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'Lohnnebenkosten senken - Rentenalter steigern'

Koczian: Viereinhalb Millionen Arbeitslose. Wie viele sind der aktuellen Wirtschaftsschwäche geschuldet, welche Zahl ist wiederum im engeren Sinne strukturell bedingt? Die Frage richtet sich also auch danach, ob Vollbeschäftigung unter modernen Bedingungen überhaupt noch eine realistische Option ist?

    Knappe: Die Arbeitslosigkeit wird ja von allen möglichen Ursachen beeinflusst. Im Augenblick haben wir eine Konjunkturschwäche, die im Wesentlichen von außen kommt. Da können wir auch relativ wenig gegen machen, und ich vermute mal, dass etwa 400.000 Arbeitslose darauf zurück gehen. In diesem Konjunkturszenario ist natürlich die Tatsache, dass wir das internationale Schlusslicht sind, natürlich wieder hausgemacht, und ein Teil dieser 400.000 ist dann auch wieder unsere eigene Schuld. Aber gemessen an den 4,5 Millionen ist natürlich die Frage, ist der Konjunktur 300.000 oder 400.000 Arbeitslose zuzurechnen, überhaupt nicht das Problem, sondern das Problem besteht darin, dass wir irgendwann wieder mal Vollbeschäftigung kriegen müssen, und die Richtung, wie wir dahin kommen sollen, ist derzeit überhaupt nicht in Sicht.

    Koczian: Geld und Fiskalpolitik verlieren ihren Gestaltungsspielraum. Der Satz stammt von Ihnen. Was aber könnte an deren Stelle treten?

    Knappe: Ja, es gibt drei große Stellschrauben, wenn sich der Arbeitsmarkt positiv entwickeln will: Das ist die Geldpolitik, die von der Europäischen Zentralbank gemacht wird, da haben wir gar keinen Einfluss drauf. Das ist die Fiskalpolitik, die sich mittlerweile total gefesselt hat, und dann bleibt lediglich noch drittens die Lohnkostenpolitik, also nicht vor allem die Lohnpolitik, sondern Löhne und Lohnnebenkosten. Das ist eigentlich der zentrale Motor, an dem wir drehen könnten, wenn wir wollten. Wir wollen aber nicht.

    Koczian: Rationalisieren wir uns selbst die Arbeit weg? An ICE- oder Straßenneubaustrecken sieht man ja tolle Maschinen, aber kaum noch Menschen, während noch in den 50er Jahren an Baustellen es von Menschen wimmelte.

    Knappe: Das ist zwar ein illustratives Bild, es erklärt aber eigentlich das Falsche. Selbstverständlich müssen die Firmen hochrationell arbeiten. Was wir brauchen, ist neben zehn hochrationell arbeitenden Firmen eine elfte, die die Arbeitslosen aufnimmt.

    Koczian: Beschäftigungsprogramme jenseits des Marktes, wie es jetzt für Langzeitarbeitslose, die älter als 25 sind, geplant sind, also 100.000 ABM-Stellen in strukturschwachen Gebieten des Ostens; machen solche Programme Sinn?

    Knappe: Für die 100.000 vielleicht. Sie hätten ein verheerendes Signal für die Gesamtrichtung der zukünftigen Politik. Man versucht halt wieder, mit Aktionismusprogrammen, die letztlich ganz wenigen helfen, aber das globale Arbeitslosigkeitsproblem eher verschärfen, die Leute zu beruhigen. Mit dieser Art von Politik wird man von den 4,5 Millionen Arbeitslosen nicht runterkommen.

    Koczian: Nun, einerseits muss Arbeit besser verteilt werden, andrerseits spricht man von einem Renteneinstiegsalter von 67 Jahren, um die Ansprüche an die Altersversorgung halten zu können. Weiß da die eine Hand, was die andere macht? Wie kohärent ist diese Politik?

    Knappe: Es wird natürlich in Deutschland immer nur über kleine Ausschnitte dieser Wirtschaft diskutiert. Diskutieren Sie die Rentensituation, ist es vollkommen richtig, dass das Rentenalter eigentlich erhöht werden muss, einfach deswegen, weil die Rentenbezugsdauern das heißt die Lebenserwartung nach Bezug der Rente ständig steigen, und das kann sich sozusagen eine Bevölkerung, die altert, wo also die jungen Geburtenjahrgänge zu klein sind, einfach nicht mehr leisten. Auf der anderen Seite müssen die Leute, wenn sie später in Rente gehen sollen, auch einen Arbeitsplatz haben. Dagegen spricht es schon wieder. Das passt in diese Landschaft nicht rein. Es bleibt aber unter dem Strich, wenn das Rentenalter erhöht wird und die Leute trotzdem, wie es heute üblich ist, im Durchschnitt mit 60 in Rente gehen, kriegen sie eben Abschläge nicht für fünf Jahre für vor dem Rentenbezug, sondern für sieben Jahre, und das saniert auch wieder die Rentenversicherung.

    Koczian: Löst der demographische Faktor die Arbeitslosigkeit und wann?

    Knappe: Das ist eine große Hoffnung. Wenn wir die Politik so weitermachen wie bisher, sehe ich allerdings, dass wir diese Chance vertun werden.

    Koczian: Vielen Dank für das Gespräch.