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Lösegeld statt Gefangenenfreilassung

Der FDP-Politiker Karl Addicks rechnet mit einer Lösegeldzahlung zur Freilassung des im Niger entführten deutschen Mitarbeiters eine Baufirma. Auf die politischen Forderungen der Entführer werde die nigerianische Regierung nicht ohne Weiteres eingehen, sagte Addicks, der selbst einige Zeit als Betriebsarzt in Nigeria tätig war. Die Entführer fordern die Freilassung zweier inhaftierter Straftäter.

    Silvia Engels: Gestern sorgte eine Agenturmeldung aus Nigeria für Hoffnung. Nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur ist möglicherweise einer der beiden in Nigeria entführten Deutschen freigekommen. Der Mitarbeiter eines Zulieferunternehmens der Ölindustrie war am Sonntag, zusammen mit drei anderen westlichen Ausländern, im Nigerdelta verschleppt worden. Das Auswärtige Amt bestätigte die Freilassung allerdings bislang nicht. Von dem bereits vor zwei Wochen entführten deutschen Angestellten des Mannheimer Baukonzerns Bilfinger Berger gibt es dagegen kein neues Lebenszeichen.

    Vor der Sendung haben wir mit Karl Addicks gesprochen. Er ist der entwicklungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. und er kennt sich in Nigeria besonders gut aus, denn dort hat er Jahre für den erwähnten Baukonzern als Betriebsarzt gearbeitet. Von ihm wollten wir deshalb zunächst wissen, wie das Alltagsleben für einen deutschen Angestellten in Nigeria aussieht.

    Karl Addicks: Das sieht so aus, wenn Sie für eine deutsche Firma wie zum Beispiel Bilfinger Berger arbeiten, sind Sie meistens in einem Camp untergebracht, wo die Deutschen alle zusammen leben. Die fahren dann auf ihre Baustellen raus, in diesem Fall sind das kleinere Baustellen in den Gebieten, wo die Ölquellen sind. Ich selbst habe damals während meiner Tätigkeit als Baustellenarzt für Bilfinger Berger so gelebt, in einem Camp, habe unter der Woche an einigen Tagen meine Klinik in der Nähe des Camps betrieben und dann an ein, zwei Tagen jeweils mit einem Schnellboot die Außenbaustellen besucht und dort meine Sprechstunden abgehalten. Da sind Sie zum Teil sehr lange unterwegs, mit einem Boot mit hoher Geschwindigkeit, 50, 60 Stundenkilometer, bis Sie dann durch verschlungene Flussarme, in einem sehr dicht bewaldeten Land - also der Wald reicht bis an die Flussarme heran - sind Sie dort unterwegs. Ab und zu sehen Sie mal eine Siedlung von Menschen, die dort von ihrer Fischerei leben. Und Sie donnern mit Ihrem Boot da durch. Bei jedem Boot, das auf einmal hinter Ihnen am Horizont auftaucht, ist natürlich immer der Gedanke: Wer ist das? Kommt das Boot näher? Ist es noch schneller als wir? Sind das Entführer jetzt? Ich wurde damals zum Glück kein Opfer, aber mein Kollege, der auch dort arbeitete, wurde einmal auf so einer Fahrt auf so eine Außenbaustelle dann von bewaffneten Räubern eingeholt mit einem Schnellboot, wurde beraubt und sah sich dann auf einmal mitten im Dschungel, ohne Boot, ohne alles, mit den wenigen Habseeligkeiten, die er noch am Körper trug. Heute kommen diese Meldungen in letzter Zeit öfter über die Ticker.

    Engels: Sind denn in allen Fällen das vor allen Dingen wirklich finanzielle Gründe, weshalb die Menschen entführt wurden? Oder kommt es auch vor, dass damit politische Forderungen verwebt werden?

    Addicks: Das scheint mehr und mehr auch politische Hintergründe zu haben. Sie erinnern sich, dass es schon vor etlichen Jahren - ich erinnere mal an den Namen Ken Saro-Wiwa. Er war einer der ersten Rebellenführer damals, einer der gemäßigten Leute, die schon seit langer Zeit an die Regierung appelliert haben, von dem Reichtum, der durch das Öl in das Land Nigeria hineinkommt, auch den örtlichen Bevölkerungen etwas abzugeben, dort für vernünftige Infrastrukturen und all diese Dinge zu sorgen. Also man muss sich das so vorstellen, in dem Ort, in dem ich damals lebte, das war Warri im Nigerdelta, da gab es so gut wie keine intakten Straßen. Die Straßen waren übersät mit Schlaglöchern, Sie kamen nicht vorwärts, es gab im Grunde nicht viel an Infrastruktur, auch keine ordentliche medizinische Versorgung. Die Menschen lebten dort in sehr großer Armut und haben natürlich das Gefühl gehabt, dass der Reichtum an ihnen vorübergeht, weil ihn sich die Mächtigen in der Hauptstadt im Wesentlichen in die Tasche stecken.

    Engels Das Ölproblem, das Sie ansprechen, und die ungerechte Verteilung der Erträge ist das eine Problem. Nun ist Nigeria ja auch in anderer Hinsicht ein zerrissenes Land: Die 137 Millionen Einwohner teilen sich ja fast gleich stark in Christen im Süden und Muslime im Norden auf. Und hier treten auch immer wieder Konflikte auf. Nun soll ja im April nächsten Jahres gewählt werden. Kann man diese Entführungen, die sich ja in letzter Zeit häufen, auch im Vorfeld dessen sehen?

    Addicks: Das glaube ich eher weniger. Ich meine, die Entführung jetzt, im Fall dieses einzelnen Deutschen, der vor etwa zehn Tagen entführt wurde - ich kenne den persönlich aus den damaligen Zeiten, ein Landvermesser. Ich glaube nicht, dass das jetzt solcherart Hintergründe hat. Da ist jedenfalls mir in der Richtung nichts bekannt. Auf der anderen Seite ist es völlig richtig, Nigeria ist im Grunde ein in sich zerrissenes Land, der Norden muslimisch, der Süden christlich-animistisch. Und es war bisher immer so, dass die Politik meistens dominiert wurde von den Nordstaatlern. Die Grenze verläuft etwa in einer Ost-West-Linie mitten durch das Land. Man hat damals die Hauptstadt Abuja neu gebaut, früher war ja Lagos die Hauptstadt. Man hat dann Abuja neu in die Mitte des Landes gebaut, um damit auch ein Zeichen zu setzen, der Verbundenheit zwischen dem Norden und dem Süden, die als Klammer wirken sollte für das Land. Aber Nigeria ist natürlich immer in Gefahr, entlang dieser Religionsgrenzen irgendwann auch politisch Schaden zu nehmen. Man kann das nicht vorhersagen.

    Engels: Kommen wir noch einmal auf die Entführungsfälle zurück: Sie haben gerade gesagt, Sie kennen eines der Entführungsopfer. Welche Möglichkeiten hat denn die Bundesregierung überhaupt in einem solchen Fall, in diesem schwierigen Land, in irgendeiner Form Kontakt aufzunehmen, überhaupt etwas für das Opfer zu tun?

    Addicks: Ja, das ist natürlich eine ganz schwierige Angelegenheit. Ich meine, sie müssen, auf der einen Seite müssen sie versuchen, Kontakt zu den Entführern zu bekommen. Auf der anderen Seite müssen sie sich genau überlegen, wie weit gehen die Zugeständnisse, zu denen sie dann die nigerianischen Partner, in diesem Fall ja die nigerianische Regierung, veranlassen sollten. Die Entführer fordern ja im Falle dieses ersten Deutschen, von dem ich gerade gesprochen habe, die Freilassung von zwei inhaftierten Kumpanen. Und das sind natürlich Forderungen, auf die wird man so ohne Weiteres nicht eingehen, davon kann man im Grunde auch nur abraten. Aber sicherlich wird es auch so sein - das wissen die Entführer ja auch, dass eine Regierung darauf mit großer Wahrscheinlichkeit nicht eingehen wird -, dass dann auch finanzielle Dinge ins Spiel kommen. Ja, muss man sehen, wie man zusammenkommt. Ich hoffe nur, dass es möglichst bald zu einem positiven Ergebnis kommt, dass der Herr möglichst bald freigelassen wird.

    Engels: Sie gehen aber auch davon aus, ohne eine Lösegeldzahlung wird das Ganze nicht abgehen?

    Addicks: Davon, denke ich, wird man ausgehen können, weil, wenn die Regierung in Nigeria auf politische Forderungen eingeht, dann öffnen sie ja Tür und Tor für ähnlich gelagerte Entführungsfälle. Also Sie können davon ausgehen, dass - in diesem Falle sind beteiligt die nigerianische Regierung, ein deutscher Krisenstab. Ich habe an diesen Krisenstab übrigens geschrieben, habe angeboten, ob und wenn in irgendeiner Weise das erwünscht ist, dass ich an der Lösung dieses Falles mitwirken könnte, dann stehe ich dazu gerne zur Verfügung. Dann, die Botschaft vor Ort ist involviert. Und man kann davon ausgehen, dass schon sehr intensiv versucht wird, den Mann frei zu bekommen.

    Engels: Besten Dank, Karl Addicks, entwicklungspolitscher Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Ich danke schön, Herr Addicks.

    Addicks: Ich danke Ihnen, Frau Engels.

    Engels: Auf Wiederhören.

    Addicks: Wiederhören.