Mittwoch, 17. April 2024

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Luchse in Deutschland
"Stark gefährdet durch die Zerschneidung der Landschaft"

Bis vor Kurzem seien Luchse in Mitteleuropa "weitgehend ausgestorben" gewesen, jetzt entwickle sich ihre Population langsam wieder, sagte Sandra Balzer vom Bundesamt für Naturschutz im Dlf. Allerdings seien die Tiere durch menschliche Eingriffe in die Landschaft stark gefährdet - etwa den Straßenverkehr.

Sandra Balzer im Gespräch mit Lennart Pyritz | 11.06.2019
Luchse im Sommer | Verwendung weltweit
Luchse brauchen störungsarme Bereiche, vor allem zur Aufzucht ihrer Jungen, sagt Sandra Balzer vom Bundesamt für Naturschutz (Picture alliance)
Lennart Pyritz: Schwarze Haarpinsel auf den Ohren, geflecktes gelbliches Fell und Backenbart: Luchse sind mit einer Körperlänge von bis zu 130 Zentimetern die größten wild in Europa lebenden Katzen. Lange waren sie aus Deutschland verschwunden. Inzwischen gibt es hierzulande wieder drei größere Vorkommen und ein paar umherstreifende Einzeltiere.
In der vergangenen Woche hat das Bundesamt für Naturschutz, kurz BfN, die neuesten Zahlen zur heimischen Population vorgelegt. Fazit: Der Bestand ist gewachsen, die Situation der Wildkatzen aber immer noch kritisch. Über die Lage der Luchse habe ich vor der Sendung mit Sandra Balzer gesprochen. Sie leitet das Fachgebiet Zoologischer Artenschutz am BfN.
Ich habe sie zuerst gefragt, wo wie viele Luchse in Deutschland leben?
Sandra Balzer: Im Monitoring-Jahr 2017, 2018 konnten wir in Deutschland 85 selbstständige Luchse und 43 Jungtiere nachweisen, die kommen vor allem im Harz und im Bayrischen Wald vor. Wir haben einen Mindestbestand von 135 Luchsen, aber insgesamt in zehn deutschen Bundesländern, weil es einzelne abwandernde Luchse gibt, aber es gibt auch Luchse, die einwandern, wie zum Beispiel aus der Schweiz nach Baden-Württemberg, da sind aber meistens dann Männchen unterwegs.
Früher "weitgehend ausgestorben" in Mitteleuropa
Lennart Pyritz: Da haben Sie jetzt meine nächste Frage schon zum Stück vorweggenommen: Wurden die meisten dieser Tiere an den Orten, wo man sie heute findet, gezielt ausgewildert, oder erobern die Luchse inzwischen auch selbstständig neue Regionen und bilden dort stabile Vorkommen?
Balzer: Ehemals war der Luchs über weite Teile Europas verbreitet, aber in den 50er- und 70er-Jahren gab es nur noch kleine Reliktvorkommen und keine mehr in Mitteleuropa, er war hier also weitgehend ausgestorben. Deswegen stützen sich die heutigen Vorkommen vor allem auf verschiedene Wiederansiedlungsvorhaben, zum Beispiel dann in Deutschland das Wiederansiedlungsvorhaben im Harz, das 2000 begonnen wurde, und ganz aktuell haben wir ja ein Wiederansiedlungsprojekt in Rheinland-Pfalz, seit 2016 läuft das, und hier haben wir auch dieses Jahr die ersten zwei Jungtiere nachweisen können.
HANDOUT - 28.02.2019, Thüringen, ---: Ein Luchs ist auf einer Aufnahme einer Fotofalle im Südharz zu sehen. Im Thüringer Südharz seien in den vergangenen Jahren wiederholt Luchse gesichtet worden. Unklar sei aber bisher, wie viele der großen Katzen dort leben. Foto: BUND/Universität Göttingen//obs/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits |
Luchse sind schwer zu beobachten - meist lässt sich ihre Anwesenheit nur indirekt mit Fotofallen oder DNA-Spuren nachweisen (Universität Göttingen / BUND / obs / dpa)
Pyritz: Luchse sind ja relativ schwer zu beobachten. Wie kommt man trotzdem auf so genaue Daten zur Populationsgröße, wie das BfN sie jetzt vorgelegt hat?
Balzer: Die Luchse sind ja vor allem in der Dämmerung und nachts unterwegs, das heißt, sie sind wirklich schwer nachzuweisen, das erfolgt mittels Fotofallen oder aber auch durch genetische Nachweise, durch Losungen, die eingesammelt werden, Spuren an Rissen, also an Wildtierrissen, wo dann auch ein genetischer Nachweis dann erfolgen kann. Letztlich muss man schon wissen, wo man suchen muss, weil das ist die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Wir haben so wenig Luchse in Deutschland zurzeit, dass man das schon sehr genau verorten muss, wo man dann auch die Fotofallen zum Beispiel aufstellt.
Stark gefährdet "durch Zerschneidung der Landschaft"
Pyritz: Im vergangenen Jahr wurden etwa 135 Luchse in Deutschland erfasst, haben Sie gesagt. Ein Jahr zuvor waren es nur 114. Bedeutet das, dass es den Tieren gut geht hierzulande?
Balzer: Die Luchse entwickeln sich langsam, aber stetig, vor allem aus dem Harz heraus wird es ein größeres Vorkommen, wobei sie stark gefährdet sind durch die Zerschneidung der Landschaft. Hier haben wir vor allem hohe Mortalitätsraten im Straßenverkehr. Letztlich entwickelt sich die Population auch in Abhängigkeit davon, wie viele Weibchen da sind und wie viele zur Reproduktion kommen. Und da haben wir tatsächlich keine große Verbesserungen in Deutschland jetzt in den letzten zwei Jahren beobachten können. Das muss man über einen längeren Zeitraum beobachten und einsortieren. Und der Erhaltungszustand ist weiterhin schlecht.
Pyritz: Welche Maßnahmen sollten aus Ihrer Sicht denn ergriffen werden, um diese Bedrohungsfaktoren für die Tiere zu schmälern?
Balzer: Die Luchse brauchen vor allem störungsarme Bereiche, wo sie die Jungtiere aufziehen können, vor allem an den Wurfplätzen sind sie besonders störungsempfindlich. Diese Phase der Aufzucht liegt so zwischen Mitte Mai und Ende Juli, also hier sollte man auf keinen Fall in den Wäldern Maßnahmen vornehmen, wo man die Jungtiere stören könnte. Und das andere ist natürlich, dass man die Zerschneidung der Landschaft auch zurücknehmen muss. Hier gibt es ja auch bundesweite Programme zur Wiedervernetzung, also zum Beispiel Grünbrücken, die errichtet werden bei größeren Autobahnprojekten. Das sind wichtige Maßnahmen, die da ergriffen werden müssen.
"Eine gewisse Polizeifunktion im Wald"
Pyritz: Spielen die Luchse schon eine wesentliche oder wichtige Rolle in den Ökosystemen, in denen sie leben, oder hätte es für die Wälder keine großen Folgen, wenn die Populationen dann letztendlich doch wieder zusammenbrechen würden?
Balzer: Wir haben eine sehr, sehr hohe Population an Beutetieren. Beutetiere für die Luchse sind ja vor allem die Rehe. Hier machen sich die Luchse sicher heute in ihrem geringen Bestand noch nicht bemerkbar. Aber kleinräumig gesehen, dort, wo der Luchs nun schon länger vorkommt, wirkt sich das natürlich schon aus, weil zum Beispiel der Luchs ja ganz gezielt auch seine Beute sucht und erlegt, und hier hat er eine gewisse, sage ich mal, Polizeifunktion im Wald auf den Wildtierbestand, was sich dann auch auswirkt, aber nicht so sehr in den Zahlen, sondern mehr in der Struktur, also dass kranke Tiere vor allem erlegt werden.
Pyritz: Über den Umgang mit dem Wolf wird in der Öffentlichkeit ja heftig diskutiert, um den Luchs ist es da vergleichsweise still. Liegt das daran, dass Begegnungen einfach seltener sind, die Populationsgrößen geringer und Luchse keine potenzielle Gefahr für Menschen darstellen?
Balzer: Da spielt sicher einiges zusammen. Zum einen ist der Luchs, wenn Sie ihn sich anschauen können, ein sehr sympathisches Tier mit seinen Pinselohren. Er wird uns Menschen nicht gefährlich und ist da auch nicht mit Märchen falsch oder schlecht beleumundet, wie wir das beim Wolf eben haben in der Tradition der Grimmschen Märchen. Und das spielt sicher eine große Rolle. Das andere ist, dass wir ja im Moment auch kaum Berichte haben von nutztierreißenden Luchsen, wie wir das natürlich beim Wolf kennen, dort, wo die Nutztiere nicht gut geschützt sind. Und hier überwiegen vor allem dann als Beutetiere eben die Rehe beim Luchs.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.