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Loch in der Landschaft

Weltweit verändert der Mensch mit immer drastischeren Eingriffen das Antlitz der Erde. Doch auf der Suche nach den Wunden der Erde muss man nicht weit reisen: Auch in Deutschland, dem größten Braunkohleproduzenten der Welt, hat der Tagebau gravierende Folgen für die Landschaft.

Von Monika Seynsche | 15.02.2012
    Ein Aussichtspunkt im Tagebau Garzweiler. Fast bis zum Horizont erstreckt sich von hier aus eine lang gestreckte Grube, 190 Meter tief, 6 Kilometer lang. An ihrer linken Seite fressen sich scheinbar Spielzeugbagger ins Gestein.

    "Von hier aus verliert man das Gefühl für die Größe. Wenn man die Schaufelradbagger auf der Gewinnungsseite nimmt, die sind in der Regel zwischen 90 und 95 Meter hoch."

    Hermann Oppenberg von RWE Power deutet auf die linke Seite der Grube. Die Schaufelradbagger dort reißen Gesteinsbrocken aus dem Hang und werfen sie auf Fließbänder, die ihre Fracht zu einem zentralen Sammelpunkt am diesseitigen Ende der Grube bringen. Hier wird umgeschichtet, und auf neuen Fließbändern reist das Material weiter. Die Kohle zu den Kraftwerken, alles andere Material zur rechten Längsseite der Grube, wo es verschüttet wird. So frisst sich der Tagebau immer weiter durchs Land - ein wanderndes Loch. Eines, das den Lebensraum von Pflanzen, Tieren und Menschen zerstört. Allein im rheinischen Revier mussten bis heute knapp 37.000 Einwohner ihre Häuser und Dörfer verlassen und dem Tagebau weichen. In ganz Deutschland sind es mehr als 100.000.

    "Ja, vor uns jetzt der Bagger 288, einer von sechs Baggern, die wir hier in der Gewinnung laufen haben. Das ist hier einer der 240.000er. 240.000 heißt 240.000 Festkubikmeter am Tag ist die Maschine in der Lage zu gewinnen."

    Damit sich diese Riesen trockenen Fußes durchs Gestein fressen können, muss das Grundwasser in den Tagebauen abgepumpt werden.

    Frank Wisotzky: "Derzeit sind es etwa 500 Millionen Kubikmeter pro Jahr, die dort abgepumpt werden. Das ist also mehr als alle Wasserwerke in Nordrhein-Westfalen an die Bevölkerung abgeben, nur um mal eine Größennummer zu nennen."

    Dadurch entstehe ein gewaltiger Absenkungstrichter rund um den Tagebau, sagt Frank Wisotzky. Der Professor für Hydrogeochemie an der Ruhruniversität Bochum untersucht seit Langem, wie sich der Braunkohletagebau auf das Grundwasser auswirkt. Im rheinischen Revier steht das Grundwasser natürlicherweise nur knapp unter der Geländeoberfläche an. Es gibt in der Region viele Feuchtgebiete, die durch das Abpumpen in Mitleidenschaft gezogen werden und trockenfallen könnten.

    "Und um das zu verhindern, wird oberflächennah praktisch dieses Sümpfungswasser als Ökowasser wieder eingeleitet."

    Das Wasser fließt im Kreis. Nur so lassen sich die Feuchtgebiete erhalten. Aber der Tagebau schafft noch ein wesentlich größeres Problem. Oppenberg:

    "Hier im Tagebau gewinnen wir Sande aus dem Tertiär, die haben einen sehr hohen Pyritanteil, Pyrit ist Schwefelkies, durch den Kontakt mit dem Luftsauerstoff oxidiert dieser Pyrit, was erstmal nicht weiter schlimm ist."

    Aber dann problematisch wird, wenn nach dem Ende des Tagebaus die Pumpen abgestellt werden und das Grundwasser langsam wieder ansteigt. Kommt es dann in Kontakt mit dem oxidierten Pyrit, entsteht Schwefelsäure. Der pH-Wert sackt ab, die Sulfatkonzentration steigt und zahlreiche Schwermetalle werden freigesetzt. Oppenberg:

    "Damit das nicht geschieht, haben wir hier Silos aufgebaut, über die Kalk den Abraummassen zugegeben wird, und dieser Kalk puffert, indem er dann mit den schwefeligen Säuren zu Gips reagiert."

    Ganz lässt sich das Problem dadurch allerdings nicht lösen. Die Sulfatkonzentrationen blieben auch nach der Kalkung noch deutlich erhöht, sagt Frank Wisotzky:

    "Das heißt also, man hat das Problem, dass man aus einem Wasser, was gut für die Trinkwasserversorgung genutzt wird, ein Wasser macht, was nicht mehr genutzt werden kann."

    Ein Problem, das gegen Ende dieses Jahrhunderts akut werden wird. Theoretisch muss sich dann die RWE oder wer auch immer ihr nachfolgt, darum kümmern. Praktisch weiß niemand, was in 100 Jahren ist. Es gebe Techniken, sagt Wisotzky um das sulfatreiche Wasser aufzubereiten. Die allerdings seien sehr teuer, so Oppenberg:

    "Ja, hier sind wir auf der Königshofener Mulde, einem Teilbereich der Rekultivierung des Tagebaus Garzweiler."

    Dort wo die Kohle aus dem Boden herausgeholt wurde, sind die Bergbaufirmen verpflichtet, neue Landschaften zu schaffen. Wälder werden gepflanzt, Äcker angelegt und in die verbleibenden Restlöcher wird Wasser gepumpt. Selbst der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland weist darauf hin, dass sich die Rekultivierungsmaßnahmen in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verbessert haben. Einige Schätze allerdings, wie die uralten Waldgebiete des Hambacher Forsts gehen unwiederbringlich verloren.

    Hinweis: Alle Beiträge zum Themenschwerpunkt "Die Wunden der Erde" können Sie hier nachlesen.