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Loest: DDR-Kader leugnen Vergangenheit

Das Verbreitungsverbot für das Buch "Deutsche Gerechtigkeit" ist nach Einschätzung Erich Loests Ausdruck des Bemühens alter DDR-Kader zur Umdeutung der Geschichte. Die Opfer müssten sich stärker als bisher zur Wehr setzen, um das Unrecht nicht verblassen zu lassen, sagte der Schriftsteller.

Moderation: Christoph Schmitz |
    Christoph Schmitz: Am Anfang aber die DDR. Sie ging zu Ende auch an ihrem Überwachungsterror. Ein gewisser Sven H war einer der Politoffiziere der Grenztruppen. Er indoktrinierte als so genannter Jugendinstrukteur das Grenzregiment, das für den Tod des 20-jährigen Chris Gueffroy 1989 mitverantwortlich ist. Heute steht der Herr H, weil er so genannt werden möchte, in gehobener Position bei der Bundespolizei. Unter anderem über sein damaliges Wirken informiert ein Buch mit dem Titel "Deutsche Gerechtigkeit. Prozesse gegen DDR-Grenzschützer und ihre Befehlsgeber" von Roman Grafe. Das Buch ist 2004 erschienen, Anfang 2006 verbot das Berliner Landgericht dem Siedler Verlag, es weiter zu verbreiten, weil der falsche Eindruck erweckt werde, H. sei mitverantwortlich für den Tod von Chris Gueffroy.

    Jetzt regt sich Protest gegen das Verbreitungsverbot. Unterschrieben haben den Protest der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte unter anderen Walter Kempowski, Wolf Biermann, Heinrich Breloer und Erich Loest. Warum jetzt erst der Widerstand? Das habe ich den Schriftsteller Erich Loest gefragt.

    Erich Loest: Das weiß ich nicht, wahrscheinlich haben die, ihre Anwälte lange gebraucht, um eine Gesetzeslücke zu finden. Jetzt haben sie sie und jetzt sind sie wieder in ihrem Element.

    Schmitz: Was stört Sie an der Gerichtsentscheidung, Herr Loest?

    Loest: Ich kenne das Buch von Roman Grafe, das ist ein ganz zuverlässiger Mann, der genau begriffen hat, was damals geschehen ist. Und er hat zu Papier gebracht, was damals war, wie diese Leute gegen unseren Staat gehetzt haben, gegen die Bundesrepublik, gegen die Freiheit gehetzt haben. Und nun finden sie Paragrafenlücken, die ihnen zupass kommen, und das nutzen sie aus.

    Schmitz: Haben Sie den Eindruck, dass das DDR-Unrecht zu schnell verblasst?

    Loest: Ach, wir sind ja dauernd am Kämpfen. Ich lese heute in der "Leipziger Volkszeitung" von Beleites, das ist der sächsische Beauftragte, dass inzwischen so viele Leute da arbeiten, die beim Innenministerium der DDR waren oder sonstwo, all die Genossen, dass sie das Klima dieser Behörde beherrschen. Ich erlebe das ja in Leipzig, wenn ich gegen Paul Fröhlich etwas sage - das war ein ganz schlimmer Finger, der die Universitätskirche hat sprengen lassen und vieles andere .- wenn ich gegen den etwas sage verstümmelt die "Leipziger Volkszeitung" meinen Artikel und lässt mit Leserbriefen den roten Pöbel gegen mich los. Also das haben wir überall, und wir müssen uns stärker zur Wehr setzen als bisher.

    Schmitz: Das heißt, es wird ehemaligen DDR-Funktionären allzu leicht gemacht, in bundesdeutschen Behörden etwa Karriere zu machen?

    Loest: Ja, die sind überall noch drin, die sind auch in den Zeitungsredaktionen, die sind beim Fernsehen. 95 Prozent der Uni waren ja alte Kader und 99 Prozent beim Fernsehen und 90 Prozent der Lehrer. Und nicht alle haben nun gelernt, wie sie sich damals blamiert haben. Und sie meinen, sie könnten weitermachen wie bisher.

    Schmitz: Worin zeigt sich das, außer den Dingen, die Sie vorhin geschildert haben?

    Loest: Ach das sind nun ein paar Fälle, die mir in den letzten Tagen einfallen. Das ist überall so, bei unserem Streit hier um die Universitätskirche, die nun nicht wieder aufgebaut worden ist, über ein Bild von Tübke, was den Paul Fröhlich da rühmt, dass 17 Jahre lang nach der Wende ein großes Marx-Monument an der Universität hing, und so weiter und so weiter. Die Fälle sind in jeder Stadt vielfältig.

    Schmitz: Wie kann es denn sein, dass die allgemeine Beurteilung, dass man die DDR-Zeit recht gut aufgearbeitet hat, durch verschiedene Behörden, durch Publikationen, Ausstellungen und so weiter, in der Wirklichkeit dann doch nicht so geleistet worden ist?

    Loest: Sehr, sehr viele der Intelligenz, der Eliten, sind übernommen worden, das war gar nicht anders möglich. Diese Leute haben die Blamage des Marxismus-Leninismus bis heute nicht an sich heran gelassen. Sie sagen, ja, das war ja gar nicht der richtige Sozialismus, das war ja ganz anders, Marx hatte ja alles ganz anders gewollt. Und sie sind weder schuld, noch haben sie versagt. Sie schieben Schuld auf andere oder auf dumme Umstände. Sie konnten nichts dafür, sie dürfen weitermachen, meinen sie, wie bisher.

    Schmitz: Das heißt, das Erstarken der PDS in den neuen Bundesländern kommt nicht nur von unten oder vom normalen, ehemaligen DDR-Bürger, sondern auch von der Intelligenz, die nach wie vor integriert ist ins System?

    Loest: Also die PDS gehört natürlich dazu. Aber eine ganze Reihe von Leuten, die auch mit der PDS nichts mehr zu tun haben, haben noch nicht an sich heran gelassen, was die DDR angerichtet hat, wie sie dieses Land zerstört hat und wie sie dabei waren. Kleine Lichter waren sie, bilden sie sich ein. Dann holen sie mal so eine Parteistrafe, die sie einmal hatten, die holen sie mit Behagen heraus, dass sie einen Widerstand geleistet hätten, und so leben sie weiter in den Tag hinein.

    Schmitz: Erich Loest war das über das Publikationsverbot von Roman Grafes "Deutsche Gerechtigkeit" erschienen bei Siedler, aber verboten. Anfang 2007 wird das Berliner Kammergericht über die Berufung entscheiden.