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Louise Bourgeois in Berlin
Ihrer Zeit weit voraus

Sie war ein Vorbild für Feministinnen: Die französisch-amerikanische Künstlerin Louise Bourgeois hat viele Frauen in der Kunst inspiriert. Der Schinkelpavillon in Berlin zeigt einige Arbeiten unter dem Motto "The Empty House". Im Mittelpunkt ihrer Werke: der weibliche Körper.

Von Marie Kaiser | 23.04.2018
    Das Kunstwerk "Peaux de Lapins, Chiffons Ferrailles à Vendre" von Louise Bourgeois steht vor einer Fensterfront im Schinkelpavillon Berlin
    Louise Bourgeois: Peaux de Lapins, Chiffons Ferrailles à Vendre (The Easton Foundation/Andrea Rossetti)
    Wenn Monica Bonvicini über Louise Bourgeois spricht, schwingt die Verehrung in jeder Silbe mit. Was macht ihn aus - den Zauber von Louise Bourgeois?
    "Das Intuitive. Das Private. Das Träumerische. Das Können. Sie hat eine sehr einzigartige Stimme und sich ihren Platz in der Kunstgeschichte hart erarbeitet und verdient."
    Bonvicinis Begeisterung überrascht nicht - arbeiteten sich beide Künstlerinnen doch an ähnlichen Themen ab: dem Schmerz, der Angst, den Obsessionen. Und das auch noch mit ähnlichen Materialien wie Ketten, Gittern oder Gips. Im Schinkelpavillon ist eine der bekannten "Cells" von Louise Bourgeois zu sehen - eine Zelle wie ein kleines Zimmer, aber vergittert wie ein Käfig. Monica Bonvicini ist fasziniert von diesen Zellen, die etwas Unheimliches ausstrahlen.
    "Ich sehe das wie eine begrenzte Idee oder sogar Alpträume. Ich finde das schön, dass es so eingegrenzt ist. Man kann durchsehen, aber nicht reingehen. Man versteht, worum es geht, aber man kann nicht teilhaben."
    Grusel, Wut und dicke Stahlketten
    Diese Arbeiten ziehen an, stoßen aber auch ab; lösen einen Grusel beim Betrachter aus. Wer durch das Gitter der Zelle schaut, erkennt dicke Stahlketten, die von der Decke hängen.
    "Gitter und Ketten müssen nicht gleich unbedingt mit Aggressivität verbunden werden. Es gibt auch Sachen, die vielleicht auch weich sind und die Wut hervorrufen können."
    Weich und schlapp baumeln neben den Ketten auch leere Säcke aus hellem Stoff. Diese Sackformen - sie sind so etwas wie das Leitmotiv der Berliner Ausstellung. Sie haben Louise Bourgeois in ihren letzten Lebensjahren nicht losgelassen, sagt Annina Herzer, eine der beiden Direktorinnen des Schinkel Pavillons: "Diese Sackform repräsentiert ganz unterschiedliche Sachen. Jetzt hier sehen wir diese hängenden Säcke, die an eine leere Gebärmutter oder eine leere Brust oder Hautfetzen erinnern. In den Werken in den unteren Räumen sieht man aber auch ausgestopfte Säcke, die viel mehr an volle Brüste erinnern. Es geht bei ihr immer um diese Gegensätze: den leeren Sack, das leere Haus, die Angst, verlassen zu werden. Die Angst und das Trauma. Diese Säcke repräsentieren aber auch Behälter für Erinnerungen oder unterschiedliche Arten von Schmerz."
    Die Kunstgeschichte ist voll von Sex
    Dieser Schmerz wird auch im unsanierten Keller des Schinkelpavillons erkundet, in dem die Lüftungsanlage wummert. Ein klaustrophobischer Raum, der unglaublich gut zu den Arbeiten von Louise Bourgeois passt. Vor blaugrünen Fliesen hängen Bilder mit rot dahingetuschten Brüsten oder Frauenkörpern ohne Arme - aus einem der wie mit Blut gemalten Leiber fällt ein Kind kopfüber in die Welt. Louise Bourgeois hat sich als Künstlerin offen und ungeniert mit dem weiblichen Körper beschäftigt und war ihrer Zeit damit weit voraus, findet Künstlerin Monica Bonvicini:
    "Die Kunstgeschichte ist voll von Sex. Von nackten Frauen, die da rumliegen und keine Ahnung was machen. Und deswegen finde ich das schon sehr wichtig, als Frau über die - wenn es sowas gibt - weibliche Sexualität zu arbeiten. Keine Angst zu haben, über Lust zu sprechen."
    In einer Vitrine ist eine kleine Variante der berühmten Bourgeois-Spinne zu sehen. Ihr Körper: ein bräunlicher Sack, gefüllt mit einer kleinen rosa Figur, als würde sie ein Baby austragen. Da ist sie wieder - die Maman, die Mutter.
    Monica Bonvicini: "Was ich sehr gerne mag an Louise Bourgeois ist der Humor. Das ist ein sehr kalter Gänsehaut-Humor. Und diese Kombination - die Härte, die sie hat und das Material, das sehr oft etwas Nostalgisches, etwas Träumerisches hat - diese Kombination finde ich sehr, sehr spannend."
    Trotz der Kraft und Eigenwilligkeit ihrer Kunst und obwohl sie gut vernetzt war in der Kunstszene: Der große Erfolg für Louise Bourgeois kam erst mit 80. "Besser spät als nie", sagte sie selbst. Aber Künstlerinnen wie Louise Bourgeois zeigen: Die Anerkennung der Kunstwelt fliegt Frauen leider nur selten zu. Sie müssen sie sich hart erkämpfen - und oft sehr alt werden, um sie noch zu erleben.