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Lückenhaftes Wissen um die Stammzellforschung

Forschungspolitik. – Am Montag stellte in Brüssel die "Europäische Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen" eine zweijährige Studie zur "Embryonenforschung in einem Pluralistischen Europa" vor. Neben den reinen biomedizinischen Aspekten untersuchten die Experten aus Polen, Großbritannien und Deutschland überdies auch nationale Positionen, die sich aus der Rechtstradition und moralischen Hintergründen der einzelnen europäischen Länder ergeben. Weder Bürger noch Experten blieben dabei außen vor.

    "Die Studie reproduziert Dinge, die teilweise durchaus bereits bekannt sind, die aber nicht oft genug wiederholt werden können. Dazu zählt die einhellige Meinung unter Naturwissenschaftlern, dass man mit adulten Stammzellen alleine nicht das volle Potenzial der Stammzellforschung wird ausloten können. Die Vorstellung, dass adulte Stammzellen beliebig reprogrammierbar sind und so beispielsweise aus einer Blutstammzelle Nervenstammzellen erzeugt werden, mit denen dann klinische Anwendungen entwickelt werden können, ist nach momentanem Wissen falsch", betont Felix Thiele von der Dependance der Europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Nur unter Verwendung auch embryonaler Stammzellen - so der Stand der Erkenntnis - könnten alle Möglichkeiten der neuen Technologie überhaupt ausgelotet werden.

    Ebenfalls abgelehnt werde von Wissenschaftlern die Idee eines Stichtages, zu dem eine bestimmte Zahl embryonaler Stammzelllinien bereit stehe, die dann für alle Forschungszwecke ausreichen müsse. Denn immer wieder würden auch danach neue Stammzellreihen mit neuen, einzigartigen Qualitäten entstehen und so andere Chancen eröffnen als die Generationen von Stammzellen vor einer Stichtagsregelung. Doch nur mit umfassendem Zugriff auch auf neue Stammzellreihen könnte auch ein größtmöglicher Nutzen aus der Stammzellforschung gezogen werden. Thiele sieht die Studie einerseits als fundierte Entscheidungshilfe für den aktuellen politischen Entscheidungsprozess über den Umgang mit der Stammzellforschung. Andererseits könne das Papier aber auch als Orientierungswegweiser für Wissenschaftler vieler unterschiedlicher Disziplinen dienen. "Leider sehen wir im Forschungsalltag immer noch, dass eine Verständigung über die Disziplinengrenzen hinweg sehr schwierig ist. Aber heute ist die Forschungsgemeinschaft insgesamt mit Fragen konfrontiert, die sie aus einem Fachgebiet alleine heraus nicht lösen kann. Hier soll unsere Studie als Argumentationshilfe unterstützen."

    Bei den Bewohnern Europas stießen die Initiatoren der Studie erwartungsgemäß auf vielfältige Meinungen und Wertvorstellungen hinsichtlich der Stammzellforschung nicht nur innerhalb eines Landes selbst, sondern auch über die Landesgrenzen hinweg. Dazu Felix Thiele: "Auffallend dabei ist, dass das Wissen über Möglichkeiten und Ergebnisse der Forschung sehr gering ausgeprägt ist. Viele Europäer bilden ihre Vorstellung, ob mit Embryonen geforscht werden sollte oder nicht, auf der Basis von Halbwissen und Meinungen. Doch kaum jemand weiß genug über den heutigen Stand der Forschung. Hier muss weiter Aufklärung betrieben werden, um den Menschen überhaupt eine Grundlage für eine rationale Entscheidung zu liefern." Denn die Untersuchung belege auch, dass individuelle Meinungen oftmals nicht nur in weitgehender Unkenntnis der Stammzellforschung, sondern überdies unter dem Eindruck von Befürchtungen und Ängsten gebildet werde. "Auch innerhalb der Forschergemeinde besteht eine Vielfalt an Einschätzungen, wie weit man in der Embryonenforschung gehen solle. Dabei beziehen sich die Experten jedoch meist eben auf fachliche Untersuchungen und Studien."

    [Quelle: Gerd Pasch]