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Ludwig Guttmann
Späte Ehrung für den Vater der Paralympics

Der deutsch-jüdische Neurologe Ludwig Guttmann musste vor den Nazis 1939 nach England fliehen. Dort revolutionierte er die Behandlung von Querschnittsgelähmten und legte das Fundament für Sport von behinderten Menschen. Guttmann ist der Gründervater der Paralympics. Heute Abend wird in Berlin seine Aufnahme in die Hall of Fame des deutschen Sports besiegelt.

Von Ronny Blaschke | 17.05.2014
    Die undatierte Aufnahme zeigt den jüdischen Arzt Ludwig Guttmann (vorne rechts).
    Ludwig Guttmann gilt als Vordenker der Paralympics. (dpa/Buckinghamshire Healthcare Trust)
    Der deutsch-jüdische Neurologe Ludwig Guttmann musste vor den Nazis 1939 nach England fliehen. Dort revolutionierte er die Behandlung von Querschnittsgelähmten und legte das Fundament für Sport von behinderten Menschen. Guttmann ist der Gründervater der Paralympics. Heute Abend wird in Berlin seine Aufnahme in die Hall of Fame des deutschen Sports besiegelt.
    Als die Nazis 1938 ihre „Reichskristallnacht" lostraten und sich viele Deutsche in ihren Wohnungen verschanzten, da öffnete Ludwig Guttmann seine Türen. Der Neurologe wies im Jüdischen Krankenhaus von Breslau seine Mitarbeiter an, niemanden wegzuschicken. Er führte die Gestapo von Zimmer zu Zimmer, für jeden Patienten hatte er eine Krankengeschichte parat, so rettete er vermutlich sechzig Juden das Leben. Eva Löffler, Guttmanns Tochter, erinnert sich.
    „Mein Vater hat immer gesagt, dass nicht alle Deutschen schlecht waren, obwohl die Nazis fast seine ganze Familie töteten. Alle starben in Auschwitz. Aber er reiste nach dem Krieg immer wieder nach Deutschland."
    Eva Löffler lebt in Suffolk, an der Ostküste Großbritanniens. Sie war sechs Jahre alt, als sie mit ihrer Familie 1939 nach England fliehen musste. Dort erhielt Ludwig Guttmann von der britischen Regierung den Auftrag, die erste Spezialklinik für Wirbelsäulengeschädigte aufzubauen, die bis dahin kaum eine Überlebenschance hatten.
    „Es waren ehemalige britische Soldaten, die ins Krankenhaus kamen. Sie wurden von Deutschen angeschossen, und nun sollten sie von einem deutschen Arzt behandelt werden. Erst nannten sie meinen Vater herablassend The Kraut, doch schon nach wenigen Wochen nannten sie ihn Poppa, sie haben ihn geliebt."
    Im Herbst 1944 stieß Ludwig Guttmann auf Patienten, die in ihren Rollstühlen übers Parkett fegten und mit Spazierstöcken auf eine Schreibe schlugen. Guttmann spielte mit, so entstand ein Spiel: Rollstuhl-Polo. Wochen später trieben viele Patienten Sport: die Bewegung stärkte ihr Immunsystem, förderte ihr Selbstvertrauen. 1948 organisierte Guttmann einen Wettkampf im Bogenschießen für 16 Kriegsversehrte. Die Spiele von Stoke Mandeville begannen am selben Tag wie die Olympischen Spiele in London. Es war das Fundament für die Paralympics, die seit 1960 alle vier Jahre stattfinden. Bei der Premiere 1948 half Eva Löffler als junges Mädchen bei der Organisation. 2012, als die Paralympics zurückkehrten, war sie in London Bürgermeisterin des Athletendorfes.
    „Behinderte Menschen werden nun mehr akzeptiert als vor den Spielen."
    Eva Löffler ist 81 Jahre alt. Sie war erst einmal in Berlin, als Touristin. Nun kehrt sie mit ihrer Tochter zurück, als Ehrengast für die Aufnahme ihres Vaters in die Hall of Fame des deutschen Sports. Schauplatz der Zeremonie: das Hotel Adlon. Wenige Gehminuten entfernt vom Mahnmal für die ermordeten Juden Europas.