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Parlamentswahl in der Ukraine
Junge drängen in die Politik

Neue Gesichter werden in das nächste Parlament einziehen. Unter ihnen wird vermutlich auch der Popstar Swjatoslaw Wakartschuk mit seiner Partei „Stimme“ sein. Deren Mitglieder sind vor allem Politik-Neulinge, die ihr Land verändern wollen.

Florian Kellermann |
Swjatoslaw Wakartschuk (Okean Elzy) beinem Auftritt am 11.10.2009 in der Markthalle in Hamburg.
Der Popstar Swjatoslaw Wakartschuk zieht vermutlich mit seiner Partei „Stimme“ in das nächste ukrainische Parlament ein. (imago / PHOTOMAX)
Der schmächtige junge Mann wirkt etwas verloren auf dem weitläufigen Platz der Einheit. Viktor Jewpak hat sich vor das mächtige Gebäude der Bezirksverwaltung gestellt, im Zentrum seiner Stadt Tscherkassy, und liest aus der ukrainischen Verfassung. Nur wenige Passanten hören ihm zu.
"Den Leuten ist die Verfassung egal. Weil sich noch nie eine Regierung an sie gehalten hat. Ich lese hier, dass jeder das Recht auf kostenlose Bildung hat. Ein Hohn! Meine Kinder sind in den staatlichen Kindergarten gegangen und sind jetzt in der staatlichen Schule. Da müssen die Eltern sogar das Klopapier beschaffen, weil die Schule es sich nicht leisten kann."
Neue Gesichter in der Politik
Viktor Jewpak, 34 Jahre alt, will das ändern. Er kandidiert am Sonntag für das Parlament - für die Partei "Stimme" des ukrainischen Popsängers Swjatoslaw Wakartschuk. Umfragen sehen sie bei sechs bis acht Prozent. "Stimme" sei eine Partei ganz neuen Formats, meint Viktor Jewpak. Eine Partei, die sich dem Einfluss der Oligarchen entziehe.
"Ich will ins Parlament, weil man nur dort Probleme lösen kann, die auch für Tscherkassy wichtig sind. Wir sind eine starke und kompetente Mannschaft, wie sie keine andere Formation hat. Alle bei uns, die ich kenne, sind ehrlich und aufrichtig."
Richtig ist immerhin, dass "Stimme" Menschen anzieht, die bisher nicht in der Politik waren. Jewpak selbst ist ein IT-Unternehmer. Apps, die seine Firma entwickelt hat, werden auch in Deutschland eingesetzt. Er habe in Budapest Jura studiert, sei allerdings in die Ukraine zurückgekehrt, weil er an seiner Heimat hänge.
Schon immer habe er einen Teil seines Gewinns in gemeinnützige Projekte gesteckt, sagt der Jungunternehmer. In ein Hospiz etwa und in die Betreuung von Menschen mit dem Down-Syndrom.
Der Wille, das Land zu verändern
Mit einer kostenlos entwickelten Fahrplan-App für die Stadt-Busse in Tscherkassy sei er schnell mit der korrupten Verwaltung in Konflikt geraten.
"Der Bürgermeister hat die Geräte in den Bussen, die deren Standort sichtbar machen, ausschalten lassen. Denn die App hat jedem Bürger gezeigt, dass tatsächlich viel weniger Fahrzeuge unterwegs sind, als die Stadtverwaltung behauptet. Wir haben dann eine Kampagne im Internet gestartet - und in einem Teil der Busse funktioniert die App nun wieder."
Durch die Episode habe er verstanden: Wirklich verändern könne er das Land nur in der Politik, sagt Jewpak.
In ukrainischen Stadt Tscherkassy wirbt Viktor Jewpak für seine Kandidatur. Er will für die Partei "Stimme" in das Parlament einziehen.
In ukrainischen Stadt Tscherkassy wirbt Viktor Jewpak für seine Kandidatur. Er will für die Partei "Stimme" in das Parlament einziehen. (Florian Kellermann)
Menschen wie ihn zieht es derzeit nicht nur in die Partei "Stimme", sondern auch in die des neuen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. "Diener des Volkes", heißt sie - und wird ganz sicher die große Gewinnerin der Wahl am Sonntag.
Ohne ausgefeiltes Programm, dafür mit viel Charisma
So auch in Tscherkassy, zumindest laut Wahlumfragen. Und in jedem Fall hoffen das so manche Bewohner der Stadt, wie auch eine Frau, die mit ihrem kleinen Sohn an einem Brunnen spielt:
"Ich möchte nicht, dass er auch ins Ausland geht wie mein Ältester. Der arbeitet als Koch in Russland. Selenskyj hat versprochen, dass er ein besseres Land aus der Ukraine macht und dass die Emigranten zurückkehren können."
Noch ist unklar, ob "Diener des Volkes" am Sonntag die absolute Mehrheit der Stimmen im Parlament erringen wird. Falls nicht, gilt eine Koalition zwischen dem früheren Kabarettisten Selenskyj und dem Sänger Wakartschuk mit dessen Partei "Stimme" als wahrscheinlich. Beide eint, dass sie die Wähler durch ihre Persönlichkeit überzeugen, dass sie Enthusiasten auf ihre Seite bringen, freilich ohne ein ausgearbeitetes Programm zu haben.
"Es braucht auch Profis"
Manche Experten sehen das als Gefahr, so auch die Politologin Oleksandra Reschmedilowa von der Universität in Kiew:
"Es kann ja nicht sein, dass nur noch Schauspieler, Sänger, Jongleure und Tänzer die Politik bestimmen. Da braucht es auch Profis, die wissen, was sie wollen und Gesetze schreiben können. Und der Wahlkampf sollte ein Wettbewerb der Ideen und Pläne sein."
Andere Experten gehen davon aus, dass die Jungpolitiker ihren Enthusiasmus ohnehin bald verlieren würden. Und dass sie das korrupte, von Oligarchen gesteuerte, System bald vereinnahmen werde.
Viktor Jewpak will das zumindest für seine Partei ausschließen.