Donnerstag, 02. Mai 2024

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Lonesome Ace Stringband
Zurück zu den Wurzeln

Die Lonesome Ace Stringband aus Toronto widmet sich der nordamerikanischen Folkmusikvariante, aus der später Country und Bluegrass hervorgegangen sind: Old-Time Music. Mit poetisch gewebten Songs und rasanten Notensalven auf Banjo und Fiddle schreibt das Trio neue Kapitel einer alten Geschichte.

Am Mikrofon: Monika Gratz | 07.02.2020
    Drei Männer stehen nebeneinander mit verschiedenen Musikinstrumenten in den Händen. Links ein Banjon, in der Mitte eine Geige und rechts ein Kontrabass. Sie stehen vor einer hellen Wand.
    Chris Coole (Banjo), John Showman (Geige), Max Heineman (Kontrabass) (Jens Quires)
    Musik: "Solly’s Little Favorite"
    Chris Coole: "In den 30er-, vielleicht sogar schon in den 20er-Jahren gab es dieses Schallplatten-Label mit dem Namen "Lonesome Ace Records". Ich bin über Dock Boggs darauf gestoßen. Er war ein guter Sänger und Banjo Spieler, der bei diesem Label aufgenommen hat. Ich glaube auch Mississippi John Hurt hat da was aufgenommen. Es war ein kleines Plattenlabel und ich dachte das ist ein cooler Name. Er steht aber auch für die Wurzeln der Musik, die wir machen. Also dachten wir, dass passt doch."
    Chris Coole spielt Banjo in der Lonesome Ace Stringband. Zusammen mit Max Heineman am Kontrabass und John Showman an der Geige. Neben vielen eigenen Liedern, jeder der drei Musiker schreibt und singt, verfügt die Band auch über ein umfangreiches Repertoire an traditionellen Stücken. Wer diesen musikalischen Schatz heben will, dem reicht ein Internetanschluss, erklärt Geiger John Showman:
    John Showman: "Durch das Internet ist es sehr einfach geworden zu sehen, wer ein Lied gespielt hat. Wenn du einen Song hörst, kannst du im Internet fast jede Person finden, die diesen live gespielt oder aufgenommen hat. Das ist sehr hilfreich, um einen Überblick zu bekommen. Wenn es sich um einen bekannten Künstler handelt, sieht man was er oder sie noch so alles geschrieben hat und was andere damit angestellt haben. Das Internet bietet einen permanenten Zugang zu so unglaublich vielen Informationen."
    Woody Guthrie, John Steinbeck
    Eine gute Seite am Informationsüberfluss: Dieser kann durchaus auch die eigene Fantasie beflügeln, wie etwa beim Song über "Pretty Boy Floyd". Die Karriere des in den USA und Kanada sehr bekannten Bankräubers Charles Arthur Floyd wurde 1934 vom FBI beendet. Woody Guthrie, der große Mann des amerikanischen Protestlieds widmete Floyd einen Song, der vielfach gecovert wurde. John Steinbeck setzt dem gutaussehenden Kriminellen in seinem Roman "Früchte des Zorns" ein literarisches Denkmal. Für die Lonesome Ace Stringband schreibt John Showman, nach einiger Recherche, kurzerhand seine eigene Variante der Geschichte. Der neue Song über den kriminellen Volkshelden, schlägt den Bogen von der Vergangenheit in die politische Gegenwart Nordamerikas.
    Musik: "Pretty Boy Floyd"
    Das abenteuerliche Leben des Bankräubers Charles Arthur Floyd, genannt "Pretty Boy Floyd", erzählt von der Lonesome Ace Stringband. Manchmal reicht schon der Blick auf die Geschichte der eigene Familie, um daraus einen Old-Time Song entstehen zu lassen. Genau das hat Max Heineman, der Kontrabassist des Trios, getan. Der Name lässt es erahnen: Max Heineman hat europäische Vorfahren – wie viele Menschen in Kanada. Als kleiner Junge lebte er auf einem Bauernhof in sehr ländlicher Umgebung in Killaloe, Ontario. Als die Familie viele Jahre später ausgezogen und das Haus sehr marode war, gab eine Wildschweinrotte der "alten Lady" den Rest: Das einstige Heim der Familie Heineman, der Ort unbeschwerter Kindheit und voller Erinnerungen, musste abgerissen werden. Max Heineman packt also seinen Kontrabass, tritt einen Schritt aus seiner musikalischen Familie heraus und wird für das nächste Stück zum Erzähler und Leadsänger des Trios. Eines Tages, da ist sich Heineman sicher, wird er das Haus wieder aufbauen.
    Musik: "O’Grady Rd"
    Chris Coole: "Die meisten Leute kennen das Banjo wohl so wie es klingt, wenn man es "finger style" spielt. Das nennt sich auch "bluegrass style banjo". Wie bei der klassischen Gitarre zupft man die Saiten von unten nach oben."
    Musik: "Foggy Mountain Breakdown"
    Chris Coole: "Der Hauptunterschied zum "clawhammer style" ist, ich schlage die Saiten dabei mit den Fingernägeln von oben nach unten. Wie bei einer Murmel, die du wegschnipsen willst. Das ergibt einen weicheren Klang. Beim "Bluegrass Banjo" werden oft "finger picks" aus Metall verwendet. Dadurch wird der Klang schärfer. Das Old-Time Banjo ist auch etwas anders gebaut. Es hat eine offene Rückseite. Es ist dadurch etwas leiser und klingt weicher. Mittlerweile ist es allgemein anerkannt, dass das Banjo ursprünglich aus Afrika stammt. Und wir glauben, die ursprüngliche Spielweise ist die, bei der man die Saiten nach unten anschlägt und genau das mache ich. Es ist die ältere Art das Banjo zu spielen, da stimmen auch Musikwissenschaftler zu, und in der Old-Time Music die gebräuchlichste."
    Musik: "Sweetberry Wine"
    Chris Coole: "Als ich mit der High School fertig war, war Straßenmusik mein Job. Elf oder zwölf Jahre lang habe ich das tagsüber gemacht. Ich bin früh aufgestanden, in die U-Bahn von Toronto gegangen und habe dort mehrere Stunden gespielt. Fünf Tage die Woche. So habe ich genug Geld verdient, um mein Leben als Künstler zu finanzieren und so musste ich nicht als Kellner oder sonst wie arbeiten. Gleichzeitig habe ich dann auch begonnen zu unterrichten. Ich habe in Bars gespielt und später dann auf Festivals. Bis in meine Dreißiger habe ich Straßenmusik gemacht. Heute muss ich das nicht mehr. Ich mag es aber immer noch und blicke auch ziemlich stolz auf diese Zeit zurück. Es war ein sehr authentischer Lebensstil. Aber egal was man macht, nach ein paar Jahren hat man es doch irgendwie manchmal satt."
    Was ist mit der Katze passiert?
    Chris Coole gehört mittlerweile zu den bekanntesten Banjospielern der Old-Time-Musikszene. Die harte Schule der Straße, hat durchaus Spuren hinterlassen. Hörbar werden diese in seiner virtuosen, aber immer auch feinen, niemals aufdringlichen Spielweise. Sichtbar sind sie auf seinem Instrument. Fast das ganze Fell ist von einer undefinierbar braunen Farbe überzogen. Und weil Old-Time durchaus auch "old-style" sein könnte, was den Instrumentenbau betrifft, lag eine Vermutung nahe. In der guten alten Zeit, als Plastik noch lange nicht in Mode war, wurde bekanntlich die ein oder andere Katze als Banjo wiedergeboren. Hier kommt der Moment der Wahrheit: Die Karten auf den Tisch. Chris Coole, was ist mit der Katze passiert?
    Chris Coole: "Du spielst auf das Fell auf meinen Banjo an! Zuerst mal ist es kein echtes Fell. Es ist ein Kunstfell. Und dass es aussieht wie es aussieht, hängt mit meiner Zeit als Straßenmusiker zusammen. Die Patina auf meinem Banjo stammt aus dieser Zeit. Denn die U-Bahn von Toronto ist ein wirklich dreckiger Ort. Ich liebe wie dieses Banjo klingt, es ist ein besonderes Instrument für mich. Ich habe abertausende Banjos ausprobiert, aber ich habe noch auf keinem gespielt, das ich nur annähernd so gerne mag wie dieses hier. Ich werde oft gefragt warum, ich nicht das Fell auswechsle. Das geht eigentlich ganz einfach. Aber meine ganze Musik ist gewissermaßen durch dieses Stück Plastik geflossen. Das ist ein bisschen wie Voodoo. Ich glaube da ist etwas Besonderes dran und ich werde das Fell nicht austauschen, bis es nicht wirklich sein muss. Und den Leuten gefällt e, umso besser. Wenn ich spiele kommen sie auf mich zu und fragen: Wer hat das Bild auf deinem Banjo gemalt? Meistens sehen sie eine Landschaft. Einmal war da ein Dame und die fragte mich: Wer hat den Elefanten auf dein Banjo gemalt? Ich wusste gar nicht von was sie da sprach, aber dann habe ich mein Instrument aus einem anderen Winkel angeschaut. Da hab ich den Elefanten auch gesehen. Das war ein Spaß."
    Musik: "At My Kitchen Table"
    Song über die Notwendigkeit des Scheiterns
    Eine leere Seite, ein unbeschriebenes Blatt Papier auf dem Küchentisch des Banjospielers Chris Coole war der Anfang. Am Ende dieser Geschichte steht ein Song über die Notwendigkeit des Scheiterns und der gelegentlichen Freude daran. Jedes Mitglied der Lonesome Ace Stringband fungiert auch als Songschreiber für das Trio. So auch Chris Coole. Was treibt ihn an und welche aktuellen Themen lassen sich für ihn in ein Old-Time Music-Gewand kleiden?
    Chris Coole: "Wenn ich Lieder schreibe, schreibe ich über das was ich fühle. Das kann alles sein. Eine vage Antwort, ich weiß. Ein Beispiel: Wenn ich ganz bewusst schreibe, dann werden das meistens traurige, deprimierende Lieder. Deshalb hab ich in letzter Zeit ganz bewusst versucht, hoffnungsvolle Lieder zu schreiben. Wenn jetzt ein trauriges Lied entsteht, wehre ich mich nicht dagegen. Aber ich versuche ganz bewusst drüber nachzudenken, wie ich einen Hoffnungsschimmer dazufügen kann."
    Wie gut sich neben den Instrumenten auch die drei Stimmen der Lonesome Ace Stringband miteinander verbinden, ist besonders in dem Song "Life’s Treasure" zu hören. Banjo und Kontrabass haben Pause. Übrig bleibt die Geige. Sie begleitet den fast gospel-haften Gesang, der perfekt zum Thema Hoffnung passt. Chris Coole verbrachte einen Tag mit seinem Großvater an einem See beim Fischen. Der Song "Life’s Treasure" entstand danach fast wie von allein.
    Musik: "Life’s Treasure"
    Chris Coole: "Eines meiner Instrumentalstücke, hat den Titel "American Refugee" bekommen. Ich habe es 2016 geschrieben, am Morgen nachdem Donald Trump zum U.S.-Präsidenten gewählt wurde. Ich bin damals mit dem Gefühl der Verzweiflung aufgewacht, wie wohl viele Menschen weltweit. Auch die Nachricht, dass die Internetseiten der kanadischen Einwanderungsbehörde kollabiert sind, weil so viele Amerikaner sich erkundigt haben, was man für eine Einwanderung benötigt, was letztendlich dann gar nicht passiert ist...aber das ist so ein Beispiel. Es war diese Stimmung. Damals habe ich einiges geschrieben. "American Refugee" ist das einzige was davon übrig geblieben ist, wahrscheinlich weil wir es aufgenommen haben. Wenn mich etwas sehr berührt, wenn mein Leben durcheinander gerät, schreibe ich viel. Damit bin ich sicherlich nicht allein. So ein emotionales Ereignis, in diesem Fall die Wahlen in Amerika, das bringt einen ganz schön in die Gänge."
    Musik: "American Refugee/Winnebago Man"
    "Zwei Jahre in Bonn gewohnt"
    John Showman: "In den 80er-Jahren mein Vater war mit der Kanadischen Botschaft. Ich habe zwei Jahre in Bonn gewohnt. Nachdem wollte ich ein bisschen mehr deutsch sprechen. Ich habe Deutsch als Nebenfach an der Uni studiert, in Montreal und danach habe ich zwei Sommer in Deutschland gearbeitet. So ich muss sagen, meine Grammatik ist gut aber mein Wortschatz ist klein. Weil ich habe fast keine Möglichkeiten Deutsch zu sprechen in Kanada, so natürlich ne. Und wenn wir hier Tourneen machen, ich erfreue mich, weil dann kann ich mein Deutsch ein bisschen üben. Aber das Problem ist, die meisten Deutschen sprechen besser Englisch als ich Deutsch sprechen kann. Also ich rede auf Deutsch und die antworten in Englisch und dann alles ist verloren für mich."
    John Showman sprach es und setzte das Interview in seiner Muttersprache fort. Ein Hinweis vielleicht darauf, dass Perfektion eine wichtige Rolle für den klassisch ausgebildeten Geiger spielt. Weitere große Themen in der Lonesome Ace Stringband: möglichst viel Abwechslung und gute Ohren.
    John Showman: "Wenn ich zu viel Geige spiele, kann es passieren, dass es mich ein wenig langweilt, mir selbst zuzuhören. Also versuche ich, wenn ich mit diesen beiden Jungs hier zusammen spiele, und wir haben nun mal nur drei Instrumente, so viele unterschiedliche Sachen auf der Geige zu machen wie möglich. Wenn wir gerade ein schnelles Old-Time-Stück gespielt haben, in dem die Geige für den Groove sorgt, dann versuche ich mich für die nächsten ein oder zwei Stücke zurückzunehmen. Dann spiele ich vielleicht mehr pizzicato, also zupfe die Saiten. Einfach damit sich die Klangstruktur unterscheidet. Jeder Song soll lebendig sein und sich von den anderen abheben."
    John Showman: "John Hartford hat einige Alben mit "fiddle tunes" herausgebracht. Er spielte die Melodien eigentlich immer nah am Original. Doch seine Band machte im Hintergrund allerlei interessante Dinge. Die Musik hört sich dabei sehr nach Old-Time an, gleichzeitig aber auch irgendwie modern. Musik entwickelt sich weiter. Wenn wir zusammen spielen, versuche ich auch immer etwas zu variieren, mit der Melodie oder ich höre was die anderen spielen und die hören dann was ich mache und so lenken wir das Stück wie einen Fisch, der durchs Wasser gleitet. Manchmal ziemlich abgedreht aber am Ende soll das Stück immer noch erkennbar bleiben."
    Musik: "Catlettsburg"
    "Catlettsburg", ein traditioneller Fiddle-Tune, in der Version der Lonesome Ace Stringband von deren Album "When the sun comes up" aus dem Jahr 2018. Ein Sonnenaufgang in kanadischen Wäldern mag idyllisch sein. Die wilde Natur als Quelle der Inspiration, daraus schöpfen nicht nur Literaten, auch Musiker sammeln gerne ihre Ideen unter freiem Himmel. Bei der Vorbereitung auf ein Konzert im sommerlichen Whistler, in British Columbia, hätte John Showman gerne etwas weniger von Kanadas wilder Seite abbekommen.
    John Showman: "Ich war vielleicht 20 Meter von unserer Hütte entfernt in einem Waldstück. Ich hatte einen Stuhl mitgenommen. Da saß ich nun und spielte schon seit einer Stunde Geige, als ich etwas rascheln hörte. Erst konnte ich ihn nichts sehen, doch plötzlich tauchte ein kleiner Schwarzbär auf. Er war vielleicht drei Meter von mir entfernt. Ich dachte nur: Oh! Oh! Und schon tauchte Mama Bär neben ihm auf. Ich schaute die Bären an und die Bären schauten mich an. Nach drei Sekunden hatte ich kapiert, was gerade passierte, also habe ich meine Hände über dem Kopf zusammengehalten und ging wie eine Schildkröte mit meiner Geige von den Bären weg. Ich hörte wie die Bärenmutter knurrte und ging etwa 15 Meter weiter zurück. Da sagte eine Stimme in meinem Kopf: "spiel für sie Geige". Also habe ich mich umgedreht und habe angefangen zu spielen. Davon wollte Mama Bär aber nichts wissen, sie knurrte und rannte auf mich zu, machte drei oder vier riesige Schritte in meine Richtung, stellte sich vor mir auf und knurrte wieder. Ich dachte nur: "Nichts wie weg hier", und rannte zurück zur Hütte. Dort verschloss ich hinter mir die Tür und sagte: "Leute, ich bin gerade von einem Bären angegriffen worden!". Das war jedenfalls meine intensivste Begegnung mit einem wilden Bären. Und ja, ich hab’s überlebt!"
    Das Repertoire der Lonesome Ace Stringband wurde durch das Aufeinandertreffen von Musiker und Bär um den "Bear County Breakdown" erweitert.
    Musik: "Bear County Breakdown"
    Für diesen Titel erhält die Lonesome Ace Stringband Verstärkung. Mit Mandoline und Gitarre wächst das Old-Time-Trio zum Bluegrass-Ensemble. Und ja, die Lonesome Ace Stringband kann beides: Old-Time und Bluegrass. Im November letzten Jahres erschien das vierte Album der Band. Drin ist, was draufsteht: "Modern Old-Time Sounds for the Bluegrass and Folksong Jamboree".
    Und jetzt steppt hier noch einmal der Bär, zusammen mit einer alten Henne und der Lonesome Ace Stringband im Titel "Cluck Old Hen".
    Musik: "Cluck Old Hen"