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Lohnt sich Bildung?

Honecker: Die Schockwelle, die durch die internationale Schulvergleichsstudie PISA ausgelöst wurde, hat Auswirkungen auf den deutschen Föderalismus. Bund und Länder wollen in Zukunft gemeinsam prüfen, wie effizient das deutsche Bildungswesen ist. Gerade erst ist der Wissenschaftliche Beirat konstituiert worden, der die Politik in Zukunft bei der Bildungsberichterstattung unterstützen soll. Am Telefon begrüße ich dessen Vorsitzenden, Professor Jürgen Baumert vom Max Planck Institut für Bildungsforschung in Berlin. Guten Tag.

    Baumert: Guten Tag, Herr Honecker.

    Honecker: Herr Baumert, wenn Bildung eine autonome Lebensführung, ein selbstbestimmtes Leben zum Ziel hat, wie lässt sich dann die Leistung eines Bildungswesens messen?

    Baumert: Deutschland hat die ersten tastenden Schritte vollzogen, eine Dauerbeobachtung der Erträge von Bildungsprozessen einzurichten. Dazu gehören Tests, dazu gehören Schulinspektionen und für die Berichterstattung sind sicherlich die Tests, die im internationalen Vergleich durchgeführt werden die wichtigsten Instrumente und der große Fortschritt, den jetzt Bund und Länder erreicht haben, ist der Beschluss, in den nächsten fünf bis fünfzehn Jahren eine kontinuierliche Bildungsberichterstattung aufzubauen, die Auskunft über die Entwicklung der Leistungsfähigkeit unseres Bildungssystems gibt.

    Honecker: Wie wird denn diese kontinuierliche Bildungsberichterstattung gemeinsam von Bund und Ländern ablaufen?

    Baumert: Bund und Länder haben eine europaweite Ausschreibung herausgegeben, mit der sie Anbieter auffordern, Vorschläge zu unterbreiten, wie man eine solche Bildungsberichterstattung auf Dauer stellen könnte. Da gibt es in anderen Ländern sehr gute Beispiele. Die Amerikaner haben so etwas seit dreißig Jahren und sie produzieren in jedem Jahr einen Bericht, der für eine allgemeine Öffentlichkeit sehr gut verständlich ist. Dies können Vorbilder abgeben, dies auch in Deutschland, vielleicht auf einer anderen Datenbasis, auch zu versuchen. Wichtige Indikatoren sind Leistungsergebnisse, Verteilung von Schülern auf Schulformen, Erfolg von Absolventen verschiedener Schulformen beim Übergang in die berufliche Erstausbildung, bis hin zum Erfolg auf dem Arbeitsmarkt oder auch im Hinblick auf den Erfolg im privaten Leben, wie sieht es mit der Gesundheit, wie sieht es mit der Lebensführung in Abhängigkeit von der Bildungsherkunft aus?

    Honecker: Wo wir wieder bei meiner ersten Frage wären. Wie lässt sich denn da in diesem Bereich Effektivität oder Effizienz messen?

    Baumert. Dies ist sehr unterschiedlich je nach den einzelnen Bildungsbereichen. Die Messung von Effektivität wird in der Vorschule ganz anders sein als im Erwachsenenleben. Bei der Vorschule geht es darum, festzustellen, sind Kindergartenkinder so gut vorbereitet auf die Grundschule, dass sie ohne große Schwierigkeiten den Schrifterwerb leisten können. Also, hören Kinder richtig auf Wörter und Silben, können sie Rhythmen unterscheiden, wissen sie, wann ein Satz zu Ende ist? Dies ist alles nicht selbstverständlich. Etwa im Erwachsenenalter geht es darum, um Fragen, wer beteiligt sich an Weiterbildung, ist die Weiterbildung wirklich erfolgreich, wird sie genutzt für berufliches Fortkommen und für private Zufriedenheit? Hier werden ganz andere Maße nötig sein, es können Kompetenzmaße sein, indem man etwa auch einer repräsentativen Stichprobe von Erwachsenen einen kleinen Test vorgibt über mathematisches Modellieren, über Textverständnis. Es können aber auch subjektive Angaben über Glück und Zufriedenheit in der Familie sein.

    Honecker: Wir haben über Kleinkinder gesprochen, wir haben von Erwachsenen gesprochen, das heißt also, dass dieser nationale Bildungsbericht eigentlich alle Bereiche der Bildungsbiografie eines Menschen umfassen soll?

    Baumert: Er wird die gesamte Lebensspanne umfassen.

    Honecker: Es gibt ja nun bereits statistisches Material, was vorliegt, zum Beispiel der Mikrozensus oder sozioökonomische Panel. Sind das alles Daten, die mit einfließen werden?

    Baumert: Ja, also, der Startpunkt wird zunächst eine intensive Nutzung der vorhandenen amtlichen Statistik sein, aber auch alle zusätzlichen sozialwissenschaftlichen Erhebungen, die Auskunft geben können und die in der Abfolge auf Dauer gestellt werden. Ergänzend, auch daran wird man nicht umhinkommen, werden gezielte Zusatzerhebungen notwendig sein, um Lücken in der Berichterstattung aufzufüllen. Das wird alles nicht im ersten Bericht gelingen, man wird es vernünftigerweise auch gar nicht anstreben. Aber in einer Perspektive von sechs, acht bis zehn Jahren wird sukzessive ein Indikatorensystem aufgebaut werden, was eine sparsame und gut verständliche Beschreibung von Bildungsbiografien ermöglicht.

    Honecker: Es heißt ja, Bildungsreform ist nie abgeschlossen, ein dauernder Zustand. Wann wird denn der erste Bildungsbericht vorliegen und welche Auswirkungen wird er haben?

    Baumert: Der erste Bildungsbericht wird Anfang 2006 vorliegen, so wie es die Kultusminister beschlossen haben. Welche Auswirkungen der Bericht haben wird? Ich glaube, darüber kann man nur spekulieren. Die Wirksamkeit dieses Berichtes ist nach meiner Ansicht wahrscheinlich in seiner langfristigen Anlage zu sehen. Es ist ganz deutlich geworden, dass Bund und Länder verstanden haben, dass man Entwicklungen einleiten und steuern muss, die über eine Legislaturperiode hinausgehen und die Entscheidung, solch eine nationale Berichterstattung vorzubereiten und auch in die Praxis umzusetzen, ist eine Entscheidung, die weit über eine oder zwei Legislaturperioden hinausgeht. Ich glaube, dies ist das wirklich Neue, dass Bund und Länder sich langfristig verantwortungsvoll geeinigt haben.

    Honecker: Professor Jürgen Baumert, Vorsitzender des Wissenschaftlerbeirates, der künftig Bund und Länder bei der Bewertung unserer Bildungseinrichtungen unterstützen wird. Herzliche Dank.

    Baumert: Vielen Dank, Herr Honecker.