Archiv


Lokalblatt im Atomkonflikt

Wenn ein Castortransport Richtung Gorleben rollt, herrscht im Wendland Ausnahmezustand - für die Bevölkerung, für die Polizei und auch für die "Elbe-Jeetzel-Zeitung". Dann berichten die Reporter der Lokalzeitung rund um die Uhr von den Auseinandersetzungen um den umstrittenen Atommülltransport.

Von Axel Schröder |
    In den kommenden Tagen bekommt Jens Feuerriegel Verstärkung. Feuerriegel und zwei weitere Kollegen berichten für die Elbe-Jeetzel-Zeitung – kurz: "EJZ" - über den bevorstehenden Castortransport. Auflage: rund 13.000 Stück. Rund um die Uhr wird ein man draußen sein, auf der Suche nach Auseinandersetzungen, Gleis- und Straßenblockaden, Polizeikesseln. Mittlerweile rollt der elfte Transport, viele Protestierer loben die ausführliche Berichterstattung der kleinen Lokalzeitung, andere diagnostizieren eine gewisse gelangweilte Reporter-Routine:

    Demonstrant: "Castor ist ein Thema, das ja auch von Anfang an begleitet wurde. Und wo jetzt auch mittlerweile gedacht wird: Na, mein Gott, schon wieder! Die müssen sich mal was Neues einfallen lassen, damit wir wirklich richtig berichten können."

    Diesen Verdacht äußert Dieter Metk von der Bürgerinitiative gegen die Atomanlagen in Gorleben. Und tatsächlich: EJZ-Reporter Jens Feuerriegel bestätigt die Einschätzung:

    Feuerriegel: "Es ist so wie 'Täglich grüßt das Murmeltier!'. Sehr viel ist reflexartig und es spielt sich in einem Rahmen ab, wo es sich ständig wiederholt. Und das ist natürlich nicht immer das Unbedingt Spannende für den Journalisten. Wir wollen natürlich auch was Neues haben. Nicht, das ich jetzt sage: es muss mal wieder eine Brücke in die Luft gesprengt werden oder so – bei Weitem nicht! Aber das Szenario: ich weiß doch schon heute, wie diese Tage ablaufen."

    Unzählige kleine und große Scharmützel, Grenzübertritte von Demonstranten und Polizisten wird es wieder geben, so Feuerriegel. Und am Ende, prophezeit er, wird der Widerstand nichts nützen, die Castoren werden wieder mal ihr Ziel, das Zwischenlager Gorleben, erreichen. – Aber den Vorwurf, nur wegen der steten Wiederholung von Protesten und Transporten weniger darüber zu berichten, den will der Zeitungsmann nicht gelten lassen:

    Feuerriegel: "Wir haben den Umfang und die Berichterstattung zu den Castor-Protesten in den vorigen Jahren auch ein bisschen zurückgefahren, weil einfach weniger los war. Wenn natürlich 3000 Leute bei einer Auftaktkundgebung gegen den Castor-Transport sind, ist das ein Unterschied: In den Neunziger Jahren hatten wir 9000 bis 10.000. Und es war politisch umstritten. Da ist man als Zeitung gezwungen, viel mehr zu reflektieren."

    Aber der Atomkonsens der rot-grünen Bundesregierung und der Bau neuer Zwischenlager an den AKW-Standorten hatten etwas Druck aus der Atomdebatte genommen. Mit diesem Druck müssen die EJZ und ihr Chefredakteur Hans-Jürgen Meier schon seit Jahrzehnten umgehen. Ende der siebziger Jahre drohte der CDU-dominierte Kreisausschuss: wenn die Zeitung nicht gorleben-freundlicher berichtet, würde man dem Blatt die "Amtlichen Bekanntmachungen" und damit finanzielle Mittel entziehen. Passiert ist das nie, trotz der kritischen Linie, die Chefredakteur Meier der Zeitung verordnete. Recht machen können es die Reporter kaum einer Seite, das Gemecker ist vor allem in Castorzeiten alltäglich, so Meier:

    Meier: "Gelegentlich hört man das am Telefon: Einige Beteiligte meinen, dass bestimmte Aspekte des Protestes nicht dargestellt worden sind. Andere sagen: 'Das habt ihr völlig übertrieben!' Also, das hört man dann schon, aber ich denke, wir bemühen uns da schon, die neutrale Schiene zu fahren."

    Aber gerade das wird, je näher der Castor-Zug dem Wendland kommt, immer schwieriger: Denn dann blühen schnell Gerüchte über brutale Demonstranten oder Polizisten, vermeintliche Gleisblockaden oder über Steinwürfe von Agent Provocateurs aus den Reihen der Polizei. Kaum eine dieser Meldungen können Feuerriegel und seine Kollegen selbst überprüfen. Misstrauen ist angebracht:

    Feuerriegel: "Wir können jeden Pkw-Auffahrunfall in der Woche, oder jeden Ladendiebstahl oder sonst was: vermelden wir natürlich im Indikativ, wenn die Polizei uns das mitteilt. Wir haben keinen Zweifel, dass sich so zugetragen hat. Aber in diesen Castorzeiten werden wir auch ein bisschen vorsichtiger und geben dann jeweils die Positionen 'nach Angaben von', von beiden Seiten, Atomkraftgegner und Polizei und auch dann im Konjunktiv wider. Wie es sich gehört. Ganz sauber. Weil wir oft nicht wissen, wo die Wahrheit ist."

    Die diesjährigen Proteste werden heftiger ausfallen als in den Jahren zuvor, so Feuerriegel: gerade hat sich die CDU-Spitze wieder einmal auf Gorleben als Endlager festgelegt. Obwohl die Untersuchungen des Salzstocks noch Jahre dauern werden. Obwohl die Eignung längst nicht erwiesen ist. Und das provoziert die Protestler genauso wie die Pannen im benachbarten Atomendlager Asse II. Und mehr Protest, so Feuerriegel und sein Chefredakteur Hans Jürgen Meier, heißt: mehr Berichterstattung. Auch, wenn das Thema altbekannt ist:

    Feuerriegel / Meier: "Es wird mehr auf der Straße los seien und reflexartig wird die Zeitung wieder ein bisschen voller sein mit dem Thema. Das ist ein ganz natürlicher Ablauf! – Wir haben nach wie vor natürlich ein waches Auge drauf! Logisch!"