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Lösliche Schrauben

Materialforschung. - Nach Brüchen müssen Knochen oft mit Schrauben, Nägeln oder Platten fixiert werden, damit sie besser zusammenwachsen. Bislang bestehen diese Implantate aus Edelstahl oder Titan, die in einer zweiten Operation entfernt werden müssen. Auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Biomaterialien, die gerade in Hamburg stattfindet, wurden Forschungsarbeiten über abbaubare Materialien vorgestellt.

Von Frank Grotelüschen | 02.11.2012
    Hamburg, der Teilchenbeschleuniger Petra III. Mit seinen zwei Kilometern Umfang zählt er zu den hellsten Röntgenlampen der Welt. An einem der Messeplätze verfolgt Regine Willumeit ihr Projekt. Die Materialforscherin vom Helmholtzzentrum Geesthacht studiert – den Verfall.

    "Hier untersuchen wir mit einem sehr feinen, sehr starken Röntgenstrahl, wie sich unser Material auflöst. Wir beobachten über mehrere Tage hinweg, wie sich die Korrosionsschicht ausbildet. Wir beobachten den Einfluss der Umgebungsflüssigkeiten auf den Abbau unseres Materials."

    Korrosion, Abbau, Materialschwund – für gewöhnlich schätzen das Werkstoffforscher überhaupt nicht. Regine Willumeit dagegen will, dass sich ihre Materialien zersetzen, und zwar im menschlichen Körper. Sie forscht an Schrauben, Nägeln und Platten, mit denen sich Knochenbrüche fixieren lassen, damit die Knochen besser zusammenwachsen. Bislang bestehen diese Implantate aus dauerhaften Materialien, aus Edelstahl oder Titan.

    "Sodass man automatisch eine zweite Operation benötigt, noch mal Krankenhausaufenthalte einrechnen muss. Da wäre es viel praktischer, wenn diese Implantate sich einfach im Körper auflösen, und man müsste sie nicht noch mal extra entfernen."

    Das Leichtmetall Magnesium gilt als vielversprechender Kandidat für solche löslichen Knochenschrauben. Magnesium nämlich wird durch Körperflüssigkeiten und auch das Immunsystem allmählich zersetzt. Indem die Forscher es mit anderen Metallen legieren, also mischen, wollen sie gezielt einstellen, wie lange eine Schraube im Körper stabil bleibt, bevor sie sich zersetzt. Willumeit:

    "Man versucht, Implantate so herzustellen, dass sie mindestens sechs Monate im Körper stabil sind und dann langsam anfangen, sich abzubauen. Realistisch sollte man mit ein bis zwei Jahren rechnen, bis sich das aufgelöst hat."

    Willumeit und ihre Kollegen versuchen es mit Silber und Calcium, die sie dem Magnesium beimischen. Forscher aus China dagegen setzen auf Legierungen mit Aluminium – was Regine Willumeit durchaus bedenklich findet.

    "Wir persönlich denken, dass Aluminium sehr kritisch ist, weil es diskutiert wird mit der Auslösung von neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer. So dass wir nicht denken, dass das ein kluger Weg ist, ausgerechnet so etwas in den Körper einzubringen."

    Dennoch testen manche Forschergruppen in Fernost ihre Materialien schon im Tierversuch – etwas voreilig wohl und wenig verantwortungsvoll. Dagegen setzen Willumeit und ihr Team auf sorgfältige Vorversuche: Sie tauchen die Magnesiumlegierungen in Lösungen, die den Körperflüssigkeiten ähneln, und schauen nach, wie schnell sich die Legierungen zersetzen. Oder sie bringen das Magnesium mit Zellkulturen in Kontakt und beobachten sein Verhalten. In einigen Monaten aber könnten auch in Deutschland die ersten Tierversuche anlaufen, und zwar gemeinsam mit Medizinern etwa aus Hannover und Hamburg.

    "Wir haben so viele Vorversuche gemacht mit verschiedenen Magnesiumlegierungen, die recht viel versprechend aussehen, dass wir jetzt anfangen, Tierversuche zu planen. Zunächst werden es sehr einfache Versuche sein, in denen wir in Mäusen und Ratten kleine Stifte in einen Knochen einbringen und uns dann anschauen, zum Beispiel über eine Röntgenaufnahme, wie sich das Material im Knochen abbaut über eine längere Zeit, während das Tier ganz normal seinem Leben nachgeht. Da wird es über Wochen und Monate untersucht. Und wir müssen sehen: Wie geht der Körper mit dem Material um?"

    Erste Ergebnisse sollen 2013 vorliegen. Doch bis zu einem klinischen Test beim Menschen dürften noch mindestens zehn Jahre vergehen, schätzt Regine Willumeit. Denn grundlegende Fragen sind noch offen.

    "Die größte Herausforderung ist wirklich zu verstehen, was für komplexe Vorgänge dort ablaufen bei dem Abbau des Materials. Wir wissen viel zu wenig darüber, was der Körper mit dem Material macht. Denn der kann sehr aktiv reagieren. Das ganze Immunsystem wartet quasi nur darauf, das Material wieder loszuwerden."

    Womöglich droht dann die Gefahr, dass sich Schrauben und Nägel auflösen, bevor der Knochen geheilt ist. Und das wollen die Forscher natürlich definitiv ausschließen.