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Lösungen für den Russland-Ukraine-Konflikt
"Es fehlt noch am Willen, vor allen Dingen in Moskau"

Mit mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland werde man sich weder in der Ukraine noch sonst wo abfinden, sagte der Ex-Außenpolitiker Ruprecht Polenz (CDU) im Dlf. Die Aggression gehe unvermindert weiter. Deshalb sei es auch wichtig, die Sanktionen aufrecht zu erhalten.

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 20.07.2019
Ruprecht Polenz in Berlin, im Steigenberger Hotel.
Ex-CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz (imago / Metodi Popow)
Jürgen Zurheide: Die Ukraine haben die Wahl: Nach dem Präsidenten können sie jetzt ein neues Parlament wählen. Und der Präsident, der ja überraschend ins Amt gekommen ist, hofft jetzt auf eine Parlamentsmehrheit, und das alles zeigt, wenn es denn so kommt: Politische Mehrheiten können sich heute innerhalb kürzester Zeit verändern, denn das ist wieder eine neue Partei. (…) Über das Thema Ukraine und die Beziehungen der Ukraine zum Westen wollen wir reden mit Ruprecht Polenz von der CDU, der jetzt bei uns am Telefon ist. Guten Morgen, Herr Polenz!
Ruprecht Polenz: Einen schönen guten Morgen, Herr Zurheide!
Zurheide: Herr Polenz, immerhin haben Herr Putin und Herr Selenskyj mehrfach oder mindestens einmal miteinander telefoniert. Jetzt wissen wir alle, das ist immer ein gutes Zeichen, wenn man redet und nicht schießt, es wird ja auch geschossen. Ist das mehr als ein gutes Zeichen oder was verbinden Sie mit solchen Gesprächen oder Gesprächsbeginnen?
"Die russische Aggression setzt sich fort"
Polenz: Ja, in dieser speziellen Frage erst mal noch nicht so furchtbar viel. Natürlich müssen Putin und Selenskyj miteinander sprechen, man hat ja auch in Minsk miteinander gesprochen im Normandie-Format, man hat Kontakte. Aber es ist ja nichts besser geworden im Grunde im Osten der Ukraine. Die russische Aggression setzt sich fort, die Separatisten werden auch militärisch von Russland unterstützt und über die Krim redet schon gar niemand mehr.
Deshalb tue ich es jetzt und erinnere daran, dass man sich mit der völkerrechtswidrigen Annektion weder in der Ukraine noch sonst wo wird abfinden können. Und das sind sehr, sehr schwierige Bedingungen auch für die Wahlen. Die Wahlen sind ja Listenwahlen und Wahlkreiswahlen, es gibt 225 Wahlkreise, aber es kann nur in 219 gewählt werden, weil eben im Osten der Ukraine freie Wahlen nicht möglich sind.
Zurheide: Wir kommen gleich noch mal auf die Wahlen. Ich will noch einen Moment bei der direkten Beziehung von Russland zur Ukraine bleiben. Es wird ja auch immer über den Austausch von jeweiligen Gefangenen geredet. Was bedeutet das für Sie, oder sind Sie da auch eher zurückhaltend?
Polenz: Nein, es freut mich für jeden, der freikommt natürlich. Aber ich sehe die russische Politik gegenüber der Ukraine nach wie vor unverändert. Putin tut alles, was gerade in der jeweiligen Situation möglich ist, um die Ukraine wieder in den russischen Orbit hineinzuziehen, sie zu einem Land zu machen, das er als nahes Ausland betrachtet, und wo vor allen Dingen die wesentlichen außenpolitischen Weichenstellungen der Ukraine nicht in Kiew, sondern in Moskau vorgenommen werden.
"Die Atmosphäre war etwas freundlicher"
Zurheide: Jetzt kommen Sie gerade vom Petersburger Dialog, Sie waren gestern auf dem Petersberg auch, haben da gesprochen. Da hat es ja, ich sage mal, auch schöne Bilder gegeben des deutschen Außenministers mit dem russischen Außenminister, immerhin, die haben auch wieder miteinander geredet. Was ist sonst passiert außer schönen Bildern?
Polenz: Nun, ich hatte schon den Eindruck, dass die Atmosphäre – ich bin jetzt nicht das erste Mal bei dieser Veranstaltung gewesen – erst mal etwas freundlicher war. Man hatte ein Motto gewählt, was das auch ausdrücken sollte, "Kooperation als Leitmotiv für ein Europa in Frieden, Beiträge aus den Zivilgesellschaften Russlands und Deutschlands". Dem liegt zugrunde die Analyse, dass natürlich die offiziellen Beziehungen zwischen den Staaten wegen der von mir auch gerade genannten Punkte nicht gut sind, sind auch voller Spannungen, dass man aber trotzdem versuchen muss, gerade in solchen Zeiten zivilgesellschaftliche Kooperation zu organisieren, darüber zu sprechen.
Da gab es acht Arbeitsgruppen, wo das, ich war nur in einer selber dabei, der Arbeitsgruppe Medien, eigentlich ganz gut funktioniert hat. Wie das in den anderen Arbeitsgruppen war, habe ich keinen eigenen Eindruck. Aber ich glaube schon, dass der Petersburger Dialog deutlich gemacht hat: Es gibt gerade in den Zivilgesellschaften sehr viele Verbindungen zueinander. Wir hatten vor Kurzem die große Tagung der deutsch-russischen Städtepartnerschaften, wo über 300 verpartnerte Städte sich in Aachen getroffen haben. Also diese Beziehungen sind stabil und man versucht, das Mögliche zu tun. Aber auf der großen Bühne – und die ist natürlich auch sehr wichtig, wie verhält sich Russland gegenüber seinen Nachbarn – ist es nach wie vor sehr schwierig.
"Wichtig, dass man Russland weiter mit Festigkeit entgegentritt"
Zurheide: Das heißt, wir sind wieder in einer Situation, wie wir das möglicherweise Ende der 60er-, 70er-Jahre sind, wo so eine Art Wandel durch Annäherung nur ganz langsam passieren kann, oder wie kommen wir aus dieser Sackgasse raus? Sie haben die Probleme ja zutreffend beschrieben, aber irgendwo müssen wir auch weiterkommen.
Polenz: Ja, ich bin vorsichtig mit Parallelen zur Zeit des Kalten Krieges, zumal die Sowjetunion, jedenfalls ab den 80er-Jahren, eine eher status-quo-orientierte Macht war, während wir doch jetzt bei Putin beobachten können, dass er eher eine ausgreifende Vorstellung und eine imperiale Vorstellung von Russland hat. Und dem muss man auch entgegentreten und deutlich machen, dass wir eben es nicht akzeptieren können, dass Grenzen mit Gewalt verschoben werden. Und deshalb, die Sanktionen waren natürlich in Bonn auch wieder ein Thema, wird man die Sanktionen erst dann aufheben können, wenn etwa in der Ukraine die Minsker Vereinbarungen umgesetzt werden. Und da ist Russland gefordert. Da ist auch wichtig, dass man Russland weiter mit Festigkeit entgegentritt.
Auf der anderen Seite kann man eben auch kooperieren dort, wo man gemeinsame Interessen hat, und der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, hat auf Syrien hingewiesen. Man wird sehen, ob Russland an einem Syrien interessiert ist, das in der Tat dann auch wieder Aufbauchancen hat. Das würde nämlich voraussetzen, dass man auch für eine neue Verfassung eintritt, die den Menschen die Möglichkeit gibt, in die neue Regierung dann auch Vertrauen zu entwickeln.
Die Außenminister Maas und Lawrow auf einer Terrasse. Im Hintergrund ist der Rhein zu sehen.
Die Außenminister Heiko Maas (li.) und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow beim Petersberger Dialog (Marius Becker / dpa / Pool / dpa)
Zurheide: Jetzt haben Sie das Stichwort Sanktionen gerade genannt. Die Grundfrage ist ja: Haben die irgendetwas gebracht, außer, dass sich alles verhärtet? Ich weiß, es ist eine ganz schwierige Frage, aber …
Polenz: Ja. Man muss sich vorstellen, wenn keine Sanktionen erfolgt wären, welche Signale wären das denn gewesen? Das hätte geheißen, man kann ohne großes Risiko einem anderen Land ein großes Stück wegnehmen, indem man es annektiert, die Krim, man kann ein anderes Land angreifen, indem man dort Separatisten ausrüstet, berät und ihnen hilft, ohne dass irgendetwas passiert. Und wenn das in der Ukraine klappt: Es gibt ja russische Minderheiten auch noch im Baltikum, warum soll man es nicht da auch versuchen? Also es war schon sehr nötig, ein deutliches Stopp-Signal zu setzen, und das ist offensichtlich durch die Sanktionen und auch durch ein paar andere Maßnahmen gelungen.
"Wir haben einen Krieg in Europa"
Zurheide: Das heißt, Sie setzen immer noch darauf, dass die Russen irgendwann sozusagen wieder zurückziehen?
Polenz: Ich setze darauf, dass jedenfalls die Aggression in der Ostukraine entsprechend den Minsker Vereinbarungen, die man wahrscheinlich auch an der einen oder anderen Stelle anpassen muss, umgesetzt werden, dass jetzt erst mal der wiedervereinbarte Waffenstillstand hält, denn man muss sich ja klar machen: Es sterben in der Ukraine Menschen. Wir haben einen Krieg in Europa. Und den zu beenden, das ist das primäre Ziel, und dann muss man sehen, dass die Ukraine ihre Ostgrenze stabil gesichert bekommt, da gibt es viele Vorschläge mit UN-Beobachtern und so weiter, und so weiter. Also Vorschläge gibt es genug, es fehlt noch am Willen, vor allen Dingen in Moskau.
Zurheide: Jetzt gehen wir zurück auf die Ukraine. Nach dieser Wahl, wenn es denn das erwartete Ergebnis geben sollte, dass Herr Selenskyj mit einer neuen Partei im Parlament dann auch eine Mehrheit hat – erwarten Sie da irgendwelche Änderungen? Ich habe es vorhin schon gesagt, wir haben auch da die Beobachtung, dass wir wieder eine völlig neue politische Kraft haben, von der wir eigentlich nicht wissen, was sie will. Oder wissen Sie, was die wollen?
Polenz: Also wichtig ist erst mal, dass man noch mal festhält: Niemand weiß, wie die ukrainischen Wahlen ausgehen. Das spricht dafür, dass wir es doch mit demokratischen Verhältnissen zu tun haben, etwa im Unterschied zu Russland, wo feststeht, wer jeweils die Wahlen gewinnt.
Der ukrainische Präsidentschaftskandidat Wolodymyr Selenskyj jubelt nach den ersten Prognosen bei der Stichwahl um das Präsidentenamt.
Wolodymyr Selenskyj jubelt nach den ersten Prognosen bei der Stichwahl um das Präsidentenamt. (AFP - Genya Savilov)
Das Zweite: Mit der Mehrheit für Selenskyj muss man ein bisschen vorsichtig sein, weil die Umfragen sich auf die Parteilisten beziehen, aber nur die Hälfte der Rada wird über Liste gewählt, die andere Hälfte in den Wahlkreisen, da gibt es keine Umfragen. Also mit einer absoluten Mehrheit der Mandate kann man, glaube ich, nicht ohne Weiteres rechnen. Das wird man dann sehen, wenn ausgezählt ist.
Richtig ist: Wir werden dann eine Partei erleben mit sehr, sehr vielen Parlamentsneulingen, ähnlich wie das bei Macron in Frankreich der Fall war. Es gibt vielleicht auch noch ein paar andere Parallelen, eine Bewegung wird sozusagen aus dem Nichts zu einer bestimmenden Kraft. Aber Sie haben ja gerade auch in dem Bericht gehört: So richtig wissen, was dann auf der Agenda steht, tut man in der Ukraine nicht. Das weiß ich auch nicht. Und die Probleme, die man angehen muss, sind ja immens, das ist die Korruption, das ist der Krieg im Osten, das ist die Herrschaft der Oligarchen, wobei man eben auch wissen muss: Auch Selenskyj ist nicht völlig frei davon, …
Zurheide: Richtig.
Polenz: … von Oligarchen gestützt zu werden.
Zurheide: Ich glaube, wir werden noch das eine oder andere Gespräch darüber führen, wenn die Wahlen denn dann zu Ende sind.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.