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Ludwig Ammann: Cola und Koran. Das Wagnis einer islamischen Renaissance.

Ludwig Ammann überbringt gute Nachrichten. Der Islamwissenschaftler lässt in seinem schmalen Band den Blick schweifen: über die gegenwärtigen geistigen Strömungen des Islam und über die Vielfalt muslimischer Lebenspraxis vor allem in Europa und in Deutschland. Das mörderische Potential eines militanten Fundamentalismus blendet er in seiner Betrachtung nicht aus. Aber er wägt es ab mit gegenläufigen Tendenzen. Und nährt auf diese Weise die Hoffnung, im Prozess der islamischen Zivilisation könnten sich Religion und Moderne auf friedfertige Weise versöhnen.

Von Jasper Barenberg |
    Das ‚islamische Erwachen’ (…), die Renaissance des Glaubens und das Wiederaufleben islamischer Diskurse ist keine unweigerlich antimoderne Erscheinung, schon gar nicht unter jungen Muslimen; auch kein ‚Traum von der halben Moderne’, der sich mit Handys und Handgranaten der politischen Kultur der Moderne strikt verweigert (…) Moderate Islamisten und selbstbewusste Muslime träumen von etwas anderem: der eigenen, islamischen, islamisierten Moderne, die ihrer Herkunft eingedenk beides schöpferisch verbindet: Alt und Neu, Zeitgeist und religiöse Orientierung.

    Was damit gemeint ist, illustriert Ammann etwa am Beispiel von Mecca-Cola, der Erfindung eines in Tunesien geborenen und in Paris lebenden Journalisten. Der rasche Aufstieg des Getränks zu einem Markenartikel, der heute mit großem Erfolg in mehr als 30 Ländern verkauft wird – in den Augen Ammans gibt es kein treffenderes Symbol für das Streben nach Selbstbehauptung und kultureller Unabhängigkeit im Einklang mit westlichen Werten.

    Mecca-Cola steht für einen modernen, engagierten und zugleich frommen Islam. Der Glaube verträgt sich mit Cola, das Zuckerwasser ist Signum einer auch für Muslime selbstverständlichen Modernität.

    Zumal der Kauf von Mecca-Cola mehr transportiere als Kritik an der Nahost-Politik der Vereinigten Staaten, mehr auch als die Ablehnung der ökonomischen, kulturellen und politischen Übermacht der USA. "Trink nicht mehr sinnlos, trink engagiert!" heißt es nicht umsonst auf dem Etikett: 20 Prozent des Gewinns fließen in karitative Projekte, unter anderem für palästinensische Kinder – für Ammann ein Appell an das religiöse Gebot des Almosengebens, allerdings im Gewand einer freiwilligen, individuellen Selbstverpflichtung.

    Man eignet sich einen exemplarischen Gegenstand der Moderne an und wandelt ihn nach den eigenen Bedürfnissen ab – eine Islamisierung, die über Kosmetik weit hinausgeht.

    Mit Beispielen wie diesem wendet sich Ammann entschieden dagegen, in der Diskussion um Wesen und Zukunft des Islam den Blick zu verengen auf die Anhänger des radikalen, des gewalttätigen Islamismus. Statt die weltweit 1,2 Milliarden Muslime unterschiedslos in Sippenhaft zu nehmen für die Verbrechen von Terroristen, will er vielmehr den Blick schärfen für die Schattierungen einer gemäßigten, weltweit wirksamen religiösen Erneuerungsbewegung. Zu ihr zählt er etwa jene betont politikferne Missionsbewegung, die in Indien ihren Ausgang nahm und heute, gerade weil sie den Akzent auf persönliche Andacht und Sittlichkeit legt, den Islam ungewollt zur Privatsache mache und auf diese Weise der Säkularisierung den Weg bereite. In gleicher Weise interpretiert Ammann auch das Kopftuch als Ausdruck einer gleichermaßen emanzipatorischen wie individuellen Sinnstiftung.

    Wenn fromme Musliminnen aus freien Stücken sich fürs Kopftuchtragen entscheiden, verkehren sie das Schandmal herausfordernd ins stolze Erkennungszeichen ihrer prononciert islamischen Identität. Das macht aus dem westlichen ‚Muslim is ugly’ ein Aufsehen erregendes ‚Muslim is beautiful’ – ein klassischer Fall von Identitätspolitik.

    Ammann legt mit seinen Beobachtungen den Schluss nahe, der privatisierte, zum persönlichen Lebensstil gewandelte Islam werde am Ende auch das politisch wirksame Bekenntnis zu Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nach sich ziehen. Darin liegt der Reiz seiner Studie. Doch die Argumente für eine solche Zuversicht vermögen am Ende nicht zu überzeugen. Das Thema Frauen und Kopftuch ist da nur ein Beispiel.

    Sie kreuzen Islam und Moderne, um ihren eigenen Weg zu machen. In Bayern wird die landestypische Variante dieser Politik mit dem Slogan ‚Laptop und Lederhose’ propagiert. Das islamische Pendant dazu lautet offenbar: "Compi und Kopftuch".

    Plakative aber wenig gehaltvolle Formulierungen wie diese wecken Zweifel, ob sich hinter der kalkulierten Versöhnung eines moderaten Islam mit der modernen Gesellschaft mehr verbirgt, als der Wunsch eines Autors, dem Sympathie für sein Studienobjekt die Feder lenkt. Das zeigt sich auch, wenn es um die Frage eines möglichen Beitritts der Türkei in die Europäische Union geht. Ammann fordert sie ein, lobt das europäische Selbstverständnis der türkischen Mehrheit und die Fortschritte in der Demokratisierung des Landes. Die Begründung für die verlangte Aufnahme fällt dagegen dürftig aus, geradezu skurril.

    Die Türken wählten Recep Tayyip Erdogan, der als Bürgermeister Istanbuls seine Staatskunst unter Beweis gestellt hatte und sich mit einem handfesten Programm zur Wahl stellte. Die Kalifornier wählten Arnold Schwarzenegger, einen reinen ‚front man’ ohne jede politische Erfahrung, der vor den Wahlen seine Absichten nicht preisgab. Mit anderen Worten: Sie wählten den Darsteller des ‚Terminator’, des Weltenretters und Erlösers. Die Türken sind, so viel ist gewiss, politisch reifer als die Kalifornier, dem alten Europa beizutreten.

    Ammann mag die Konvergenz von Koran und Cola noch so leidenschaftlich verfechten. Auf derart tönerne Füße gestellt, mag man nicht recht daran glauben, der evolutionäre Sprung könnte in absehbarer Zeit gelingen. Wie prekär die Lage selbst mitten in Europa ist, räumt auch Ammann an anderer Stelle ein, wenn er etwa die Reserve des Zentralrats der Muslime gegenüber dem säkularen Rechtsstaat beklagt. Oder wenn er einen europäischen Islam einfordert, der bislang vielleicht in Vortragssälen, aber noch lange nicht in der gesellschaftlichen Wirklichkeit angekommen ist. Eingangs betont Ludwig Ammann selbst, dass der islamischen Renaissance nicht nur Chancen, sondern auch Gefahren innewohnen. Die Antwort auf die entscheidende Frage aber, warum er die Zukunft des Islam dennoch in einem derart hellen Licht zeichnet, die bleibt er dem Leser schuldig.