Dienstag, 07. Mai 2024

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Lüders: Russland hält nach wie vor an Assad fest

Michael Lüders sagt, dass Russland weiterhin am Status quo in Syrien festhalten wolle, da ein Sturz von al-Assad ein Nachteil für russische Interessen sei. Neben Russland und China müssten auch andere Länder wie die Golfstaaten in die Pflicht genommen werden, die "eigenes taktisches Kalkül" an diesem Konflikt hätten, so Lüders weiter.

Michael Lüders im Gespräch mit Peter Kapern | 10.04.2012
    Peter Kapern: Unser Kollege Ulrich Leidholdt ist um seine Aufgabe wirklich nicht zu beneiden. Nach Syrien einreisen darf er nicht und deshalb versucht er, vom benachbarten Jordanien aus zu ergründen, was im Reiche Baschar al-Assads vor sich geht. Wie schwierig das ist, das wird einmal mehr deutlich angesichts der Waffenruhe, die eigentlich heute Früh in Syrien einsetzen sollte. Die Lage ist, so Ulrich Leidholdt, mit der gebotenen Vorsicht des Korrespondenten überaus unübersichtlich.

    Der syrische Außenminister besucht heute Moskau und dort hat er getan, was zu erwarten war: Er beteuerte, seine Regierung erfülle alle Anforderungen des sogenannten Annan-Plans.
    Also es bleibt dabei: schwer zu beurteilen, was in diesen Stunden noch vom sogenannten Annan-Plan übrig ist. Der russische Außenminister Lawrow will also Beweise für den Abzug der syrischen Truppen aus Städten und Dörfern gesehen haben, auch das beteuerte er heute in Moskau, während der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz zur aktuellen Lage in Syrien (MP3-Audio) Ruprecht Polenz von der CDU, der Waffenruhe schon heute Früh keine echte Chance mehr geben wollte.

    O-Ton Ruprecht Polenz: "Ich glaube, Assad hat vor allen Dingen nicht verstanden oder nicht verstehen wollen, dass zunächst er die Gewalt einstellen muss, seine Truppen anweisen muss, mit der Gewalt aufzuhören, ehe ein weiterer Prozess in Gang gesetzt werden kann, und es sieht nicht danach aus, als würde er heute im Laufe des Tages dann doch noch diesen Befehl geben."

    Kapern: Ruprecht Polenz, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, heute Früh im Deutschlandfunk. - Und bei uns am Telefon jetzt der Nahost-Experte Michael Lüders. Guten Tag, Herr Lüders.

    Michael Lüders: Schönen guten Tag, Herr Kapern.

    Kapern: Wenn Lawrow, der russische Außenminister, tatsächlich recht hätte und Baschar al-Assad tatsächlich seine Truppen zurückrufen würde, wären Sie dann überrascht?

    Lüders: Das wäre in der Tat erstaunlich. Zumindest wird er sie nicht vollständig abziehen aus den umkämpften Städten in Syrien, bestenteils ein Teilrückzug kommt aus seiner Sicht infrage. Das Problem ist, dass dieser Konflikt in Syrien, der angefangen hat als eine Volkserhebung mit Blick auf die völlig despotischen Allüren des Machthabers, mittlerweile überlagert wird von ausländischer Intervention. Vor allem Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate finanzieren und bewaffnen die sogenannte Freie Syrische Armee. Es ist also nicht mehr nur eine Oppositionsbewegung friedlicher Demonstranten zu verzeichnen, die sich gegen das Regime erhebt, sondern darüber hinaus haben wir es mit einer gut aufgestellten Miliz und Armee zu tun, die die Zentralregierung in Damaskus zu bekämpfen versucht, und das macht es so schwer, jetzt Ruhe in diesen schwierigen Friedensprozess zu bringen.

    Kapern: Bleiben wir noch eine Sekunde bei Moskau. Es hatte ja in den vergangenen Wochen immer wieder Hoffnungen darauf gegeben, dass Moskau vielleicht doch ein wenig von Baschar al-Assad, von Damaskus würde abrücken können. Nun haben wir gerade beide gemeinsam den Beitrag von Christina Nagel aus Moskau gehört. Haben Sie dort Anzeichen für einen solchen russischen Positionswechsel erkennen können?

    Lüders: Nein, offen gestanden nicht. Ich denke, dass die russische Führung nach wie vor fest zu Baschar al-Assad steht - nicht aus Zuneigung zu diesem Mann, sondern aus der nüchternen Überlegung heraus, dass es für russische Interessen von Nachteil wäre, wenn Baschar al-Assad sein Amt aufgeben würde oder das Regime insgesamt gestürzt würde. Deswegen will Moskau an den Verhältnissen, an dem Status quo in Syrien festhalten. Man versucht natürlich, die Lage zu befrieden, und das Einlenken Russlands und Chinas hat ja auch dazu geführt, dass der Friedensplan von Kofi Annan überhaupt eine Chance hatte, anerkannt zu werden. Da gab es also Bewegung in Moskau und in Peking, aber das reicht natürlich nicht. Es wird weiter hinter den Kulissen sehr hoch gepokert werden, zentimeterweise wird sich die Regierung in Damaskus bewegen, aber immer nur so viel, dass es zu einer Befriedung der Lage kommt, ohne dass das eigene Machtmonopol ernsthaft infrage gestellt wird.

    Kapern: Nun hat ja der russische Außenminister Lawrow eine UNO-Beobachtermission angeboten, sogar unter russischer Beteiligung. Was ist davon zu halten? Ist das ein Angebot, auf das der Westen sofort eingehen muss?

    Lüders: Ich halte das für eine gute Idee. Es wäre sinnvoll, wenn die Vereinten Nationen in Syrien aktiv würden, denn dann könnten sie zwischen den Konfliktparteien vermitteln oder zumindest die Kombattanten auseinanderhalten, sofern sie denn das Mandat hat, auch Gewalt einzusetzen. Aber eine solche Initiative kann nur dann gelingen, wenn die internationale Staatengemeinschaft dahinter steht, denn sonst würde jeder Einsatz in Syrien sehr gefährlich sein. Die Türken wissen das am allerbesten, sie sind sehr unzufrieden über das, was im Südosten ihres Gebietes an der Grenze zu Syrien geschieht, aber sie hüten sich davor, militärisch in den Norden Syriens einzurücken, aus Sorge, in endlose Kämpfe verstrickt zu werden. Das wollen sie vermeiden, dieses Risiko. Also eine Friedensmission wäre hilfreich, aber sie muss dann wirklich von der Internationalen Staatengemeinschaft mit einem Mandat der Vereinten Nationen ausgestattet werden, und bis das geschieht, müssen sich Russland und auch China noch erheblich bewegen.

    Kapern: Was für eine Art Mandat müsste das denn sein, beispielsweise auch ein Mandat, einen solchen Waffenstillstand robust durchzusetzen?

    Lüders: Auf jeden Fall und darüber hinaus müssen vor allen Dingen auch diejenigen Staaten, die die Freie Syrische Armee massiv bewaffnen und unterstützen, in die Pflicht genommen werden, diese Unterstützung zu überdenken. Das betrifft insbesondere die Golf-Staaten, die ja eigenes taktisches Kalkül haben. Syrien ist der engste Verbündete des Iran in der Region und die Golf-Staaten, die mehrheitlich Sunniten sind und eben keine Schiiten wie im Iran, wollen gerne dieses Regime von Baschar al-Assad gestürzt sehen, um anschließend eine Regierung der Muslimbruderschaft dort einzusetzen. Die würde die guten Beziehungen zu Teheran beenden und sich in Richtung Saudi-Arabien und Golfstaaten hinzubewegen. Das ist das Kalkül und die Tragik dieser Situation ist, dass im Grunde genommen die Menschen in Syrien den Preis dafür bezahlen, ihr Aufstand wird zerrieben zwischen geopolitischen Ränkespielen und Machenschaften verschiedener Akteure, und diese Internationalisierung des Konfliktes, die wir jetzt zu sehen beginnen in Syrien, die wird sich noch fortsetzen in den nächsten Monaten und Jahren.

    Kapern: Noch mal kurz nachgefragt. Wir reden über eine UNO-Mission, deren bewaffnete Truppen befugt sein sollen, Waffengewalt sowohl gegen die syrische Armee als auch gegen die Aufständischen einzusetzen. Welche Länder sollen denn ihre Soldaten für so eine Mission bereitstellen?

    Lüders: Das ginge eigentlich nur, wenn die Arabische Liga bereit wäre, dieses zu tun, die Russen, die Chinesen, die Amerikaner und auch die Europäer.

    Kapern: Auch die Deutschen?

    Lüders: Und auch die Deutschen. Und damit ist eigentlich schon das Problem benannt, denn ein solches Panoptikum, wenn ich so sagen darf, wird man niemals zusammenbekommen. Das wäre kaum vorstellbar. Es wäre zumindest eine Novität in der jüngeren Geschichte, wenn die genannten Nationen hier zusammenkämen, denn die Interessen der jeweiligen Staaten sind zu unterschiedlich. Dieser Konflikt in Syrien wird noch lange weitergehen und er wird auch nicht einfach zu lösen sein - vor allem dann nicht, wenn es zu einem Waffengang gegen den Iran kommen sollte. In dem Fall würde die gesamte Region geopolitisch noch einmal neu aufgemischt und das hätte natürlich gravierende Konsequenzen auch für Syrien und den Libanon, denn ein Angriff auf den Iran würde sofort Reaktionen im Libanon, in Syrien zufolge haben, ein Angriff der Hisbollah auf Tel Aviv beispielsweise, und dann würde auch diese Region im unmittelbaren Nahen Osten sofort erfasst sein von einem solchen Konflikt.

    Kapern: Michael Lüders, der Nahost-Experte, heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Lüders, danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.