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Lothar Bisky "So viele Träume – Mein Leben"

Lothar Bisky zieht seit über einem Jahrzehnt den holpernden Wagen der PDS noch immer und immer wieder durch alle Höhen und Tiefen der Politik. Was mag diesen Mann, der im Verhältnis zum schillernden, aber wankelmütigen Superstar der Partei, Gregor Gysi, stets die Kärrnerarbeit geleistet hat, dazu bewogen haben, den zahlreichen schriftlichen Auslassungen des Letzteren, aber auch diverser anderer Politgrößen die eigene Selbstdarstellung hinzuzufügen. Bloße Eitelkeit wäre zu wenig. Dazu weiß Bisky selbst gut genug, dass sein Umgang mit Sprache und Wort eher bieder ist. Die Antwort findet sich schon in der Zueignung des knapp 300 Seiten starken Bandes.

Von Harald Kleinschmid | 21.03.2005
    "Meine Söhne Jens, Norbert und Stephan haben auch eine Mutter. Ihr ist dieses Buch gewidmet. "

    Jens Bisky, der älteste Sohn, Feuilletonredakteur der "Süddeutschen Zeitung", hat vor nicht einmal einem halben Jahr unter dem Titel "Geboren am 13. August" ebenfalls eine Autobiografie veröffentlicht. Sie wurde von den meisten Kritikern als zumindest indirekte Distanzierung vom Vater, dem Vorsitzenden der Ostalgie-Partei PDS, und dessen Zugehörigkeit zur DDR–Nomenklatura verstanden. Somit scheint ein Zweck des Buches der einer Rechtfertigung, eines Korrektivs zu sein. Ob dies gelingt, ist eine andere Frage.

    Chancen dazu hätte Lothar Bisky bei der Schilderung seiner Biografie genug gehabt. Der 1941 geborene Sohn armer Leute wächst im Westen Deutschlands, in Schleswig-Holstein auf, stößt im örtlichen Buchladen auf das "Kommunistische Manifest", geht mit 18 Jahren 1959 freiwillig in die DDR, kann dort Abitur machen und studieren, empfindet deshalb tiefe Dankbarkeit gegenüber dem Arbeiter-und-Bauern-Staat und tritt schon 1963, zwei Jahre nach dem Mauerbau, in die SED ein. Er promoviert und habilitiert, wird Jugendforscher am Zentralinstitut in Leipzig, später Medienexperte am ZK-Institut der SED für Gesellschaftswissenschaften in Ost-Berlin und schließlich, Mitte der achtziger Jahre, Rektor der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg - eine lupenreine Parteikarriere.

    Diesen, den größeren Teil seines Lebens, handelt Bisky im ersten Teil seines Buches ab. Man erwartet Ausschluss über die Schwierigkeiten der Jugend– und Medienforschung der DDR bei weitest gehendem Publikationsverbot oder über den Einfluss der Partei auf den Wissenschaftsbetrieb. Man erfährt ´darüber so gut wie nichts. Bisky geht über die Schilderung von Episoden nicht hinaus. Schwer zu glauben, dass der damals verhängte Maulkorb bis heute seine Wirkung tut. Wahrscheinlicher ist ein noch immer herrschendes Loyalitätsgefühl, verbunden mit dem politischen Kalkül, die alten Genossen und heutigen Mitstreiter nicht zu verprellen. Symptomatisch dafür Biskys Äußerungen zum Mauerbau.

    "Den Mauerbau am 13. August habe ich aus der Ferne in einem Kinderferienlager zur Kenntnis genommen. Eine besondere Aufregung war dort nicht zu spüren. "

    Mehr wird zu diesem Thema nicht mitgeteilt. Da ist die PDS unter Biskys Leitung selbst schon wesentlich weiter gegangen. Gleiches gilt für die Themen 11. SED-Plenum und Biermann-Ausbürgerung, die den Kulturwissenschaftler Bisky in den 60er und 70er Jahren aufs Tiefste bewegt haben müssen, über die sich im ganzen Buch aber nur einige nichts sagende Nebensätze finden.

    Das ganze Buch ist bestimmt von der Schere im Kopf. Das gilt auch für den zweiten Teil, die Nachwendezeit. Die heftigen Auseinandersetzungen der PDS-Führung mit dem orthodoxen Flügel der Partei – Nebensätze. Es fällt der Name Sarah Wagenknecht, nicht aber der Begriff "Kommunistische Plattform". Etwas freier in der Schilderung fühlt Bisky sich nur, wenn er das beschreibt, was sich als Zivilcourage oder "aufrechten Gang" bezeichnen lässt: Etwa der Hungerstreik gegen die Versuche der Unabhängigen Kommission, die letzten Reste des alten SED-Vermögens zu beschlagnahmen, was das endgültige Aus für die Partei bedeutet hätte. Zum Verbleib des weitaus größeren Teils des Parteivermögens fällt allerdings – man ist versucht zu sagen "erwartungsgemäß" - wiederum kein Wort.

    Nicht ohne Stolz berichtet Bisky auch über seine Tätigkeit als Vorsitzender des Stolpe-Untersuchungsausschusses im Brandenburger Landtag, der die Verstrickungen des Ministerpräsidenten und ehemaligen Kirchenmannes in die Machenschaften der Stasi zu durchleuchten hatte. Was die eigenen innerfamiliären Beziehungen zu Mielkes Mannen angeht, ist Bisky jedoch wesentlich kleinlauter. Immerhin war Biskys Frau Allmuth in den sechziger Jahren IM der Staatssicherheit – eine Tatsache, die Sohn Jens in seinem Buch ebenfalls nicht unerwähnt lässt und die die eingangs zitierte Widmung erklärt. Was der Ehemann selbst dazu zu sagen hat, ist wenig.

    "Die Nachricht, dass Allmuth inoffiziell für das MfS gearbeitet hat, traf mich 1992 hart. Das war ein schwerer Fehler in ihrem Leben. Sie sieht das genauso und hat sich deshalb auch nie auf eine ihrer Qualifikation entsprechende Stelle im öffentlichen Dienst beworben. ... Allmuth und ich haben lange darüber gesprochen. Dass sie dienstliche Kontakte zum MfS unterhielt, war mir klar. "

    Der PDS-Vorsitzende verschweigt auch seine eigenen Stasi-Kontakte nicht, räumt ein, dass Berichte von seinen Westreisen auch an das MfS gelangt sein könnten. Meldungen, er habe für die HVA des Markus Wolf gearbeitet, bezeichnet er jedoch als Legende. Bisky nennt sein Buch im Untertitel "Mein Leben". Aber das, was da zu lesen ist, so fragt man beinahe mitleidig, kann doch wohl nicht alles gewesen sein.

    Harald Kleinschmid über Lothar Bisky "So viele Träume – Mein Leben". Der Band ist erschienen bei Rowohlt in Berlin. Er umfasst 320 Seiten und kostet 19,90 Euro.