Auf den ersten Blick haben die sechs Miniaturen, die Fritz Kater in seinem Stück aneinanderreiht, kaum etwas miteinander zu tun. Monologe wechseln sich mit dramatischen Szenen ab, die Einzelteile könnten von Form und Inhalt her durchaus für sich alleine stehen. Der "Dragonfly" aus dem Stücktitel ist dabei ein klangvoller Name für eine schlichte Libelle.
In "Love you, Dragonfly – Sechs Versuche zur Sprache des Glaubens" kommt die Libelle allerdings nur einmal kurz vor. In einem der härtesten Monologe, kurz bevor das einsame 13-jährige Mädchen M von einem Alkoholiker vergewaltigt wird und in den See geht, wird die Libelle erwähnt, die einen Zug gequälter Tiere anführt. Letztlich steht sie wohl für die zufällig flirrenden Sehnsüchte und Sinngebungen, die Menschen in ihrem Leben so antreiben. Oder vielleicht auch für den auktorialen Dramatiker, der sich wie ein Insekt in Welt- und Zeitorte zoomt.
"M hasste die Schule. Vor allem hasste sie die Mitschüler. Vor allem aber hasste sie Musik. Jetzt aber rannte M fort von der Schule, fort in den lächerlichen Wald, der wie durch ein Wunder übrig geblieben war. Am Rande des Waldes, da wo sich die Straße vom Wald trennte, stand ein Esel. Vom Menschen gedemütigt, M ging zu ihm streichelte ihn. Zuhause saß Mutter krank im Bett. Ein stummer Baum krachte ihr ins Gesicht. Nur eine Motte sprang ins Gesicht ohne Farbe."
Der Schauspieler Sören Wunderlich in grünem Tennisrock und Schulmädchen-Kniestrümpfen erzählt die Episode vom vergewaltigten Mädchen in einem kindlich raunenden Märchenton und verleiht ihr eine schillernde Unheimlichkeit, die durch Mark und Bein geht.
Es regnet Buchstaben
An großen Worten ist nicht gespart in diesem Stück. Mit nichts weniger als "Liebe", "Familie", "Fortschritt", "Gott", "Freiheit" und "Leben" sind die sechs einzelnen Dramenkapitel überschrieben. Regisseurin Alice Buddeberg hat sie in einen halbrund abschüssigen Raum mit grauem Teppich und hohen Wänden versetzt, halb Wohnzimmer, halb Wartesaal.
Dort regnet es Buchstaben auf die fünf Darsteller. Vor jeder Szene basteln sie daraus die neue Szenenüberschrift, kleben sie an die Wand und thematisieren dabei auch noch, was sie sich so in den Proben gedacht haben. Ansonsten wechseln sie in jeder Episode Kleidung und Rollen, stehen oft frontal zum Zuschauer und sprechen auch die Regieanweisungen mit. Über einen Zeitraum von 80 Jahren erstrecken sich die Szenen und beginnen 1935 mit einem Wissenschaftler, der seine Frau für den Sozialismus verlässt.
"Würdest du etwas ganz Schreckliches für mich tun? – Kommt drauf an. – Z.B. eine Niere etwas? – Niere? Ja. Kein Problem. Hab ja zwei. – Und was, wovon du nur eins hast? - Penis? Nein. Zunge? – Ja! - Auf keinen Fall. Damit dann nur noch du redest? – Herz. – Oh. Bisschen kleiner, Schatz, bisschen kleiner. – Ich würds dir geben! – Würd nicht passen. Zu klein. Bräuchte schon zwei davon, gleichgeschaltet. - Du hast eine andere! – Gerad nicht."
Figuren auf der Sinnsuche
Der Mann wird schließlich in ein Arbeitslager gesteckt, verliert Haare und Beine und verwandelt sich in eine Statue aus Gold. Märchenhaftes und realitätsnahes verschwimmen unmerklich bei Fritz Kater. Ansonsten begegnet man noch: Einem NVA-Soldat, der 1985 von der Flucht in den Westen träumt. Dem amerikanischen Studenten Robert 2018, dessen größtes Glück es ist, "die richtige Salatsauce auszusuchen", Sex mit seiner Frau zu haben und neue Erfindungen auszudenken. Einem Kriegsdeserteur 1942, der verraten wird. Einem wohlsituierten westlichen Professor, der einen afrikanischen Flüchtling adoptiert und ihm 2014 im Gefängnis begegnet, da der ein Mörder geworden ist.
Wie radikal unterschiedlich doch das ist, was die Menschen treibt. Konkrete Problemlagen ändern sich – doch die Sinnsuche des Menschen bleibt ähnlich. Man könnte das beliebig nennen, oft klingt es auch gewollt und gespreizt, zudem erinnert es in Struktur und Aufbau stark an sein letztes Stück "Buch – 5 Ingredientes de la vida". Dennoch sind sprachlich durchgearbeitete Dramen wie dieses selten geworden auf deutschen Bühnen.
Wohltuend ist es, wie Fritz Kater dagegen mit Schönheit und Absurdität, Verfremdung und Verrätselung arbeitet. Immer wieder hört man dabei auch Aphorismen wie aus dem Poesiealbum. Und doch öffnen sich, in der klug zurückgenommenen Regie von Alice Buddeberg, da immer wieder poetische, von Melancholie durchdrungene Assoziationsräume.