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"Looks like shit, sounds like god"

Sie hat es sich selbst beigebracht, das Gitarrenbauen, weil ihr bis dahin keine richtig gut unter den Fingern lag. Heute restauriert Michaela Hartmann abgeschrabbelte Sahnestücke und baut Instrumente nach Maß - die ihre Kunden verzücken.

Von Florian Fricke | 24.11.2012
    Wer ein Herz für Gitarren hat, wird dieses mächtig schlagen spüren, betritt er den kleinen Laden in der Choriner Straße in Berlin Prenzlauer Berg. Akustische und E-Gitarren, wohin man schaut. Sie stehen in Reih' und Glied am Boden, die besonders schönen hängen an den Wänden, insgesamt mindestens 50 Stück. An einem Werkstatttisch beugt sich eine drahtige Frau mit blonden Dreadlocks über eine rote Fender Cyclone. Ihr neuer Besitzer hat demnächst einen Auftritt und will sie überholen lassen.

    Die Diagnose von Ladeninhaberin Michaela Hartmann, genannt Michi, ist eindeutig und nachvollziehbar, der Kunde zufrieden.

    "Leute, lasst eure Gitarren vernünftig einstellen, auch wenn sie nagelneu sind, gerade dann. Dann habt ihr auf die lange Sicht, spart ihr unglaublich viel Geld und habt wesentlich mehr Freude, weil es macht keinen Spaß zu üben, wenn die Töne nicht stimmen, wenn es überall scheppert und schrasselt und das Spielen anstrengend ist."

    Kaum ist der Kunde aus dem Laden, macht sich Michaela Hartmann an die Arbeit. Zeit, über die Straße in die eigene Werkstatt zu gehen, hat sie nicht.

    "Welche Feile nehmen wir denn da? Also auch während der Ladenöffnungszeiten muss ich ja irgendwie weiterarbeiten, sonst steh ich noch bis Mitternacht hier. Und das brauch ich dann irgendwie auch nicht. Also was zu viel ist, ist zu viel."

    Einen Meisterbrief sucht man in dem Laden vergebens. Michaela Hartmann ist Autodidaktin. Die studierte Designerin arbeitete lange als Filmausstatterin, bis sie von den streng hierarchischen Strukturen am Set genug hatte. Zu der Zeit spielte sie in einer Metalband. Ihre Gitarre klang toll, war aber für ihre Hände zu groß, und auch keine andere Gitarre wollte zu ihr passen.

    "Und irgendwann dachte ich: Ich bin handwerklich eine eierlegende Wollmilchsau, dann bau ich mir halt eine. Dann habe ich mich ein Jahr hingesetzt, Internet, Leute fragen. Und das Ding war fertig, die klang gut, die sah geil aus, und dann habe ich die zu einem Gitarrenbaumeister getragen, den ich kannte und gesagt: Guck mal, die habe ich ganz allein gebaut. Und dann drehte er die hin und her in seinen Händen, und guckte so leicht ungläubig und meinte so: 'Die ist gut'."

    Seitdem baut Michaela Hartmann Gitarren nach Maß, ergonomisch angepasst an jede Größe. Aus ihrer eigenen Erfahrung hat sie Verständnis für frustrierte Kunden, die in den großen Musikgeschäften nicht ernst genommen werden, wie eine 60-jährige Dame.

    "Die meinte, in dieses Gitarrengeschäft würde sie nie wieder reingehen. Und ich finde, das grenzt fast schon an Rassismus. Warum soll denn jetzt eine alte Dame nicht anfangen E-Gitarre zu spielen, was soll denn der Quatsch? Und warum hat die nicht auch das Recht, höflich und zuvorkommend behandelt zu werden?"

    Michaela Hartmann ist es eigentlich leid, auf ihre Frauengitarren reduziert zu werden. Denn ihre Liebe zu Gitarren macht sie auch zu einer besonderen Gitarrenrestauratorin, die stundenlang von alten Instrumenten schwärmen kann.

    "Looks like shit, sounds like god. Alte Gitarren, die total abgeschrabbelt und veranzt sind, aber immer gespielt wurden, die spielen sich wie Butter und klingen wie Sahne. Ich habe zum Beispiel hier diese alte Seifert. Man sieht halt hier die Lackrisse, in denen der Staub sitzt, ein bisschen rostig hier, und du siehst, wie wunderschön die gearbeitet ist. So was kriegst du heute gar nicht mehr, und wenn, dann zahlst du da fünf-, sechs-, sieben-, zehntausend Euro für. Also allein diese Griffbrett-Inlays. Die ist jetzt halt zwar völlig verstimmt, aber die haben auch einen total schönen Ton."

    Und doch kommt das Frauenthema immer wieder hoch, lässt sie nicht in Ruhe. Sie kann sprichwörtlich ein Lied davon singen, was es heißt, als Frau in der Musikbranche zu arbeiten. Schon als Musikerin führte sie einen aussichtslosen Kampf.

    "Man hat es nicht schwer, man hat die Arschkarte. Es ist immer oder zu 99 Prozent bei allen Bands, in der Rockszene zum Beispiel erst mal die große Frage: Wollen wir eine Frau in der Band? Auch im Gitarrenbauwesen: Du kriegst keine Ausbildung, du kriegst kaum Praktika. Wenn, dann musst du dir so einen Mist anhören wie ich: Alle Fehler lagen immer bei mir, ja Frauen können das halt nicht. Es hat auch einen negativen Grund, dass ich meinen eigenen Laden habe und dass ich selbstständig bin."

    Bei allem aufgestauten Frust ist Michaela Hartmann eine lebenslustige Frau, die sich über jeden Kunden freut, den sie glücklich machen kann, wie auch den Herrn mit den übergroßen Händen. Die kannte sie nur als gescannte Umrisse auf einem Blatt Papier.

    "Und dann kam der hier angereist aus Wiesbaden, um seine Gitarre abzuholen, und der war riesig! Und der nahm die Gitarre und war total glücklich! Und sagte: 'Endlich eine Gitarre, auf der ich spielen kann'."

    Michaela Hartmann ist glücklich über ihr selbstbestimmtes Leben, in das ihr kein Macho mehr reinreden kann, auch wenn es immer wieder Probleme mit Mitarbeitern gibt, die mit ihrer Chefrolle nicht zurechtkommen.

    "Ich habe bisher keine andere gefunden, die E-Gitarren baut aus dem Brett von der Pike an. Also wenn eine das hört, bitte melden. Also ich hätte unheimlich gern eine Kollegin, und ich suche auch gerade jemanden, der hier arbeitet."
    ++++NUR CORSO+++Gitarrenbauerin Michaela Hartmann
    Preziosen mit sechs Saiten (Florian Fricke)