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Lohnersatz statt Zuschuss

Eine Rentenversicherung in Selbstverwaltung hat es in Deutschland schon ab 1911 gegeben. Während des Nationalsozialismus wurde sie jedoch aufgelöst. Nach dem Zweiten Weltkrieg sorgte dann die BfA für finanzielle Sicherheit im Rentenalter, auch für Nichtberufstätige.

Von Klaus-Peter Weinert | 01.08.2013
    "Man muss auch berücksichtigen, dass die Art der Beschäftigung dieser Angestellten häufig zu einem frühen Verbrauch der geistigen Fähigkeiten führt, und man muss vor allen Dingen berücksichtigen, dass die Frauen dieser Angestellten sehr häufig unfähig sind, nach dem Tode ihrer Männer in erheblichem Umfange durch ihrer Hände Arbeit oder durch einen anderen Beruf die Mittel aufzubringen, die notwendig sind, um sich selbst und die hinterbliebenen Kinder angemessen zu versorgen."

    So begründete der Staatssekretär Clemens von Delbrück im Mai 1911 im Deutschen Reichstag den Gesetzentwurf für eine Angestelltenversicherung. Zwei Jahre später wurde die Altersvorsorge eingeführt und als Selbstverwaltung organisiert. Die Nationalsozialisten schafften diese Autonomie wieder ab und holten die Angestellten zur besseren Kontrolle unter das Dach der Reichsversicherungsanstalt. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte man zur Selbstverwaltung zurück. Am 1. August 1953 wurde die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, die BfA, mit Sitz in Berlin gegründet.

    Zwar gab es Befürchtungen, dass Berlin im Kalten Krieg kein geeigneter Platz wäre, doch sollte die Verbundenheit der Stadt mit Westdeutschland unterstrichen werden; außerdem lagerten die Unterlagen der Reichsversicherungsanstalt in Berlin, und: Die neue BfA schuf Arbeitsplätze.

    Sie war nicht nur für die Renten zuständig, sie unterhielt auch Sanatorien, um Berufsunfähigkeit vorzubeugen. Gemeinsam mit einer Wohnungsbaugesellschaft engagierte sie sich für das größte Wohnungsbauprogramm der Nachkriegszeit. Konrad Adenauer, der erste Kanzler der Bundesrepublik, bemängelte schon 1953 die niedrigen Renten, auch für Invaliden und Hinterbliebene. Eine umfassende Reform sollte für mehr Sicherheit sorgen. Renten sollten Lohnersatz sein und nicht bloß Zuschuss. Das war der Beginn der großen Rentenreform von 1957:

    "Das neue Gesetz ist ein sozialer Fortschritt allerersten Ranges. Es ist von der denkbar größten sozialen und wirtschaftlichen Bedeutung."

    Die Reform trat rückwirkend zum 1. Januar 1957 in Kraft, erhöhte die damals sehr geringen Renten um 70 Prozent und koppelte sie an die steigenden Löhne. Außerdem gab es nun auch eine Erwerbsunfähigkeitsrente und die Möglichkeit für Frauen, ab dem 60. Lebensjahr aus dem Beruf auszuscheiden. Die nächste Änderung kündigte 1969 der damalige Kanzler Willy Brandt an:

    "Die Bundesregierung wird im Laufe der Legislaturperiode den schrittweisen Abbau der festen Altersgrenze prüfen und sich bemühen, sie durch ein Gesetz über die flexible Altersgrenze zu ersetzen. Die gesetzliche Alterssicherung soll für weitere Gesellschaftsgruppen geöffnet werden."

    Kritiker bezeichneten diese Reform als "Zeit der Geschenke", weil sie Berufsgruppen - zum Beispiel Selbstständige und Hausfrauen - integrierte, die nicht in die Rentenkasse eingezahlt hatten. Die größte Wirtschaftskrise nach 1945 - der extreme Ölpreisanstieg aufgrund des Verfalls des Dollars sowie der Zusammenbruch des internationalen Währungssystems - brachte ab 1973 für die BfA finanzielle Belastungen mit sich, da die Einnahmen zurückgingen.
    1990 stand die Bundesversicherungsanstalt vor der nächsten Herausforderung: die Integration der ostdeutschen Rentner. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund der DDR forderte:

    "Das neue Rentengesetz müßte regeln, daß jeder seinen Anspruch aus der Sozialversicherung hat, daß jedem entsprechend seinem Einkommen, den Arbeitsjahren und den eingezahlten Beträgen seine Rente berechnet wird … und daß die Renten immer mit der Lohn-Preis-Entwicklung Schritt halten."

    Diese Forderung wurde prinzipiell auch erfüllt. Aber der ökonomische Zusammenbruch in den Neuen Ländern war ein großes Problem, da wegen der hohen Arbeitslosigkeit zu wenig Beschäftigte in die Rentenkasse einzahlten. So musste der Bund Zuschüsse von rund zwei Milliarden D-Mark jährlich an die BfA zahlen.

    Die schweren Belastungen führten zu Rentenkürzungen, sodass sich die rot-grüne Koalition 2002 gezwungen sah, die gesetzliche Rente weiter zu kürzen und durch die teilprivate Riester-Rente zu ergänzen. Bundeskanzler Gerhard Schröder:

    "Gewinner sind die Rentnerinnen und Rentner, Gewinner sind aber auch die aktiv Beschäftigten, die jungen zumal, Gewinner ist auch der Bundesarbeitsminister Walter Riester, der mit großer Entschiedenheit und gegen viele Widerstände ein wirklich großes Reformwerk durchgesetzt hat."

    Am 1. Oktober 2005 wurden die Rentenversicherungsträger - die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, die Bundesknappschaft und andere - unter dem Namen "Deutsche Rentenversicherung" zusammengefasst - um Kosten zu sparen und die Effizienz zu steigern.