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Lobetaler Bio

"Soziale Milch-Wirtschaft" nennt sich in Brandenburg ein Projekt, in dem zwei anspruchsvolle Anliegen miteinander verknüpft werden: Erstens die Beschäftigung gehandicapter Menschen und zweitens die Platzierung eines neuen Produktes im umkämpften Lebensmittelmarkt.

Von Johanna Kutsche |
    Auf der grünen Wiese, mitten im Nirgendwo, steht ein niedriges Gebäude aus hellem Holz. Durch große Glasscheiben kann man das Treiben in der Molkerei beobachten, und Treiben ist wörtlich zu nehmen. Die Mitarbeiter tragen weiße Hosen und rote Shirts, gerade läuft ein junger Mann aufgeregt auf eine riesige silberne Maschine zu, dreht aber im letzten Moment ab.

    "Dadurch, dass wir zu den Hoffnungstaler Werkstätten gehören, war das von Anfang an klar, dass in diesem Betriebszweig auch Menschen mit Behinderung arbeiten werden und so wurde das dann von Anfang an mit eingeplant, mit konzipiert, und wir nennen das dann die soziale Milchwirtschaft."

    Michael Kuper hat sich auf eine Bank im Milchladen gelümmelt, und der erste Eindruck reicht schon, um zu verstehen, warum die Sozialeinrichtung für behinderte Menschen gerade ihn zum Molkereimeister auserkoren hat. Kuper ist die Ruhe in Person. Diese Geduld braucht es auch, um mit Behinderten zu arbeiten:

    "Allein die Tatsache, über eine Hygieneschleuse zu laufen, das sind Abläufe, die muss man lernen, da bewegt sich was unter den Füßen, das war für viele ungewohnt, da sind sie erschrocken, da haben sie Angst gehabt, da wollten sie nicht drüber laufen, das musste alles geübt und trainiert werden. Jetzt arbeiten wir seit einem halben Jahr mit Menschen mit Behinderungen. Das ist superspannend, superschwierig, und es ist auch so, dass man im Nachhinein sagen kann, okay, das haben wir uns ein bisschen einfacher vorgestellt, als es in Wirklichkeit ist."

    Wir sind kaum über die Hygieneschleuse gelaufen, da zeigt sich, wie Recht Michael Kuper hat. Eine Mitarbeiterin versieht weiße Eimer mit Etiketten. Ein anderer Mitarbeiter stapelt die Eimer mechanisch übereinander. Seine Bewegungen sind sehr zackig und aufgeregt, auf eine gewisse Art und Weise aber auch routiniert. Die Eimer sind ordentlich gestapelt, nur leider völlig durcheinander. Sahne, Vollmilch, Joghurt, kreuz und quer. Michael Kuper lacht nur darüber.

    Dreizehn Behinderte arbeiten hier, körperlich, psychisch oder geistig behindert. Und vier Mitarbeiter, die koordinieren, lenken und auch ein wenig kontrollieren.

    "Wir verkaufen Lebensmittel, wir müssen natürlich Lebensmittel in den Handel bringen, die absolut in Ordnung sind. Und wir haben hier so eine Schwarzlichtlampe für die Händedesinfektion. Da haben wir noch so ein Mittel, das man in das Desinfektionsmittel hineingibt, und dann kann man, nach der Händedesinfektion, die Hände unter diese Schwarzlichtlampe halten und sieht, wie gut benetzt die Hände mit dem Desinfektionsmittel waren."

    Die Behinderten verdienen ungefähr die Hälfte dessen, was die Mitarbeiter haben. Der Lohn spielt eine untergeordnete Rolle, denn es geht darum, andere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Arbeit im Sinne des Soziologen Max Weber, eine sinnspendende Aufgabe, keine stupide Verrichtung von Tätigkeiten. Die allerdings auch nicht alle Behinderten ausführen könnten. Lesen, rechnen, Farben erkennen, das waren die Einstellungsbedingungen in der Lobetaler Molkerei GmbH.

    "Bei manchen Häusern, es gibt ja so mehrere Werkstätten und so, da hatten wir, weeß ick, die Klos gemacht, die Flurs gemacht, dit hat schon ein halbes Jahr gedauert, dann hab ick hier wat von gehört, von der Molkerei, dann, paar Wochen später, haben sie mich dann gefragt, ob ich denn hier arbeiten wollte, hab ick gesagt, ja, ick probier es mal. Jetzt bin ick ooch schon seit dem 4.1. hier, dat macht mir auch eine Menge Spaß."

    Riccardo arbeitet im Lager der Molkerei. Es riecht nach Desinfektionsmitteln, auf die Paletten sind unzählige Trays mit jeweils sechs Joghurtbechern gestapelt. Der zweite Arbeiter im Lager, Christian, bringt gerade die Paletten ins Kühlhaus.

    "Unsere Aufgabe ist das, den ganzen Joghurt, der hier abgefüllt wird, Pfirsich, Erdbeere und so etwas, bis Schlagsahne, wird hier gelagert, und wir beliefern und packen. Hier in diesen Aufgabenblättern sind dann hier die ganzen Kunden, wie jetzt hier Terra, die tun wir dann packen und werden dann abgeholt."

    Wer ist hier eigentlich behindert, und wer nicht? Diese Frage wird in der Lobetaler Molkerei unwichtig. Sicher, einige reden anders. Andere freuen sich auffällig oft. Wieder andere sind vollkommen unauffällig. Einen Bonus gibt es nicht für die soziale Milchwirtschaft. Um rentabel zu sein, muss die Lobetaler Molkerei eine Million Kilo Milch pro Jahr umsetzen.

    "Wir stehen im Wettbewerb mit ganz großen Mitwettbewerbern, das sind die Molkereien Söbbeke und Molkerei Scheitz, die sind riesig, und die sind Joghurtproduzenten. Da müssen wir uns jetzt ein bisschen breitmachen und uns da auch ein bisschen in den Markt reindrängen, zumindest in den regionalen Markt, und wir merken, dass wir jeden Monat auch mehr Joghurt verkaufen. Aber eine Million Kilo Milch sind acht Millionen Becher Joghurt."

    Knapp drei Millionen Euro kostete der Bau inklusive Maschinen, klassisch finanziert durch Eigenkapital, Bankkredite und EU-Fördermittel. Über die Umsatzzahlen schweigt man sich im ersten Jahr noch verschämt aus.

    "Die Landwirtschaft in Lobetal war ja eine konventionelle Landwirtschaft, der Milchpreis war ziemlich schlecht, also katastrophal, und es ging dann die Frage um, ob die Landwirtschaft eingestellt werden muss oder ob man aus der Landwirtschaft irgendwas anderes macht - beziehungsweise was man aus der Milch machen könnte. Ich habe dann gesagt, wenn Ihr aus Euren Landwirten Bio-Landwirte macht, eine Biomolkerei Biomilch produziert, eine Verarbeitung dazu baut, dann versuchen wir, Produkte herzustellen, die es auf dem regionalen Markt noch nicht aus der Region gibt."

    Innerhalb von zwei Jahren stellten die Landwirte um, im letzten Jahr wurde die Molkerei gebaut. Die silbernen Maschinen sind blitzeblank. Drei große Tanks stehen im Raum, im ersten ist die Rohmilch, im zweiten die pasteurisierte und im dritten ist aus der Milch schon Joghurt geworden. Erst am Ende, kurz vor der Abfüllmaschine, kommt die Fruchtzubereitung hinzu. Und erst jetzt kann man einen winzigen Blick auf das Produkt werfen, das Christa in Trays stellt. Es ist schwarzrot.

    "Ich mache alles gerne. Besonders die hier. Deckel nachfüllen. Deckel nachfüllen ist weiter hinten, und vorne ist Becher nachfüllen. So, fertig."

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