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Lohnt Sex, und wenn ja, mit wem?

Lohnt Sex? Eine einfache Frage, deren Antwort offensichtlich ist. Allerdings nur im Schlafzimmer. Liegen Biologen nicht im Bett, sondern arbeiten in ihren Forschungslabors, dann schwant ihnen, dass die Fortpflanzung über Männchen und Weibchen zunächst einmal wenig Sinn macht: sie ist schlicht nicht effektiv. Schließlich lassen sich per Jungfernzeugung viel mehr Nachkommen in die Welt setzen. Doch allen theoretischen Widersprüchen zum Trotz ist Sex in Feld und Wald, in Teich und Meer allgegenwärtig und das in mehr Varianten, als im Kamasutra verzeichnet sind. Kein Wunder, dass Wissenschaftler wissen wollen, warum es Geschlechter gibt, ob Treue ein Selektionsvorteil ist und inwieweit Sex überhaupt noch etwas mit Reproduktion zu tun hat - Sex ist ein fruchtbares Forschungsgebiet.

Von Volkart Wildermuth | 16.01.2005
    Let´s talk about Sex, denn Sex ist ein Problem. Zumindest für Biologen, wenn sie gerade nicht im Bett sind, sondern in Feld und Labor forschen. Die offenen Fragen nehmen kein Ende: macht es im Tierreich Sinn treu zu sein? Gibt es festgelegte Rollen für Männchen und Weibchen? Sind Zwitter glücklicher? Und vor allem, warum gibt es überhaupt Sex?

    Dass die Fortpflanzung über zwei Geschlechter schlicht nicht effektiv ist, zeigt ein Beispiel: Stellen sie sich ein Hasenpaar vor. Zwei Eltern, ein Wurf von 10 Hasen, zur Hälfte Jungen und Mädchen. Im nächsten Jahr gibt es 5 Paare mit zusammen 50 Nachkommen. Ein Frühjahr später bekommen 25 Elternpaare 250 jungen Hasen und solange die Wiese nicht abgegrast ist, geht es immer weiter. Klingt, als ob Sex funktioniert. Tut er auch, aber ohne Sex geht es noch besser. Nehmen wir an, es gäbe nicht den Hasen und die Häsin sondern nur das Has, das ganz alleine Karnickel produziert. Erstes Jahr. Ein asexuelles Has wirft 10 Junge, genau wie die Häsin beim traditionellen Vorgehen. Schon ein Jahr später haben die Has aber die Näschen vorne: 100 kleine Haschen hoppeln herum, doppelt so viele wie bei der sexuellen Vermehrung. Ein Jahr später gibt es schon 1000 asexuelle Has. Die 250 normalen Hasen haben da den evolutionären Wettlauf auf der Wiese schon fast verloren.

    Also Männer sind kostspielig weil sie selbst keine Nachkommen produzieren und im Prinzip nur die Gene dazu beitragen. Das ist zumindest so bei den meisten Arten. Das führt dazu, dass wenn ein Weibchen zu 50 Prozent Söhne produziert, dass sie nur die Hälfte der Enkel haben würde, die ein anderes Weibchen haben würde, das sich ungeschlechtlich vermehrt und zum Beispiel nur Töchter produziert die selber auch nur Töchter produzieren.

    Für den Biologen Prof. Nicolas Michiels von der Universität Münster steht fest: Männer verursachen Kosten in der Evolution, aber sie tragen selbst nur wenig zur Verbreitung einer Art bei. Dieser theoretischen Erkenntnis zum Trotz rammeln die Hasen, bestäuben sich Blüten und Korallen entlassen Unmengen Eier und Spermien ins weite Meer. Eine Verschwendung von Energie und Zeit, die irgendeinen Vorteil bringen muss, sonst hätte sie die Evolution schon lange abgeschafft. Es gibt einen bunten Strauss an Theorien, die das Paradox der sexuellen Vermehrung erklären wollen.

    These Eins: Sex sorgt für Vielfalt.

    Wenn Pflanzen aussprossen oder sich Rennechsen per Jungfernzeugung vermehren entstehen Klone. Diese genetischen Kopien haben alle die gleichen Bedürfnisse, sie drängen sich in derselben ökologischen Nische. Beim Sex dagegen wird das Erbgut von Vater und Mutter jeweils neu gemischt. Es entstehen Individuen mit unterschiedlichen Vorlieben, die aus derselben Umwelt mehr herausholen können.

    These Zwei: Sex schützt vor Mutationen.

    Genetische Mutationen sind fast immer negativ. Bei der asexuellen Vermehrung schlagen sie voll durch und führen häufig zum Tod des Tieres. Sexuelle Organismen haben aber zwei Kopien von jedem Gen, eine vom Vater und eine von der Mutter. Ist die eine beschädigt, kann das die andere ausgleichen.

    These Drei: Sex hält flexibel.

    Ein Klon zu sein ist solange eine schöne Sache, wie die Bedingungen gleich bleiben. Leider ist die Umwelt ständig in Bewegung. Besonders Parasiten passen sich schnell an unveränderliche Klone an und setzen ihnen schwer zu. Bei den sexuellen Arten werden die Karten in jeder Generation neu gemischt. Keiner gleicht dem anderen und irgendjemand kann den Parasiten sicher ein Schnippchen schlagen.

    Alle Theorien klingen überzeugend, es ist aber ausgesprochen schwierig, sie in der Natur zu überprüfen. Vor kurzem hat Nicolaas Michiels ein ideales System für den direkten Vergleich der Vorteile von sexueller Vermehrung und Jungfernzeugung entdeckt. Es handelt sich um eine Art der Plattwürmer, die beides kann. In den Flüssen Italiens machen sie amore und setzen auf Sex, in allen anderen Gegenden Europas dagegen beschränken sie sich auf die ungeschlechtliche Fortpflanzung.

    Und dort stellen wir dann fest, dass die asexuellen Formen ganz eindeutig häufiger befallen sind von allen möglichen Parasiten und Krankheiten. Was wir andererseits feststellen ist dass asexuelle Formen auch starke Entwicklungsstörungen vorweisen bei den Jungtieren und das denken wir ist eine Anhäufung von schädlichen Mutationen. Das ist auch genau das was man erwarten würde, bei asexuellen Formen. Nur Sexualität erlaubt quasi eine Eliminierung von schwach schädlichen Mutationen. Und das ist mittelfristig und langfristig ein großer Vorteil von Sexualität.

    Das Beispiel der Plattwürmer legt nahe, dass es beim Sex letztlich vor allem um die Abwehr von Parasiten und das Ausgleichen von Mutationen geht. Beide sind offenbar so gefährlich, dass sich fast alle Vielzeller das Erbgut sexuell durchmischen lassen, auch wenn sie dadurch nur die Hälfte der rechnerisch möglichen Nachkommen produzieren können. Dabei steht die Sexualität in ständiger Konkurrenz zur Jungfernzeugung. Auch bei den Plattwürmern hat sich der Sex nur im Norden Italiens durchgesetzt. Nicolaas Michiels nimmt an, dass diese Würmerart erst vor relativ kurzer Zeit die Alpen überquert hat und sich dort noch kaum mit Parasiten herumschlagen muss. Das gibt den Plattwürmern die Freiheit, bei der Vermehrung auf Tempo durch Jungfernzeugung statt auf Sicherheit mit Sex zu setzen. In Italien dagegen sind die Parasiten schon an die Würmer angepasst, so dass sich die geschlechtliche Vermehrung unterm Strich zu lohnen scheint.

    Es braucht zwei zum Sex, aber wer sagt, dass es ein Männchen und ein Weibchen sein müssen? Getrennte Geschlechter sind hier theoretisch überflüssig und praktisch auch, wie viele Würmer, Schnecken und Pflanzen bestätigen, die sich als Zwitter in die sexuelle Arena begeben. Wenn so zwei Gleiche zueinander finden, heißt das allerdings nicht, das eitel Freud und Sonnenschein herrschen, meint Nicolaas Michiels.

    Bei Zwittern ist es zum Beispiel häufig der Fall, dass alle Individuen ein hohes Interesse haben, möglichst viele andere Partner zu besamen, aber weil Spermienempfang häufig kostspielig ist, versuchen sie möglichst wenig zu empfangen. Weil bei jeder Spermienübertragung immer ein Empfänger und ein Donor besteht gibt es also immer einen Konflikt zwischen zwei Tieren, die aufeinander treffen. Beide möchten geben, keiner möchte empfangen und sie fangen an fast zu kämpfen miteinander, und der, der gewinnt, das ist dann der, der es geschafft hat, seine Spermien zu übertragen.

    Theoretisch könnten Zwitter sich auch einfach selbst begatten. Aber wenn die Mühen der Sexualität Früchte tragen sollen, dann kommt es ja gerade darauf an, dass zwei unterschiedliche Individuen ihr Erbgut in den Nachkommen vermischen. Der Konflikt zwischen den Zwittern ist also unausweichlich. Manchmal wird er friedlich beigelegt, in einer Art Spermienhandel, bei dem jeder Zwitter gibt und empfängt. Manchmal wird er aber auch ausgetragen. Zum Beispiel von großen, auffällig bunt gefärbten Strudelwürmern, die im Korallenmeer leben.

    Diese Zwitter haben einen nadelspitzen Penis, mit dem sie ihre Spermien Artgenossen unter die Haut spritzen. Die Kosten für den so Getroffenen sind hoch, manchmal muss er ganze Körperteile regenerieren. Begegnen sich zwei dieser Strudelwürmer, richten sie sich auf, stülpen ihren Penis wie einen Säbel aus und versuchen sich gegenseitig Spermien zu injizieren. Penisfechten nennen die Biologen diesen spektakulären Sexualkampf am Riff.

    Soviel zum Thema Harmonie unter Zwittern. Der erste Sex hat wohl zwischen Zwittern stattgefunden, doch gleichzeitig kam auch der Ehekrach in die Welt. Nicolaas Michiels ist davon überzeugt, dass im Streit der Zwitter die Wurzel liegt für die Entstehung der Geschlechter.

    Wir vermuten dass Zwittertum eine evolutionäre Sackgasse ist und das der Übergang zur Getrenntgeschlechtlichkeit eigentlich eine Lösung ist, von vielen kostspieligen und oft sinnlosen Paarungskonflikten die man bei Zwittern kennt. Ich denke, dass die Funktion von getrennten Geschlechtern ist in erster Linie eine bessere Kontrolle der Eskalation der Paarungskonflikte die man sonst sehen könnte.

    Vorhang auf für Mann und Frau.

    Je t’aime haucht und stöhnt und flötet Jane Birkin und treibt seit Jahrzehnten den Kreislauf der männlichen Hälfte der Bevölkerung in die Höhe. Frau umbalzt Mann. Der Song widerspricht gängigen Klischees. Eigentlich soll es doch Er sein, der Sie anmacht. So steht es in unzähligen Romanen und spätestens seit Charles Darwin ist diese Rollenverteilung sozusagen wissenschaftlich abgesichert.

    Die Männchen fast aller Arten haben stärkere Leidenschaften als die Weibchen. Deshalb sind es die Männchen, die miteinander kämpfen und ihre Reize verführerisch vor den Weibchen präsentieren. Die Weibchen auf der anderen Seite sind fast ohne Ausnahme weniger begierig als die Männchen. Sie will umworben werden, sie ist spröde und versucht häufig für lange Zeit dem Männchen zu entkommen. Die Weibchen, obgleich verhältnismäßig passiv, üben eine gewisse Wahl aus und bevorzugen ein Männchen vor den anderen. Oder sie akzeptiert, wie es manchmal erscheint, nicht das attraktivste Männchen, sondern das, welches sie am wenigsten abstößt.

    So fasst Charles Darwin seine umfassende Kenntnis der Tierwelt in dem Buch: "Die Abstammung des Menschen und die Auslese in Bezug auf das Geschlecht" zusammen. Seine Beobachtungen auch auf den Menschen auszuweiten, erschien ihm selbstverständlich. Schließlich war das viktorianische England eine Gesellschaft der strikten Formen, die Mann und Frau klar definierte Plätze zuwies. Und zwar Er oben und Sie unten. Politisch nicht korrekt und zurecht überholt. Andererseits lassen sich die Unterschiede zwischen den Geschlechtern auch nicht weg diskutieren. Es kommt darauf an, sie in die richtige Perspektive zu setzen, meint Nicolaas Michiels.

    Von der Biologie aus ist ganz klar, dass Männer und Frauen absolut gleichwertig sind, weil der genetische Beitrag in die nächste Generation läuft zu 50 Prozent über Mütter und zu 50 Prozent über Väter, das heißt die Gleichwertigkeit steht außer Frage, aber die Unterschiede zwischen den beiden, dass sie unterschiedliche Interessen haben, dass sie unterschiedliche Vorstellungen haben und dass sie Spezialitäten haben, das steht genauso außer Frage und ich denke, dass diese zwei Punkte häufig verwechselt werden.

    Männer und Frauen, Weibchen und Männchen unterscheiden sich, das steht fest. Fragt sich nur: warum? Die populärste Antwort gibt die Theorie der "Elterlichen Investition".

    Männchen tragen außer ihren Genen wenig zum Nachwuchs bei. Biologisch betrachtet sind Spermien billig, weil klein, und können im Überfluss produziert werden. Deshalb kann Er es sich leisten, sie verschwenderisch zu verteilen. Er kommt immer und mit jeder, je öfter, je lieber. Die Weibchen dagegen investieren mehr. Zumindest Energie in die große Eizelle, deren Nährstoffe dem Nachwuchs einen guten Start ins Leben sichern sollen. Bei vielen Arten kommt dann noch die Last der Brutpflege auf die Weibchen zu. Sie hat nur wenige Chancen, ihre Gene weiter zu geben und tut gut daran, sich genau zu überlegen, wer wirklich der Richtige ist. Konsequenz: die Männchen konkurrieren untereinander und die Weibchen wählen aus.

    Kleine Spermien, große Eizellen, auf dieser schlichten biologische Tatsache lassen sich ganze Gedankengebäude errichten. So erklärt die Evolutionäre Psychologie die unterschiedlichen Vorlieben von Männern und Frauen mit angeborenen Programmen, die eben einmal wählerisch und einmal promisk sind. Konsequent angewandt führt dieser Ansatz zu Bestsellern wie "Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken". Die Evolutionären Psychologen können für ihr Verständnis der Geschlechterrollen direkt Darwin zitieren.

    Die Frau scheint sich vom Mann in ihren geistigen Anlagen zu unterscheiden. Vor allem in ihrer größeren Empfindlichkeit und geringeren Selbstsucht. Frauen zeigen diese Qualitäten dank ihres mütterlichen Instinkts gegenüber ihren Kindern in höchstem Maße. Deshalb ist es wahrscheinlich, dass sie sie auch auf ihre Mitgeschöpfe ausweiten. Der Mann ist der Rivale der anderen Männer; er erfreut sich am Wettkampf. Und das führt zu Ehrgeiz der nur zu leicht in Selbstsucht übergeht. Diese Qualitäten scheinen sein natürliches und unglückliches Geburtsrecht zu sein.
    Darwin teilt hier seine Beobachtungen mit, die Theorie der Elterlichen Investition liefert die plausible biologische Begründung. Also alles klar, was die natürlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern betrifft? Mitnichten, meint Prof. Patricia Gowaty stellvertretend für eine kleine Gruppe von Biologen, die seit kurzem aufbegehren gegen allzu einfache Vorstellungen davon, was im Tierreich typisch weiblich oder typisch männlich ist. Noch ist gar nicht systematisch an vielen Arten untersucht worden, wie sich die Geschlechter tatsächlich verhalten. Patricia Gowaty hält es für einen Skandal, dass eine so weitreichende und vieldiskutierte Theorie wie die der Elterlichen Investition so wenig mit Daten untermauert ist. Deshalb hat sie sich der Sache selbst angenommen. An ihrem Labor an der Universität von Georgia bringt sie Enten, Fische, Mäuse und Fliegen mit einer Auswahl an Paarungspartnern zusammen und hält fest, wer mit wem will. Ihre aktuellen Beobachtungen an der Fruchtfliege Drosophila pseudoobscura sind besonders interessant, denn bei dieser Art ist die elterliche Investition extrem unterschiedlich.

    Die Weibchen tragen durch das Ei enorm viel bei, aber die Spermien gehören zu den Kleinsten, die ich bisher gesehen habe. Die Vorhersage der Theorie der elterlichen Investition ist also klar: die Weibchen sollten wählerisch sein und die Männchen unkritisch. In unseren genau kontrollierten Tests sahen wir aber sowohl Männchen als auch Weibchen, die wählerisch, und Männchen und Weibchen, die unkritisch waren. Es gab keine einfache Regel, die auf alle Weibchen oder auf alle Männchen passte. Bei den Mäusen war es anders, da waren einfach alle wählerisch. Wenn wir Männchen oder Weibchen zur Paarung mit einem nicht gewünschten Partner zwangen, dann war der Nachwuchs nicht so gesund wie der von freiwilligen Paarungen. Das galt für Männchen und Weibchen, für Mäuse und Fruchtfliegen.

    Auch ein Nagermacho hüpft nicht mit jeder Maus ins Nest und das offenbar aus gutem Grund. Er weiss genauso gut wie Sie, mit welchem Partner er die besten Chancen auf gesunden Nachwuchs hat und denkt nicht daran, einfach nur seine Triebe auszuleben.

    Für Mäuse sind bei der Partnerwahl weniger Aussehen oder Stärke entscheidend als die Ausstattung des Immunsystems. Je verschiedener Maus und Mäuserich hier sind, desto besser sind die Nachkommen vor Krankheiten geschützt. Am Geruch können die Nager erkennen, wer am besten zu ihnen passt. Und es sind eben nicht nur die Weibchen sondern auch die Männchen, die auf diesem Gebiet ihrer Nase nachgehen.

    So überzeugend die Theorie der elterlichen Investition also auch klingt, es ist nicht allein die Größe der Keimzellen, die das Verhalten von Männchen und Weibchen bestimmt. Um ihre Beobachtungen zu erklären muss Particia Gowaty eine Vielzahl anderer Faktoren mit berücksichtigen, angefangen bei der Häufigkeit von Paarungsgelegenheiten bis hin zur Frage, ob es überhaupt relevante Unterschiede zwischen den möglichen Partnern gibt. Die angeborenen Neigungen sind nicht starr, sie sind flexibel und reagieren auf die Chancen in der jeweiligen Umwelt. Das ist nach Ansicht von Prof. Joan Ruffgarden von der Stanford Universität der Todesstoß für allzu simple evolutionäre Theorien über das Verhalten von Männern und Frauen.
    Darwin hat behautet, dass es im Allgemeinen das Männchen ist, das aktiver ist und leidenschaftlicher, und dass die Weibchen zurückhaltend und wählerisch sind. Das gilt in einigen Arten, aber es hat sich gezeigt, dass es keine allgemeingültige Regel ist. Leider wurde Darwins ursprüngliche Theorie von der Evolutionären Psychologie aufgegriffen und auf den Menschen angewandt. Doch Darwins Theorie ist widerlegt, und das unterhöhlt die Evolutionäre Psychologie und ihre ziemlich oberflächliche Interpretation menschlichen Verhaltens.

    In Treue fest, bis ans Lebensende, das ist nach wie vor in vielen Gesellschaften die Idealvorstellung der menschlichen Beziehung. Im Tierreich ist Treue dagegen eine wenig verbreitete Tugend. Die meisten Arten paaren sich, und dann gehen beide ihrer Wege, ohne noch einmal zurückzuschauen. Bei einigen Spinnen wird aus dem Liebhaber sogar die Nachspeise. Manche Säuger und viele Vögel aber schließen den Bund fürs Leben

    Herr und Frau Meise bauen gemeinsam ein Nest und versorgen wenigstens für eine Brutsaison zusammen die hungrigen Jungvögel. Für den Meisenvater macht es auch keinen Sinn, das Nest zu verlassen. Ohne seine Hilfe geht der Nachwuchs zugrunde. Ähnlich treu sind neben den Singvögeln zum Beispiel auch die Gänse, die Jahr für Jahr nach dem Vogelzug denselben Partner in der schnatternden Menge suchen. Anders als Vogelmännchen sind Säugerpapas nach dem Sex meist überflüssig, die Jungen werden an der Mutterbrust aufgepäppelt. Das gibt Ihm die Freiheit auf Kosten seiner Konkurrenten, mehr als eine Schöne zu beglücken. Harem statt Zweisamkeit lautet deshalb das Motto von Rothirsch und Seeelefant. Die Treue der Weibchen ist da weniger empfunden als erzwungen. Aber es gibt auch romantische Säuger: Gibbonpaare sind berühmt dafür, ständig Seit an Seit durch den Urwald zu schwingen.

    In solchen Verhaltensweisen sah schon Charles Darwin die Wurzeln der menschlichen Neigung zu ausschließlicher Zweisamkeit.

    Obwohl die Entwicklung des Ehebundes ein unklares Thema ist, scheint es wahrscheinlich, dass die Gewohnheit der Heirat sich allmählich entwickelt hat. Wir können tatsächlich aus der Eifersucht aller Vierfüßer schließen, das der wahllose Geschlechtsverkehr im Naturzustand extrem selten ist. Deshalb, wenn man nur weit genug zurück in den Lauf der Zeit blickt, und nach den sozialen Gewohnheiten, die heute existieren, urteilt, ist die wahrscheinlichste Ansicht, dass der Urmensch in kleinen Gemeinschaften lebte, jeder mit einer einzigen Frau, die er eifersüchtig vor allen anderen Männern schützte.

    Nicht die Liebe, die Eifersucht ist für Darwin das verlässlichste Zeichen einer engen Paarbindung – zumindest bei Tieren. Diese Bindung garantiert Ihm, dass Er auch wirklich die eigenen Kinder versorgt und gibt Ihr die Sicherheit, dass Er nicht verschwindet. Diese Sicherheit ist allerdings relativ. Seit die Zoologen per DNA-Test Vaterschaftsnachweise für Erpeln, Meisen und Krähen führen können, müssen sie bei praktisch jeder untersuchten Art feststellen: hinter der Fassade des Eheglücks finden sich auch im Tierreich Seitensprünge, Seitensprünge, Seitensprünge. Dr. Ulrich Reichard vom Max Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig beschäftigt sich mit dem Sinnbild der Treue unter Säugetieren, den Gibbons. Diese Affen bleiben über Jahre mit demselben Partner zusammen. Doch als der Biologe mit seinem Team den Affen im dunkeln Blättergrün des thailändischen Urwalds folgte, konnte er ganze Soapoperas beobachten.

    Wir haben in unserem Projekt auch beobachtet, dass beispielsweise gelegentlich sexuelle Kontakte zwischen Tieren bestehen, die keine soziale Bindung haben oder keine soziale Beziehung haben sollte man sagen, das sind dann Nachbarn in der Regel und somit können wir ganz verlässlich sagen, dass zumindest das Paarleben, das Zusammenleben in Paaren nicht unbedingt einhergeht auch mit ausschließlicher Sexualität auch mit dem Sozialpartner.

    Sex und Partnerschaft gehen selbst bei vordergründig treuen Arten nicht immer Hand in Hand. Schließlich gibt es für einen Seitensprung oft gute Gründe.

    Bei den Löwen machen die Damen die ganze Arbeit, während sich der Rudelpascha mit Fleisch und Sex versorgen lässt. Er hat ein scharfes Auge auf die Weibchen, aber da er von Natur aus faul ist, entwischen die Löwinnen ab und an zu einem Techtelmechtel. Dahinter steht weniger weibliche Leidenschaft als Politik. Wenn es im Rudel zu einem Machtwechsel kommt, tötet der neue König der Löwen erst einmal alle Babys, um schneller selbst Nachkommen zeugen zu können. Verschont werden nur Jungtiere von Löwinnen, mit denen er selbst schon im Gebüsch gewesen ist, denn die könnten ja sein eigen Fleisch und Blut sein. Fazit, je mehr Sexualpartner eine Löwin neben dem Pascha hat, desto sicherer ist ihr Wurf in Krisenzeiten.

    Kindermord wurde bei Affen bislang nur selten beobachtet. Bei den Gibbons geht es den Weibchen wohl eher darum, sich mit Sex den Zugang zu den leckeren Früchten im Revier des Nachbarmännchens zu sichern. Meisenweibchen dagegen scheinen mit dem Seitensprung dem eigentlichen Sinn der Sexualität zu folgen, nämlich Vielfalt zu schaffen. Wenn die Eier im Nest von verschiedenen Vätern stammen, dann schafft es wahrscheinlich zumindest ein Teil der Halbgeschwister, sich durch schwierige Zeiten zu schlagen. Was auch immer die Gründe sein mögen, in jedem Fall ist auch in scheinbar monogamen Arten, wie den Gibbons, den Meisen und den Menschen, mehr an der weiblichen Sexualität, als den Damen früher zugestanden wurde.

    In einer Umfrage vom University College in London gaben fast 15 Prozent der Männer zwischen 16 und 44 Jahren an, ihre feste Partnerin im vergangenen Jahr betrogen zu haben. Das passt zum Bild vom Mann dem Macho. Allzu oft wird aber vergessen, dass es zum Seitensprung eine Partnerin braucht. Und die ist häufig selbst gebunden. Auch das belegte die Umfrage: fast 10 Prozent der Frauen dieser Altersgruppe hatten nach eigenen Angaben Sex außerhalb ihrer festen Beziehung. Dass diese Affairen auch Folgen haben zeigen Vaterschaftstests. Hochgerechnet ergibt sich, dass im statistischen Mittel jedes zehnte Kind nicht vom Ehemann seiner Mutter abstammt. Das heißt, in jeder Schulklasse finden sich zwei bis drei Kuckuckskinder.

    Treue ist eben keine angeborene Tugend, sondern häufig nur der Mangel an Alternativen, meint Ulrich Reichard.

    Ja, es ist tatsächlich so, dass man ursprünglich gedacht hat, dass Monogamie eigentlich eins sehr einfaches und auch ein sehr harmonisches Zusammenleben bedeuten würde. Ich denke und ich glaube, viele Wissenschaftler teilen diese Meinung heutzutage, dass das eigentlich ein grundlegend falscher Ansatz ist. Die Interessen von Männchen und Weibchen müssen auseinander gehalten werden, sie können überlappen, aber sie müssen es nicht. Das bedeutet ganz konkret, wir finden im Tierreich ganz wenige Situationen, wo eine strikte Monogamie tatsächlich eingehalten wird. Wenn wir das bedenken, dann können wir auch ohne weiteres bedenken, dass die Flexibilität in der Sexualität von Menschen, im Zusammenleben von Menschen und auch in der Reproduktion, der Fortpflanzung von Menschen, genauso flexibel ist, wie wir das auch bei den Tieren finden. Das ist zumindest ein sehr saloppes Fazit, das man aus der wissenschaftlichen Forschung ableiten könnte.

    Sex ist allgegenwärtig. Sex tönt aus den Radioapparaten, Sex wirbt für Autos und Zigaretten, Sex ist Gesprächsthema Nummer eins für Talkshows und Pubertierendentreffs. Das Interesse ist nicht zu befriedigen. Wer wann mit wem, das lässt sich endlos debattieren. Die Frage nach dem warum dagegen wird erst gar nicht gestellt. Schließlich ist der Sexualtrieb ganz offensichtlich tief in der menschlichen Natur verankert. Das kann auch gar nicht anders sein. Schließlich geht es in der Evolution nur um eines: dabeizusein in der nächsten Generation. Und dafür braucht es Kinder und für Kinder Sex. Auch Biologen neigen dazu, Sexualität auf Reproduktion zu reduzieren – und haben deshalb lange ignoriert, dass es auch im Tierreich eine Schwulen- und Lesbenbewegung gibt.

    In den Rocky Mountains lebt die homosexuelle Gesellschaft der Dickhornschafe, Dominante Widder umschwärmen jüngere Männchen, beschnüffeln sie, reiben sich an ihnen. Es kommt sogar zum Analverkehr. Weibliche Schwarzschwanzhirsche balzen andere Weibchen an. Walrossbullen werben im Sommer mit einem Gesang aus Zähneklappern, Pfeifen und Klopfen um männliche Partner. Selbst Meerschweinchen können homosexuell sein. Und auch unter Vögeln, Schmetterlingen und Fischen gibt es Tiere, die sich konsequent für das eigene Geschlecht interessieren. Inzwischen ist homosexuelles Verhalten bei über 400 Arten belegt. Bei den anderen haben die Zoologen vielleicht nur nicht genau genug hingesehen.

    Sex dreht sich so oft um den Aufbau von Beziehungen statt um den Austausch von Spermien. All das homosexuelle Verhalten kann offensichtlich nicht zur Zeugung führen. Ein Großteil der heterosexuellen Paarungen findet außerhalb der fruchtbaren Zeit statt, ohne Chance auf Nachwuchs. Und auch beim Menschen wissen wir, wenn ein Paar nach dreißig Ehejahren zwei Kinder hat, dann war die Zahl ihrer sexuellen Begegnungen riesig, im Verhältnis zu den paar mal, wo es um die Zeugung von Kindern ging. Das gilt auch für andere Arten. Der Sinn der Paarung besteht häufiger darin, Beziehungen zu festigen, als wirklich Spermien auszutauschen.

    Homosexualität unter Tiere belegt für Joan Ruffgarden eindeutig: beim Sex geht es nicht nur um Nachkommen. Im Mittelpunkt vieler Paarungen steht die soziale Funktion des Sex.

    Wer sich im Zoo vor das Gehege der Zwergschimpansen, der Bonobos, stellt, wird schnell feststellen, dass Sex bei den Bonobos fester Bestandteil des Alltags ist. Alle Spielarten kommen vor: Weibchen mit Männchen, Männchen mit Männchen, Weibchen mit Weibchen. Die Partner wechseln ständig, selbst Greisinnen und Jünglinge werden mit einbezogen. Das ist im afrikanischen Urwald nicht anders. Dort ziehen die Bonobos in großen Gruppen von einem früchtetragenden Baum zum anderen. Die dominanten Weibchen fressen sofort los. Die rangniederen Gruppenmitglieder haben auch Hunger, trauen sich aber nicht gleich heran. Stattdessen präsentieren sie ihr Hinterteil, es kommt zum Sex und anschließend fressen alle Rangstufen friedlich nebeneinander. Während die großen Schimpansen soziale Spannungen in Streit und Kämpfen austragen, bauen sie die Bonobos mit Sex ab. Make love not war, dieses Motto trifft hier wirklich zu.

    Verhaltensforscher haben viele Funktionen der Sexualität beschrieben. Sex als sozialer Schmierstoff, Sex als Möglichkeit, Bündnisse zu festigen, Sex um Kindestötungen vorzubeugen oder um mehr Männchen an der Aufzucht der Nachkommen zu beteiligen, sogar Sex aus purem Vergnügen. Letztlich ist dem Tierreich nichts menschliches fremd, zumindest was die Sexualität betrifft. Kein Wunder, schließlich hat auch menschliches Verhalten seine Wurzeln in der Evolution. Doch anders als viele meinen, können sich die Triebe, die aus diesen Wurzeln entstehen, sehr flexibel entwickeln und sexuell gesehen, die schönsten Blüten treiben.