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Lotuseffekt zum Spottpreis

Es schüttet aus allen Kübeln, und dennoch hält die Jacke trocken. Wovon Extremwanderer und Outdoor-Sportler schon lange träumen, das scheint in greifbare Nähe gerückt. Denn ein Forscherteam aus der Türkei hat nun ein Material entwickeln, das nahezu perfekt Wasser abweisend ist. Der Clou: Das Material basiert auf einem einfachen Kunststoff und lässt sich preisgünstig herstellen - was eine billige Massenproduktion in Aussicht stellt. Anregen ließen sich die Forscher durch Mutter Natur, genauer gesagt durch die wundersamen Fähigkeiten einer bestimmten Pflanze.

    Von Frank Grotelüschen

    Sie schwimmen auf dem See, sind groß wie Teller - und werden niemals nass: Die Blätter der Lotusblume sind wahre Meister im Wasser abweisen. Kaum fällt ein Regentropfen auf das Blatt, so perlt er auch schon wieder ab. Verantwortlich dafür ist ein Phänomen, das die Fachwelt folgerichtig als Lotuseffekt bezeichnet, ursprünglich entdeckt vom Bonner Biologen Wilhelm Barthlott. Levent Demirel, Chemiker an der Koç Universität in Istanbul, erläutert:

    Das Lotusblatt besitzt mikrometerfeine Hubbel. Das Lotusblatt hat also keine glatte Oberfläche, sondern eine raue. Zwar mag schon das Material, aus dem das Blatt besteht, kein Wasser. Das allein genügt aber noch nicht, um einen Regentropfen wirklich abperlen zu lassen. Dazu braucht es die winzigen Noppen auf dem Blatt. Durch sie nämlich berührt der Tropfen das Blatt nur an wenigen Punkten und zieht sich aufgrund der Oberflächenspannung zu einer Kugel zusammen.

    Mit anderen Worten: Auf einer gewöhnlichen Oberfläche flachen die Tropfen deutlich ab und bleiben dadurch haften. Auf dem Lotus dagegen bilden sich runde Wassertropfen, die prima über die raue Fläche des Blattes abrollen können - fast so, als tanzten sie auf einer heißen Herdplatte. Bei diesem Abrollen reißen sie zudem Schmutzteilchen mit sich. Die Folge: Nach jedem Regenguss präsentiert sich der Lotus so sauber und rein, als käme er direkt aus der Waschanlage. Der Experte spricht von Selbstreinigung. Eben diesen Lotuseffekt macht sich die Industrie bereits zunutze - zum Beispiel für eine Wasser abweisende Fassadenfarbe. Levent Demirel aber hat nun eine besonders simple lotusähnliche Mikrostruktur erfunden:

    Unsere Mikrostruktur sieht etwas anders aus als die des Lotus. Es sind keine kleinen Noppen, sondern winzige, mikrometerkleine Poren bzw. Krater. Genauso wie die Noppen beim Lotus minimieren auch unsere Krater den Kontakt zwischen den Tropfen und dem Material. Wir erreichen also durch eine andere Mikrostruktur den selben Effekt wie beim Lotusblatt.

    Der Clou: Die Forscher verwenden Polypropylen, einen einfachen Kunststoff, der als Verpackungsmaterial und für Folien Verwendung findet. Und auch die Methode, mit der sie ihre Wasser abweisende Mikrostruktur herstellen, ist ganz besonders simpel. Demirel:

    Im Prinzip löst man den Kunststoff, also das Polypropylen, in einem Lösemittel auf, und zwar bei einer Temperatur über 100 Grad Celsius. Das Ganze wird dann als dünner Film auf die Oberfläche gegossen, die man beschichten will. Verdunstet dann das Lösemittel bei Raumtemperatur, bilden sich die mikroskopisch kleinen Krater.

    Superhydrophob - so nennt der Fachmann die hocheffektive Anti-Wasser-Beschichtung. Und sie verspricht überaus interessante Anwendungen: Zum Beispiel könnten Antennen oder Schiffsrümpfe behandelt und auf diese Weise vorm Vereisen geschützt werden. Aufgetragen auf Fassaden, Fenster oder Autos soll die neue Schicht für eine wundersame Selbstreinigung sorgen. Und eingearbeitet in einen Textilstoff verspricht sie etwas, von dem Wanderfreunde und Camping-Fanatiker schon lange träumen - die absolut wasserdichte Jacke. Die Fähigkeiten ihres Vorbildes haben Demirel und Co. allerdings noch nicht erreicht.

    Wir können es noch nicht so gut wie die Natur. Das Lotusblatt ist definitiv besser. Auf ihm bilden sich noch deutlich kugeligere Tropfen als auf unserer Schicht. Außerdem müssen wir noch im Detail untersuchen, wie lange unsere Schicht hält. Ist sie mehrere Jahre lang Wasser abweisend oder nur für sechs Monate? Wir sind also noch ein gutes Stück davon entfernt, das Lotusblatt perfekt nachzuahmen.

    Ein weiteres Problem: Bislang ist es den Experten noch nicht gelungen, ihre Schicht durchsichtig zu machen. Deshalb eignet sie sich noch nicht für Fenster und Autoscheiben. Dennoch zeigt sich Demirel zuversichtlich, dass seine Erfindung schon bald die Marktreife schafft.

    . Die Oberflächenbeschichtung könnte in zwei oder drei Jahren möglich sein. Zuvor aber müssen wir unsere Experimente vom Labor in die industrielle Produktion übertragen, insbesondere um größere Flächen beschichten zu können. Andere Anwendungen, etwa für Wasser abweisende Textilien, dürften allerdings noch länger als drei Jahre auf sich warten lassen.