Archiv


Lost Highway

Woran der Country-Sänger Hank Williams gestorben ist, wurde nie geklärt. Charles Carr fuhr den Musiker in seiner Todesnacht auf der Rückbank seines Autos quer durch die Südstaaten. Hank Williams' Tod bemerkte er jedoch erst nach Stunden.

Von Tom Noga |
    Der hellblaue, offene Cadillac ist die Schau im Hank-Williams in Montgomery, Alabama. Die Armaturen chromglitzernd, die Sitze aus Leder. Mann, die Böden mit knöcheltiefem Teppichboden ausgelegt. Charles Carr öffnet die Fahrertür - auch nach über 60 Jahren schwingt sie geräuschlos auf - und setzt sich ans Steuer. Wie damals in der Silvesternacht 1952 als er, gerade 18 geworden, dieses schmucke Auto durch die verschneiten Südstaaten der USA fuhr. Auf der Rückbank saß Hank Williams, der größte Country-Star jener Zeit.

    "Na ja, das war eine Sache, die halt passiert ist, einfach so, vollkommen unvorhersehbar. Das ist passiert und seitdem muss ich damit leben."

    Charles Carr blickt gequält - was damals geschehen ist, macht ihm bis heute zu schaffen. Denn am Ende jener Fahrt, in Oak Hill, West Virginia, war Hank Williams tot. Wann und wo er gestorben ist, hat sich nie klären lassen. Gut möglich, dass Charles Carr stundenlang einen Leichnam durch die Gegend kutschiert hat.

    "Wenn ich mich umdrehe, sehe ich ihn in meiner Erinnerung immer noch da sitzen. Das quält mich bis heute, oder besser: Es berührt mich. Emotionen kann man nicht immer kontrollieren."

    In Montgomery ist es damals losgegangen, vor der Pension, mit der die Mutter des Sängers ihren Lebensunterhalt bestritt – manche sagen, es habe sich um ein Stundenhotel gehandelt. Nach der Scheidung von seiner ersten Frau und der Trennung von der zweiten lebte Hank Williams dort. Ziel der Reise war das 1.100 Kilometer entfernte Charleston in West Virginia – dort sollte Hank Silvester auftreten. Am Neujahrsnachmittag war er für eine Matinee in Canton, Ohio gebucht – 360 Kilometer weiter.

    "Before Hank a lot of Country Music was almost like Victorian parlor ballads. They were detached, they were overly romantic.”"

    Colin Escott, Autor der Hank-Williams-Biografie "Das Leben einer Country-Legende.""Frühe Countrymusik klang fast wie viktorianische Bänkellieder, so romantisch und abgehoben. Aber unmittelbar vor Hank waren die Honky-Tonk-Sänger aufgekommen, Leute wie Ernest Tubb und Floyd Tillman mit ihrem raueren Blick auf das Dasein. Hank hat darauf aufgebaut, er nahm den Sound der Bierhallen, der Honky Tonks, und blickte nach innen. Er hat Songs über sein eigenes Leben geschrieben, mit einer fast schon brutalen Ehrlichkeit.""

    "Ein wichtiges Element bei Hank ist Schuld: Er wusste, was richtig ist, aber er hat es nicht getan. Viele seiner Songs sind wie Gebete eines Rückfälligen, der weiß, dass er das Falsche tut, aber nicht anders kann."

    Highway 31 führt über sanfte Hügel, durch liebliche Wälder, vorbei an verschlafenen Orten. Durch eine Landschaft, die auf den ersten Blick wenig zu bieten hat, weder monumentale Gebirgsmassive noch spektakuläre Canyons, weder gewaltige Wasserfälle noch rauschende Flüsse. Aber wer sich auf diese Landschaft einlässt, der beginnt, sie zu spüren, die Melancholie des Südens. Diese bittersüße Traurigkeit, die vor allem Hank Williams‘ Liebeslieder auszeichnete.

    In Birmingham, einer grauen Industriestadt, haben Hank Williams und sein jugendlicher Fahrer übernachtet, in Fort Payne gefrühstückt. Der nichtssagende Ort schmückt sich mit dem Titel "sock capital of the world", weil einst die Hälfte aller in den USA verkauften Strümpfe hier hergestellt wurden. Bei Chattanooga geht es über die Grenze nach Tennessee. Es ist kalt, aber sonnig. Auf Hank Williams’ Todesfahrt fegte hier ein Schneesturm übers Land.

    Eine Bar in Knoxville. Auf der winzigen Bühne eine brünette Frau, sie trägt Jeans und ein kariertes Hemd – damit unterscheidet sie sich optisch kaum typisch von ihrem Publikum. Nach ein paar Eigenkompositionen stimmt sie einen Song von Hank Williams - auch 60 Jahre nach dem Tod lebt seine Musik weiter.

    An der Theke klebt ein Mittfünfziger, Stetson auf dem Kopf, Whiskyglas in der Hand. Jack Neely ist so etwas wie der Stadtschreiber von Knoxville, Tennesssee. Als Autor und Journalist befasst er sich immer wieder mit seiner Heimatstadt. Und mit Hank Williams.

    "Hank wollte nicht nach Knoxville, aber der Schneesturm ließ ihm keine andere Wahl. Sie haben hier ein Flugzeug gechartert, um noch rechtzeitig nach Charleston zu kommen, aber wegen dem Schnee musste der Pilot umkehren. Am Abend des 31. Dezember haben sie schließlich im Andrew-Johnston-Hotel eingecheckt. Dort hat ihm ein Arzt offenbar Morphium gespritzt. Angeblich hatte er schon vorher in einem Krankenhaus eine Spritze bekommen, und er soll sich schwarz gebrannten Schnaps besorgt haben. Wer weiß, was davon stimmt. Sicher ist, dass er sich ein Steak als Abendessen hat kommen lassen und nach ein paar Bissen eingeschlafen ist."

    1952 war Hank Williams auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Er hatte vier Top-Ten-und zwei Nummer-Eins-Hits Hits, darunter "Jambalaya", sein bekanntester Song.

    Trotz aller Erfolge war Hank Williams im Jahr 1952 auf dem absteigenden Ast. Die jahrelang Hatz von Auftritt zu Auftritt fordert ihren Tribut. Er war alkohol- und medikamentenabhängig, ein chronisches Rückenkleiden machte ihm zu schaffen. Mit gerade mal 29, berichten Zeitzeugen, wirkte er wie ein alter Mann. Und die Grand Ole Opry in Nashville, schon damals die wichtigste Country-Show in den USA, hatte ihn wegen seiner notorischen Unzuverlässigkeit entlassen.

    Damals war Knoxville ein wichtiger Knotenpunkt, das Tor zum Osten Tennessee, zu den Tälern, in denen die Country-Musik Ende des 19. Jahrhunderts entstanden war. Und ein bedeutendes musikalisches Zentrum mit zwei Radiosendern und Shows an den Wochenenden, zu denen die Menschen geradezu pilgerten. Heute steht die Stadt im Schatten vom knappe drei Autostunden entfernten Nashville, DER Country-Metropole überhaupt. Dabei fehlt es in Knoxville nicht an Talenten – Jack deutet mit einer Kopfbewegung Richtung Bühne – aber mit der Zeit wandern sie ab.

    Im ehemaligen Andrew Johnston Hotel sitzt heute die Schulbehörde. Nur der Ballsaal im achten Stock strahlt mondänes Flair aus. Unter der stuckverzierten Decke ein gewaltiger Kandelaber, die Balustrade der Galerie fein gedrechselt. Zu Hanks Zeiten wurden hier rauschende Feste gefeiert, erzählt Jack Neely, und im Theater auf der Main Street traten Opernensembles von der Ost- und Westküste auf.

    "Sein Fahrer beschloss lieber loszufahren, als die Nacht hier zu verbringen. Um viertel vor zwölf schleppten sie Hank Williams runter und verfrachteten ihn im Wagen. Laut Polizeibericht war er bewusstlos und nicht ansprechbar, manche vermuten, er war schon tot. Aber es gibt auch Leute, die Jahre später behauptet haben, er sei bei Bewusstsein gewesen und habe sich mit ihnen unterhalten. Keine Ahnung, ob das stimmt, die Polizeiberichte jedenfalls sagen, dass er bewusstlos war, als der junge Mann mit Hank Williams auf der Rückbank Richtung Nordosten aufbrach."

    Schnurgerade zieht sich Highway 11 durch ein breites Tal. Links die Appalachen, bewaldete Hügel, so weit das Auge reicht, rechts die Smoky Mountains, ein düsteres, nebelverhangenes Gebirge. Die Straße ist vierspurig, vor ein paar Jahren wurde sie ausgebaut. Kleine Orte fliegen vorbei, nicht mehr als die Ansammlung von Fertighäusern, ab und an ein kleines Einkaufzentrum. Alles wirkt vertraut und doch anders.

    "In den letzten 60 Jahren hat der Süden seine Abgeschiedenheit eingebüßt. Früher, und das geht zurück auf den Bürgerkrieg, war der Süden ein anderes Land, nicht nur wegen der Rassentrennung. Der Süden, aus dem Hank Williams kam, war anders als der Norden, anders als Kalifornien. Diese regionale Identität ist heute nahezu verschwunden."

    Der alte Süden. Wer eine Ahnung gewinnen möchte, wie es damals war, der muss such muss die Hauptstraße verlassen und sich in die labyrinthischen Täler der Smoky Mountains wagen. Hinein in eine verwunschene Welt der über schrundige Straßen, einen bewaldeten Hügel hinauf und auf der anderen Seite wieder herab. Nichts ist hier mehr zu spüren vom Wohlstand im immer noch reichsten Land der Erde. Die Häuser sind bessere Hütten, meist ohne Heizung und ohne fließendes Wasser. Musik ist hier das einzige Freizeitvergnügen, in kleinen Kirchen, meist nicht mehr als besseren Schuppen, leben die Menschen ihre oft fanatische Religiosität aus. Dies

    Vor einer Burger Bar in Bristol, damals ein Taxistand, hielten Charles Carr und Hank Williams an, um einen Ersatzfahrer anzuheuern. Wer die Imbissbude betreten hat, ist bis heute unklar. Charles Carr kann sich nicht mehr erinnern, der mittlerweile verstorbene Ersatzfahrer behauptete, Hank Williams selbst habe ihn angesprochen. Die Burger Bar wirbt seitdem mit dem Countrystar, mit Fotos und Plattencover an den Wänden.

    "Nach Bristol wurde es immer tückischer ja, es schneite und schneite und wir versuchten, Zeit aufzuholen."

    Weiter hinein in die Appalachen. Steil ragt die Straße empor, um dann ebenso steil in ein Tal hinab zu fallen und auf der anderen Seite wieder anzusteigen: Überall Hinweise, die Motorbremse zu nutzen, überall Ausweichspuren für LKW. die außer Kontrolle geraten. Wie muss es hier sein, wenn es stürmt und schneit? Wie damals, als hier noch keine Autobahn entlang führte, sondern eine Landstraße, einspurig, unbeleuchtet.

    "Irgendwann hielt ich an und griff nach Hanks Hand. Er trug einen Mantel und lag unter einer Decke. Seine Hand war auf seiner Brust. Ich hob seine Hand und spürte einen gewissen Widerstand. Da wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Ein paar Hundert Meter weiter war eine Tag-und-Nacht-Tankstelle. Dort hielt ich an, der Herr kam raus und sagte, dass wir ein Problem hätten. Und so war’s auch."

    Die Stadt, in der die Todesfahrt des Hank Williams endete, könnte nicht unspektakulärer sein. Oak Hill, West Virginia, das ist eine Hauptstraße mit ein paar jener Supermärkte wie Family Dollar, die ihr Pogramm schon im Namen tragen. Auf engstem Raum wird alles angeboten, was ein Haushalt braucht – Hauptsache billig. Früher wurde hier wie in vielen Regionen West Virginias Kohle gefördert. Doch das ist längst vorbei.

    Die einzige Attraktion in Oak Hill ist eine Gedenktafel für Hank Williams. Und Tyrees Funeral Home. In dem Beerdigungsinstitut wurde der Leichnam aufgebahrt, bevor er nach Montgomery gebracht und dort beigesetzt wurde. Joe Tyree, damals der Juniorchef, hat die Beerdigung organisiert.

    "Oft kommen Leute vorbei und fragen, ob ich Hank Williams damals präpariert habe. Ja, sage ich dann. Nach so vielen Jahren fragen sie immer noch danach. Wahrscheinlich ist Hank Williams heute eine viel größere Legende, als er zu Lebzeiten war."

    Woran Hank Williams gestorben ist, wurde nie geklärt. Am Neujahrmorgen des Jahres 1953 schob ein italienischer Assistenzarzt Dienst im lokalen Krankenhaus. Er schrieb den Todesschein aus, eine Autopsie wurde nicht durchgeführt.