - aus: Chaconne d-moll, BWV 1004, bearbeitet für Orchester

    Die Neue Platte – heute hörten Sie die Bamberger Symphoniker unter der Leitung von Hans Stadlmair mit einer weiteren Produktion aus ihrer Reihe, die dem Schaffen des romantischen Komponisten Joseph Joachim Raff gewidmet ist. Zuletzt ein Ausschnitt aus der von Raff für Orchester bearbeiteten Chaconne d-moll von Johann Sebastian Bach. Im Studio verabschiedet sich Ludwig Rink.