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Lord Jim

Auftritt Jim. In Weiß von Kopf bis Fuß. Wer übertreibt, täuscht - sich und andere. Jims Weiß ist eine Übertreibung. Er ist auf Schein und Wirkung aus, und so modelliert er sich auch. Aber wer ist er? Wer will er sein?

Thomas Zenke | 23.08.1998
    Joseph Conrad wendet einiges auf, um dieses Weiß zu bestimmen. Jim, heißt es, sei "spotlessly neat". Auffällig adrett erscheint der Mann, tadellos ordentlich - verdächtig angepaßt an Konventionen. "Makellos sauber" sei er, übersetzt Klaus Hoffer betulich und verschenkt gleich noch den Doppelsinn von "immaculate white". Das Weiß, in das Jim gekleidet ist, ist ja nicht nur "fleckenlos", sondern spielt auch auf Reinheit, Schuldlosigkeit, riskieren wir zu sagen: auf Unbeflecktheit an. Jims Weiß behauptet, daß er ohne Makel sei. Es ist "aufgesetzt". Und eben darum geht es Conrad: Jim ist nicht das, was er darstellt.

    Auch die Art seines Auftretens ist irritierend. Wie er da auf einen zukommt, die Schultern geneigt, der Kopf vorgestreckt, der Blick starr von unten herauf, gleicht er, so Conrad, einem angreifenden Stier. Und doch soll er nichts Aggressives an sich haben, wie ja auch das Weiß signalisiert. Sein Verhalten zeuge aber "von unbeugsamer Selbstbehauptung", so Hoffers entschiedene, allerdings vereinfachende Lesart von "a kind of dogged self-assertion". Was Jim hervorkehrt, zur Schau stellt - Conrad gebraucht nicht von ungefähr das Verb "display", um das Rollenhafte, das Als-ob zu unterstreichen -, ist vielmehr so etwas wie hartnäckige, wenn nicht gar verbissene Selbstbehauptung. Und sie ist anscheinend notwendig, geradezu zwanghaft. Jim panzert sich sichtlich - gegen sich selbst wie gegen alle anderen.

    Dennoch, Jim kommt an, ist beliebt in den Häfen des Ostens als tüchtiger "ship-chandler's water-clerk", der die einlaufenden Schiffe im Wettbewerb mit der Konkurrenz "klariert", wie der Seemann sagt. Ganz unseemännisch und ironisch-gebrochen, was Conrads Intentionen mit Sicherheit zuwiderläuft, klingt dagegen die Bezeichnung "Hafen-Kommis", die Hoffer bevorzugt.

    Aber trotz seines Erfolges geht Jim immer wieder auf und davon, wenn er Gefahr läuft, erkannt zu werden. Denn da ist ein rätselhaftes "Faktum", ein offenbar unabänderliches. Es zersetzt Jims im doppelten Sinn blendende Erscheinung, sein Inkognito. Es ist das Damoklesschwert über dem "von der See ins Exil geschickten Seemann". Es ist das "Unerträgliche", das der hypersensibel Gewordene schneidend wahrnimmt. "His keen perception of the Intolerable" wird gleichsam kursiv gesetzt und erinnert uns an den Schrei "The Horror! The Horror!", mit dem Kurtz, "the poor chap", wie Marlow ihn mitleidig nennt, in "Herz der Finsternis" sein schreckliches Leben zusammenfaßt. Joseph Conrad schreibt ja an "Heart of Darkness", während er auch mit dieser Geschichte hier befaßt ist.

    Der Erzähler gibt nur zögernd preis, was zu Jims Bild beitragen könnte. Er hält höchst kunstvoll hin, entschlüsselt vorausdeutend in kleinen Schritten. So er-fahren wir erst jetzt, wie Jim zu seinem Namen kam. Die Malaien, zu denen es ihn verschlug auf seiner Flucht vor dem "Faktum", haben ihn "Tuan Jim" genannt, was soviel heißt wie "Master Jim". Der Erzähler macht daraus spöttisch-übertreibend "Lord Jim". Er verzerrt den kolonialen Blickwinkel. Denn für die Eingeborenen muß der Mann, der da übers Meer zu ihnen kam, natürlich der "white Lord" sein, ein Gott. Nur das Weiß dieses Botschafters der zivilisierten Welt, wir ahnen es längst, ist befleckt.

    Da steht er nun schwankend auf seinem brüchigen Postament. Wer ist er wirklich? Der Erzähler geht zurück in Jims Jugend. Jim stammt aus einem Pfarrhaus, wo Rechtschaffenheit herrscht und nichts Rebellisches ist, was den Seelenfrieden in den Herrschaftshäusern stören könnte. Unterhaltsame Ferienlektüre gibt den Anstoß, Abenteuer woanders zu suchen, Abenteuer auf See, wie sie im Buche stehn. Jims Position ist oben auf dem Vortopp. Von dort blickt er auf die Welt "mit der Verachtung eines Mannes, dem es bestimmt ist, inmitten von Gefahren glanzvoll zu bestehen".

    Aber der verblendete Phantast, der so groß ist in seinen Träumen, verpaßt die Chance, sich wie "der unerschrockene Held" seiner Bücher und als "ein Musterbeispiel der Pflichterfüllung" in der Realität zu bewähren. Unweit des Schulschiffs, auf dem er ausgebildet wird, hat sich eine Kollision ereignet. Der Aufruhr der Elemente läßt Jim einen Augenblick zögern, ins Boot zu springen, und die heldenhaften Retter, das sind nun die anderen Kadetten. Er reagiert mit Hybris. Er werde eben dermaleinst "größeren Gefahren die Stirn bieten".

    Nach seiner Ausbildung wird er Erster Offizier auf einem Schiff. Nur die Prüfung auf See, die "den inneren Wert" eines Mannes sichtbar macht und die Berechtigung seiner Ansprüche vor den anderen und vor sich selbst, scheint dem rastlosen Träumer versagt zu sein. Bis ihn die tobende See fordert. Um ein Haar wird er von einer herabfallenden Spiere erschlagen. Wie gelähmt liegt er da, verzweifelt, nichts anderes im Sinn, als der Marter zu entkommen, koste es was es wolle. Sich als Mann zu bewähren, scheint ihm fernzuliegen. Eher scheinen ihn jene Seeleute zu faszinieren, Weiße wie er, die auf ihren Deckchairs faulenzen und sich ohne Risiko durchs Leben schlagen.

    Er schwankt einen Augenblick, aber dann heuert er doch wieder an - als Erster Offizier auf der 'Patna', einem vom Rost zerfressenen Dampfer. 800 Muslime auf der Pilgerreise nach der ewigen Glückseligkeit sind die menschliche Fracht dieses Seelenverkäufers. Der Kapitän, ein "fahnenflüchtiger" Deutscher, schikaniert, wie er's gelernt, nach dem Gesetz von "Blut-und-Eisen", und auch seine Crew ist der "Inbegriff alles Niederträchtigen und Gemeinen" und bei den Maschinen, da ist noch die "black gang". Indes an Jim kommen sie nicht heran. Er läßt sich von seinen Träumen entführen, seinen imaginären Heldentaten, die ihn berauschen wie ein "göttliches Wunderelexier grenzenlosen Selbstvertrauens".

    Jim lächelt, seiner selbst sicher. Zu sicher. Denn auf einmal geht ein leises Zittern durch das Schiff - der Widerhall eines Grollens aus der Tiefe. Und dann ist es, als habe das Schiff nur einen schmalen Streifen leicht bebender See durchkreuzt. Dennoch, die Gewißheit eines geordneten Weltganzen, "of a save universe", von dem dieses Kapitel zu Anfang noch sprach, scheint verloren zu sein. Und Jim ist ein Irrender auf unendlicher Fahrt. Die Allegorie der 'navigatio vitae' ist nicht zu übersehen.

    Das 19. Jahrhundert, das sei hier eingefügt, war die Epoche der Schiffbrüche. Allein vor der britischen Küste ereigneten sich zum Beispiel im Jahr 1881 919 Katastrophen, und man schätzt, daß England in diesem Jahrhundert jährlich 5000 Menschen durch Schiffsuntergänge verlor. Joseph Conrad, der 1886 sein Kapitänspatent der britischen Handelsmarine erwarb und 1894 seine Laufbahn als Seemann beendete, konnte im August 1880 in der 'Times' und anderen Zeitungen zum Beispiel von den Vorgängen um die Aufgabe der 'Jeddah' lesen, die mit fast tausend Pilgern an Bord von Singapur unterwegs nach Mekka gewesen war, vier Tage mit schwerer See gekämpft hatte, so daß die Besatzung am Ende ihrer Kräfte war und die Pilger nahe einer Meuterei. Und er konnte vom Prozeßverlauf vor dem Seedisziplinargericht in Aden erfahren haben, das mit der Aberkennung des Kapitänspatents für die Dauer von drei Jahren und einer "Mißbilligung über das unseemännische Verhalten" des Ersten Offiziers geendet hatte.

    Dies ist die wichtigste Quelle für "Lord Jim"; die neue deutsche Ausgabe druckt sie ab. Und der Erste Offizier, der als letzter die sinkende 'Jeddah' verließ, wurde eine Art Vorbild für Jim; Conrad hat ihn, A. P. Williams hieß er, wahrscheinlich später in Singapur kennengelernt. Auch er war der Sohn eines Pfarrers, arbeitete nach seiner Abmusterung als "ship-chandler's water-clerk" und war in Weiß gekleidet. Vor allem, und das imponierte Conrad, war es ihm um seine Ehre gegangen, und so hatte er den Fall 'Jeddah' durchgestanden bis zum Ende.

    Die 'Patna' hatte, wie gesagt, nur gezittert. Dann war, welche Absurdität, der Meeresspiegel wieder glatt, ohne Spur, unberührt. "Wie eine Schlange über einen Stock", so sei das Schiff - vielleicht über Treibgut - hinweg geglitten, sagt Jim später vor dem Disziplinargericht aus. Aber die Richter wollen Fakten - als ob Fakten seine "Schande" erkären könnten, gegen die heiligste Regel der Seefahrt verstoßen zu haben, daß nämlich Kapitän und Offiziere die letzten sind, die ein Schiff in Seenot verlassen. Und doch müssen seine Aussagen, ist Jim überzeugt, genau sein; denn nur eine peinliche Genauigkeit könne das wahre Grauen hinter der abstoßenden Oberfläche der Dinge, das Unfaßliche, in dem er gefangen ist, das "Faktum" sichtbar machen.

    Seine umherirrenden Augen bleiben an einem Weißen hängen. Dieser scheint ihn zu fixieren, als sei ihm Jims "hoffnungsloses Dilemma" bewußt. Es ist Captain Marlow. Marlow, der wie sein Erfinder seit seiner Kindheit von den weißen Flecken auf der Weltkarte geträumt hat, ist Conrads Alter ego, seine Maske, ein erfahrener Seemann, übrigens zwanzig Jahre älter als Jim, der so viel sieht, so viel hört, so viel begreift, und der enthüllen, aber auch verbergen kann, was ihn umtreibt. In der Erzählung "Jugend", die Conrad Anfang 1898 geschrieben hat, tritt Marlow zum ersten Mal auf. Wehmütig und stolz erzählt er dort von seiner Abenteuerfahrt auf der alten 'Judea', die dreimal Schiffbruch erlitt, und von dem dennoch "guten, starken Meer". Dann kehrt er wieder in "Herz der Finsternis". Wir sehen ihn vor uns, wie er da einem Buddha gleich am Besanmast der 'Nellie' lehnt und vom Kongo erzählt, der ihn verhext hat genauso wie Kurtz, der Elfenbeinhändler, der sich in das Böse verwandelte.

    Jim, das ist "einer von uns", weiß Captain Marlow. Er erinnert ihn an den jungen Mann, der er einmal war. Aber Marlow sieht auch das Risiko dieser Vertrautheit. Jim möchte ihn als Bundesgenossen, das spürt er, als Komplizen. Er könnte "überlistet" werden, "geblendet, geködert", und nicht mehr "unparteiisch sämtlichen Ausgeburten der Phantasie gerecht" werden. Wenn Jim mit ihm spricht, dann spricht er wie zu einem Menschen, der sein Gegenspieler ist und zugleich "Teilhaber seiner Seele" ("another possessor of his soul"). Marlow wird diese ihm zugedachte Rolle im Laufe der Geschichte mehr und mehr annehmen. Er ist nie der Beobachter am Rand, sondern wie Jim ein Exponent der Passionen, die Motor und Gefährdung des Lebens sind. Und er wird sich entdecken, indem er daran teilhat, wie sich Jim entdeckt in seiner verpaßten Chance, im Schiffbruch seines Daseins.

    Wenn wir uns den jungen Jim vorstellen, wie er am Ufer steht und "mit leuchtenden Augen in die endlose Weite blickt, deren Glitzern bloß die Spiegelung des Feuers in den eigenen Blicken ist", wenn wir an "die gloriosen Kapriolen seiner Phantasie" denken, seine Abenteuer im Kopf, "die irreale Welt romantischer Heldentaten", dann gleicht er dem ästhetisch bestimmten Menschen, der seine Imaginationen und Illusionen genießt. Und wir können das Leitmotiv des "Sprungs" in "Lord Jim" in Anlehnung an Kierkegaard deuten. Der Augenblick, in dem Jim sich entscheiden muß, in das Rettungsboot zu springen zu dem Kapitän und seiner Crew und also die leckgeschlagene "Patna" und ihre Menschenfracht aufzugeben, oder eben nicht zu springen, ist existentiell erhitzt. Das heißt, Jim wählt sich selbst und bindet sich an Gut und Böse als Maßstab der Beurteilung seines Handelns. Er springt - und es gibt kein Zurück. Von nun an ist er sein eigener Richter und versucht verzweifelt, die Entdeckungen über sich selbst "wegzuerklären". Diese Prüfung ist noch schrecklicher als die Aberkennung des Offizierspatents und die ruinierte Karriere. Sie zeichnet ihn und macht ihn sozusagen zu einem blinden Passagier in dieser Welt, der Angst hat, identifiziert zu werden, aber auch eine Hoffnung: Gnade.

    Die Mitte des Buchs ist Marlows Begegnung mit Stein. Stein, der Aktivist der Revolution von 1848, der Abenteurer, der erfolgreiche Geschäftsmann im malaiischen Archipel, der leidenschaftliche Entomologe empfängt Marlow, gebeugt über einen seltenen Schmetterling, ein in seinen Augen vollendet ausgewogenes Meisterwerk "der großen Künstlerin" Natur. Und als Marlow ironisch einwirft "Und der Mensch?", antwortet Stein: Der sei kein Meisterwerk , aber "amazing", also "unbegreiflich" - und nicht bloß "staunenswert", wie der Übersetzer verharmlost. (Conrad hat übrigens an dieser Stelle den harten Satz "Man is a freak" gestrichen!) Da erzählt Marlow von Jim und fragt: Wie soll Jim weiterleben? Der Mensch, antwortet Stein, entwerfe sich wie Jim so und dann wieder so, mal als Heiliger, mal als Teufel; und wenn er die Augen schlösse, habe er "einen tadellosen Zeitgenossen" ("a very fine fellow") in blendendem Weiß vor sich. Öffne er die Augen wieder, müsse er feststellen, daß das Bild, das er von sich hat, nicht Wirklichkeit werden kann. Das schaffe "the world pain", wie Conrad "Weltschmerz", ein Schlüsselwort der Romantik, übersetzt. Und Stein lacht lauthals; und wir erinnern uns an Jims Lachen, als er erzählt, wie er zögerte, ins Rettungsboot zu springen und die elenden Kanaillen ihn "Feigling!" schimpften, an dieses Lachen, das die Qual eines Zerrissenen herausschrie. Und Stein fährt fort: Der Mensch sei in das Meer des Daseins geworfen, und es sei richtig, sich "dem zerstörerischen Element" zu überlassen und zu kämpfen, bis "das tiefe, tiefe Meer" einen trüge, man wird das später 'heroischen Nihilismus' nennen, und doch seinem Traum, dem Ruf einer Idee, seinem Lebensentwurf, seiner Bestimmung unbeirrbar zu folgen "usque ad finem".

    Es ist indes das Moderne an "Lord Jim", daß Conrad sein über weite Strecken romantisch-idealistisches Programm immer wieder in Zweifel zieht und den Umbrüchen seiner Zeit Rechnung trägt, was auch das Schwankende und Widersprüchliche in Jim und die Urteile über ihn erklärt. Conrad radikalisiert nicht nur die Grundmöglichkeit der Existenz; er hinterfragt auch das Idealbild der moralischen Identität, "diesen kostbaren Begriff einer gesellschaftlichen Konvention"; und er rührt auch an den Grundwerten, den festgeschriebenen Verhaltensregeln wie Mannhaftigeit ("gorgeous virility") und Ehre. Denn nicht der Wille allein ist es, sondern auch die "Nerven" sind es, hinter denen sich Jim verbirgt. Er wird offensichtlich von den "perversions of nerves", den "Verirrungen der Nerven" und seiner überspannten Phantasie beherrscht, und das bringt ihn wie auch Marlow aus dem Lot. Und die Ehre, dieses 'symbolische Kapital', um Pierre Bourdieu zu zitieren, gerät sie nicht allzu pompös? Denken wir nur daran, wie der Große Brierly, Beisitzer des Disziplinargerichts, ein Heuchler in Marlows Augen, den unbeugsamen Jim bestechen will und nach Abschluß der Verhandlung, welch' groteske Wendung, auf offener See über Bord springt.

    Es war ein im 19. Jahrhundert verbreiteter Traum, sich in einer exotischen Welt zu finden und zu erlösen. Jim desertiert sozusagen, macht sich in dieser Welt abwesend, sucht sich ihren Normen zu entziehen und flieht in "Weltabgeschiedenheit", ins "Ungewisse" - in den hintersten Winkel Nordost-Borneos. Er zwingt sein Schicksal, wagt erneut den "Sprung", und das Experiment scheint zunächst zu gelingen. Er wird zum "white Lord", schafft "das soziale Gefüge eines geordneten, friedlichen Lebens", gewinnt die Achtung der kolonisierten Völker, das Vertrauen, die Liebe, den Glauben der Menschen an ihn - und damit Selbstachtung, Selbstsicherheit, Größe. Er gleicht einem "Monument der Stärke", scheinbar unverwundbar, und es ist, als habe sein makelloses Weiß "das ganze Sonnenlicht" eingefangen.

    Aber diese Lichtgestalt wirft den schwärzesten Schatten. Brown, der skrupellose Freibeuter, ist der andere Pol. Er verhöhnt Jim: Der "white Lord" tue so, als sei er jemand, der eigentlich Flügel haben müsse, damit er sich nicht die Füße schmutzig mache. Er, Brown, säße mit seinen Männern im selben Boot und sei bei Gott nicht so einer, "der sie verdammtnochmal im Stich läßt und rausspringt und sich dabei sagt, nach mir die Sintflut". Da hat Jim das unerträgliche "Faktum", sein Sprung von der 'Patna', eingeholt. Er, der sich angenommen, urbar gemacht hat und seinem Traum gefolgt ist, will sein Idealbild retten und verrät zugleich diejenigen, die sich ihm anvertraut haben. Er verschont Brown gnädig und wird schuldig am Tod von Dain Waris, dem malaiischen Fürstensohn, der wie ein Bruder zu ihm war. Er richtet sich selbst, indem er sich dem Fürsten stellt. Der alte Mann tötet ihn, den Freund seines Sohnes. Jim ist in seinem innersten Wesen "unausgesöhnt", wie Klaus Hoffer "unforgiven" überzeugend interpretiert.

    In einer Vorbemerkung zu seiner Geschichte hat Joseph Conrad Jim kurz charakterisiert: Er ist "appealing", "anziehend" und "significant", nicht - so Hoffer - "bedeutungsvoll", sondern eher "vieldeutig", wenn nicht gar "schillernd", denn ein Rätsel bleibt er bis zum Schluß, weshalb er auch als "perfectly silent" bezeichnet wird. Das Wichtigste: Jim ist "under a cloud". Diese Formel verwendet Conrad leitmotivisch. Wie soll man sie übersetzen, damit sie wiedererkennbar ist und zugleich an Komplexität nicht verliert! Hoffer hat "schattenhaft" gewählt. Damit trifft er Jims Schattendasein, das schwer zu fassende Ich dieses Mannes, auch seine Schwermut. Er wird zum ewig Irrenden, Ruhelosen, zu einer Art Fliegender Holländer. "under a cloud" hat aber noch eine andere Bedeutung, und die muß Hoffer mit seiner Lösung verfehlen. Gemeint ist, was Jim "überschattet", auf ihm lastet, sein Verzweiflungssprung, das "Faktum", das ihn in Verruf gebracht hat, die Schande. Die schwere Wolke, sie bleibt - "usque ad finem".