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Lob der Anonymität

Das Internet weiß mehr über uns, als wir glauben und das muss nicht immer gut sein. Ein Video, das jemanden im Vollrausch zeigt, engagierte politische Äußerungen in Internetforen, abfällige Bemerkungen über Vorgesetzte – sofern solche Einträge mit Namen versehen sind können sie sich auch nach Jahren noch als echte Karrierekiller erweisen. Denn auch Personalchefs geben die Namen von Bewerbern gerne mal im Internet ein- und ziehen daraus durchaus Konsequenzen, wenn sie auf Peinliches stoßen.

Von Andrea Lueg | 24.03.2008
    Nach einer Studie des Bundes deutscher Unternehmensberater haben 57 Prozent der Personaler Kandidaten aufgrund ihres persönlichen Internetprofils schon einmal nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen.

    Nur ahnen die Betroffenen davon meistens nichts. Etwas dagegen zu unternehmen ist schwer, erklärt Peter Schaar, der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung:

    "Natürlich kommen zunehmend bei uns Datenschützern Beschwerden an von Menschen, die fürchten beruflich diskriminiert worden zu sein, die befürchten, dass sie nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurden, weil irgendwelche diskriminierende Bilder von ihnen im Internet sind. Das ist sehr schwierig, etwas zu machen, wenn die Daten erstmal da sind. Dazu kommt, dass man es ja nicht einmal immer selbst ist, der die Daten veröffentlicht. Es können ja auch bösemeinende Dritte sein, die mich bloßstellen wollen und die mich an einen Internetpranger stellen, obwohl ich mir gar nichts habe zuschulden kommen lassen. Fotos, die von irgendwoher kommen, die vielleicht heimlich angefertigt wurden, diese Fälle gibt es auch und das ist dann gegebenenfalls zwar strafbar, wenn man aber nicht herausfindet, wer ist der Urheber, und wenn sich der Server im Ausland befindet, dann ist es doch häufig sehr schwierig, die Daten wieder wegzubekommen."

    Noch vor kurzem glich der digitale Exhibitionismus im Internet einem Rausch. Seit Beginn von Web 2.0, dem sogenannten Mitmach-Internet, stellen rund 15 Millionen Deutsche mehr oder weniger Informatives von sich ins Netz. Eine Umfrage des Branchenverbandes Bitkom ergab, dass rund jeder fünfte Deutsche bereits eine aktive Internetpräsenz betreibt, eine eigene Webseite, ein Blog oder ein Profil in einem Online-Netzwerk.

    Millionen Menschen netzwerken bei Xing, Facebook oder My Space und Deutschland größtes Mitmach-Portal StudiVZ registriert bereits an die fünf Millionen Nutzer. Doch langsam dämmert den Internetfreunden, das das Netz nichts vergisst und die Sehnsucht nach Anonymität wächst. Zum Beispiel als kürzlich bei StudiVZ geänderte Datenschutzbestimmungen an die Nutzer gemailt wurden. Der Betreiber möchte die Daten, die bisher nur zum netzwerken mit Internetfreunden gedacht waren für personalisierte Werbung nutzen. Wer das nicht möchte muss die Funktion deaktivieren. Nicht alle Nutzer fanden das problemlos.

    "Erst groß auf kostenlos machen, wir haben Datenschutz und plötzlich kommt eine AGB, über die niemand Bescheid weiß, jeder akzeptiert sie und plötzlich sind die Daten frei zugänglich, ich find es risikoreich."

    Die erste offene Naivität bei StudiVZ ist gewichen. Die Nutzer legen sich zunehmend falsche Identitäten zu. Verwendeten früher die meisten wie selbstverständlich ihren richtigen Namen, gibt es heute gut 100 Biene Majas, mehr als 200 nennen sich Stasi und an die 300 einfach Ich.

    Und immerhin eine knappe halbe Million zog gleich ganz die Bremse: Sie verabschiedete sich aus dem Studentennetzwerk. Manche Experten fordern ein digitales Verfallsdatum: Jede Datei im Internet sollte nach einer bestimmten Zeit automatisch entfernt werden.

    Solange das noch nicht so ist, bleibt nur der Weg zu Firmen, die die neuen Netzbefindlichkeiten zur Geschäftsidee gemacht haben. Anbieter wie Reputation-Defender, My on ID oder deinguterruf.de helfen beim entfernen unangenehmer Details.