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Lotario, Hercules und andere Helden

Händels Opern stehen bei den Festspielen in der Geburtsstadt an der Saale seit jeher im Mittelpunkt. Und man dachte, eigentlich sind nun alle seine Opern wenigstens einmal szenisch erprobt. Aber da gab es noch eine, die jetzt erst neu ediert vorliegt und seit der Uraufführung praktisch vergessen war: "Lotario". Jetzt hat man sie wenigstens konzertant vorgestellt in einer Produktion, die auch noch in Paris im Théâtre des Champs-Elysées anschließend gespielt wird und im Herbst auf CD erscheinen soll. Am 8. Juni war die Premiere in der Konzerthalle Ulrichskirche.

Autor: Georg Friedrich Kühn |
    Die Uraufführung liegt 275 Jahre zurück. Die Premiere jetzt war dennoch fast das Gleiche. Lotario heißt diese vielleicht nur Forschern noch bekannte Oper. Sie teilte das Schicksal so mancher Spätlinge. Die Zeit, sie angemessen zu rezipieren, war vorüber.

    1729, Händels "Royal Academy of Music", mit deren Hilfe er so viele Opern in London herausbrachte, war bankrott gegangen und er musste eine neue Company gründen. Sogar das Adels-Publikum war die endlosen Liebeshändel, verkapselt in mythologische Geschichten, Leid. Es wollte auch auf der Bühne mehr Reelles. Und Kostproben davon hatten die Leute ja schon bekommen mit der Beggars' Opera, jenem Werk das in der Neuauffrischung durch Brecht und Weill auch in den 20iger Jahren des letzten Jahrhunderts die Opern-Rezeption in Deutschland so gründlich umkrempelte.

    Mit Lotario wollte Händel, bevor er dann doch zu Änderungen seines Konzepts notgedrungen sich entschloss, noch einmal eine italienische Opera seria alten Stils mit endlosen Rezitativen und Arien ausprobieren. Es ging schief. Die Leute mochten sie nicht. Sie war, wie ein Zeitgenosse wohlmeinend berichtet, ihnen "zu sorgfältig gearbeitet".

    Lotario erzählt die Geschichte von der Befreiung der italienischen Königin Adelaide aus den Fängen ihres Widersachers Berengario und seiner machtgierigen Gattin Matilde. Beide wollen ihr den Thron Italiens streitig machen und sie mit dem eigenen Sohn verheiraten, der allerdings den Eltern bei ihrer Intrige kräftig in die Suppe spuckt. Unter dem Namen Lotario haben Händel und sein Librettist Rossi den deutschen Kaiser Otto I. versteckt. Der nämlich befreit die arme Witwe Adelaide und heiratet sie - auch wenn die mehr als tausend Jahre zurück liegenden historischen Fakten nicht ganz übereinstimmen mit dem, wie Händel die Geschichte erzählt.

    Die Oper ist ein Füllhorn schöner Arien und lyrischer Innenschauen. Und die konzertante Aufführung durch Paul Goodwin und das "kammerorchesterbasel barock" machen durchaus Lust auch auf eine szenische Erprobung. Zumal mit so exzellenten Solisten wie der spanischen Sopranistin Nuria Real mit ihrer glockenhellen Stimme als umkämpfte Königin Adelaide und dem amerikanischen Counter Lawrence Zazzo als ihrem Befreier Lotario, alias Otto, mit seinem bemerkenswert ausgeglichenen und voluminösen Organ. Allerdings sind die originalen Längen-Maße der Händelschen Partitur für unser Zeitgefühl heute kaum tragbar. Händel hat ja dann selber etwa die Wiederholungsteile seiner Arien gestutzt. In Halle kann man sich nach wie vor kaum dazu entschließen.

    Der Eigenbeitrag des Opernhauses zu den diesjährigen Händel-Festspielen war eine szenische Aufbereitung des Oratoriums Hercules aus dem Jahre 1743. Händel hatte da die Oper schon ganz hinter sich gelassen. Es war kein Geld mehr damit zu verdienen. Er musste nach neuen Ufern suchen, auch wenn er seine Oratorien durchaus szenisch dachte. Der Regisseur und Ausstatter Fred Berndt wählt für seine Inszenierung eine quasi halbszenische Form. Der Chor sitzt anfangs als bronzebehelmte Soldateska des Kraftprotzes Herkules mit auf der Bühne hinter einer Gazewand, auf die immer mal wieder Filmspots mit dem Hollywood-Star Arnold Schwarzenegger projiziert werden.

    So richtig prickelnd ist das letztlich nicht, auch wenn mit Ann Hallenberg als der von Herkules immer mal wieder in die Ecke gestellten Gattin Dejanira ein Mezzo der Extraklasse zur Verfügung steht und unter Alessandro De Marchi vom Händelfestspielorchester frisch musiziert wird.