Burkhard Müller-Ullrich: Wir wollen aber mit etwas anderem beginnen, und zwar mit einer Reflexion über den Krieg, denn offensichtlich weiß ja jeder Politiker, was er zu fordern hat und wie das zu laufen hat. In Deutschland herrscht ein intellektuell unglaublich fahrlässiges Kriegsdeutungs- und Bewertungsgeschnatter. Woher das kommt, wollen wir jetzt mit dem Politikwissenschaftler und Sozialphilosophen Herfried Münkler besprechen. Herr Münkler, seitdem es Menschen gibt und erst recht, seitdem es Staaten gibt, gilt Krieg als eine Selbstverständlichkeit. In der griechischen Antike nannte man ihn sogar den Vater aller Dinge. Inzwischen hat sich das völlig umgekehrt. Eine Selbstverständlichkeit ist heute, dass kein Krieg sein darf. Jedenfalls gilt das bei uns. Die Amerikaner – Präsident Obama hat es gerade mit seiner Nobelpreis-Rede gezeigt – betrachten das ein bisschen anders. Woher kommt dieser Unterschied und wo führt er hin?
Herfried Münkler: Also, man kann ja sagen, dass eine Nation, die zwei Kriege, die sie auch noch – jedenfalls, was den zweiten anbetrifft – ungerecht vom Zaum gebrochen hat, hinter sich hat, dass die den Krieg anders denkt als Länder und Nationen, die eigentlich sich in einer Tradition des gerechten Krieges, der Bekämpfung der Übel in der Welt sehen, und es macht sicherlich einen Unterschied. Andererseits ist aber natürlich die Theorie des gerechten Krieges etwas, was sehr weit in die Antike zurückreichte, bei Aristoteles und bei Cicero zu finden auch als eine Form nicht nur der Rechtfertigung von Krieg, sondern auch der Selbstlimitierung von Kriegsbereitschaft, also dass man sich in seinem Handeln an gerechte Gründe, aufrechte Absichten, Verhältnismäßigkeit und derlei mehr bindet. Man könnte eigentlich fast sagen, die Konzeptionen des gerechten Krieges sind eine realistischere Alternative zur Vorstellung des Verschwindens des Krieges als solche.
Müller-Ullrich: Würden Sie sagen, dass darin die große Schwierigkeit zum Beispiel des deutschen Verteidigungsministers besteht, diesem Zwiespalt zwischen Selbstlimitierung, wie Sie eben sagten, und der Perspektive der Gerechtigkeit?
Münkler: Ganz offenbar besteht diese Schwierigkeit schon von Anfang an. Also die Verteidigungsminister und alle diejenigen, die das zu begründen haben, die haben es nicht leicht gehabt, und schließlich wurde auf diese Weise der Afghanistan-Einsatz normativ überfrachtet in der Weise, dass es dann darum ging, Demokratie in diesem Lande herzustellen und das unter Bedingungen, dass man eigentlich keine hinreichenden Kräfte bereit machen konnte. Es wäre sicherlich vernünftiger gewesen zu sagen, wir wollen dort Gruppierungen bekämpfen, die uns respektive unsere Verbündeten attackiert haben, und wenn wir diese Gruppierungen niedergekämpft haben, jedenfalls so weit gebracht haben, dass sie nicht mehr angriffsfähig sind, dann verschwinden wir aus diesem Lande auch wieder und überlassen das seiner Bevölkerung. Und das kann sein, dass dort Gepflogenheiten und Normen herrschen, die mit unseren Vorstellungen nicht übereinstimmen. Weil er sich das aber bei keinem Politiker sich das zugetraut hat, so zu argumentieren, wurde gewissermaßen dieser Einsatz normativ überlastet und steht deswegen an diesen Vorstellungen gemessen jetzt, na ja, nicht vor dem Scheitern, sondern ist eigentlich schon gescheitert.
Müller-Ullrich: Es fällt uns ja offensichtlich schwer, den Krieg zu denken, also einfach nüchtern, kalt, strategisch, taktisch, militärisch eben über den Krieg zu sprechen. Dazu würde dann auch gehören die alte Weisheit, dass die Wahrheit immer das erste Opfer in einem Krieg ist, denn natürlich wird unter anderem zum Erreichen des Kriegszwecks vertuscht und gelogen. Das steht in einem gewissen Widerspruch zu dem großen Aufklärungsbedürfnis, das in unserer Mediengesellschaft herrscht. Unauflöslich?
Münkler: Na, vermutlich. Ich meine, der Satz, die Wahrheit sei das erste Opfer im Krieg, der ist ja darum wahr, weil beide Seiten den Gebrauch der Wahrheit beziehungsweise der Unwahrheit zu einem Element ihrer Strategie, also "Information Warfare" machen. Also Wahrheit ist hier gewissermaßen nicht etwas, was neutral und drübersteht, sondern das Spiel mit Wahrheiten ist selber ein Element der Kampfführung. Das heißt, es handelt sich hierbei um subtile Formen der Auseinandersetzung, und wir sollen uns nichts vormachen, dass wir jetzt gewissermaßen diese Diskussionen über den Oberst Klein und die zwei 500-Pfund-Bomben und den Kundusfluss und die Taliban-Führer und was auch immer sozusagen unter uns führen. Nein, nein, ich meine, die Gegenseite beobachtet diese Diskussionen, und vielleicht spielt sie auch das eine oder andere Wissen oder Nichtwissen mit ein. Das also ist die eigentliche Naivität, dass wir glauben sozusagen, wir hätten keinen strategischen Gegenakteur, sondern es nur mit uns zu tun.
Müller-Ullrich: Was kann man gegen diese Naivität tun?
Münkler: Ja, im Prinzip eigentlich nur drüber reden und ein bisschen darauf setzen, dass wir halt lernen, dass die Zeiten, in denen wir gewissermaßen im Windschatten der Blockkonfrontation zwar, wenn es schlimm geworden wäre, das erste Opfer geworden wären, aber weil es nicht schlimm geworden ist, auch nicht gefordert werden, dass diese Zeiten vorbei sind und dass wir in anderer Weise herausgefordert sind, dass die Alternative zum Kämpfen nicht immer nur der Friede ist, sondern gelegentlich auch die Unterwerfung, und dass man auch darüber nachdenken muss, das heißt über die Frage, ob man gewissermaßen klein beigibt. Diese Alternative wird zu schlecht formuliert oder nicht formuliert. Es wird sozusagen alternativ formuliert, Krieg oder Frieden. Das ist aber analytisch nicht präzise gedacht.
Müller-Ullrich: Herfried Münkler, Sozialphilosoph an der Berliner Humboldt-Universität, danke für diese Stellungnahme!
Herfried Münkler: Also, man kann ja sagen, dass eine Nation, die zwei Kriege, die sie auch noch – jedenfalls, was den zweiten anbetrifft – ungerecht vom Zaum gebrochen hat, hinter sich hat, dass die den Krieg anders denkt als Länder und Nationen, die eigentlich sich in einer Tradition des gerechten Krieges, der Bekämpfung der Übel in der Welt sehen, und es macht sicherlich einen Unterschied. Andererseits ist aber natürlich die Theorie des gerechten Krieges etwas, was sehr weit in die Antike zurückreichte, bei Aristoteles und bei Cicero zu finden auch als eine Form nicht nur der Rechtfertigung von Krieg, sondern auch der Selbstlimitierung von Kriegsbereitschaft, also dass man sich in seinem Handeln an gerechte Gründe, aufrechte Absichten, Verhältnismäßigkeit und derlei mehr bindet. Man könnte eigentlich fast sagen, die Konzeptionen des gerechten Krieges sind eine realistischere Alternative zur Vorstellung des Verschwindens des Krieges als solche.
Müller-Ullrich: Würden Sie sagen, dass darin die große Schwierigkeit zum Beispiel des deutschen Verteidigungsministers besteht, diesem Zwiespalt zwischen Selbstlimitierung, wie Sie eben sagten, und der Perspektive der Gerechtigkeit?
Münkler: Ganz offenbar besteht diese Schwierigkeit schon von Anfang an. Also die Verteidigungsminister und alle diejenigen, die das zu begründen haben, die haben es nicht leicht gehabt, und schließlich wurde auf diese Weise der Afghanistan-Einsatz normativ überfrachtet in der Weise, dass es dann darum ging, Demokratie in diesem Lande herzustellen und das unter Bedingungen, dass man eigentlich keine hinreichenden Kräfte bereit machen konnte. Es wäre sicherlich vernünftiger gewesen zu sagen, wir wollen dort Gruppierungen bekämpfen, die uns respektive unsere Verbündeten attackiert haben, und wenn wir diese Gruppierungen niedergekämpft haben, jedenfalls so weit gebracht haben, dass sie nicht mehr angriffsfähig sind, dann verschwinden wir aus diesem Lande auch wieder und überlassen das seiner Bevölkerung. Und das kann sein, dass dort Gepflogenheiten und Normen herrschen, die mit unseren Vorstellungen nicht übereinstimmen. Weil er sich das aber bei keinem Politiker sich das zugetraut hat, so zu argumentieren, wurde gewissermaßen dieser Einsatz normativ überlastet und steht deswegen an diesen Vorstellungen gemessen jetzt, na ja, nicht vor dem Scheitern, sondern ist eigentlich schon gescheitert.
Müller-Ullrich: Es fällt uns ja offensichtlich schwer, den Krieg zu denken, also einfach nüchtern, kalt, strategisch, taktisch, militärisch eben über den Krieg zu sprechen. Dazu würde dann auch gehören die alte Weisheit, dass die Wahrheit immer das erste Opfer in einem Krieg ist, denn natürlich wird unter anderem zum Erreichen des Kriegszwecks vertuscht und gelogen. Das steht in einem gewissen Widerspruch zu dem großen Aufklärungsbedürfnis, das in unserer Mediengesellschaft herrscht. Unauflöslich?
Münkler: Na, vermutlich. Ich meine, der Satz, die Wahrheit sei das erste Opfer im Krieg, der ist ja darum wahr, weil beide Seiten den Gebrauch der Wahrheit beziehungsweise der Unwahrheit zu einem Element ihrer Strategie, also "Information Warfare" machen. Also Wahrheit ist hier gewissermaßen nicht etwas, was neutral und drübersteht, sondern das Spiel mit Wahrheiten ist selber ein Element der Kampfführung. Das heißt, es handelt sich hierbei um subtile Formen der Auseinandersetzung, und wir sollen uns nichts vormachen, dass wir jetzt gewissermaßen diese Diskussionen über den Oberst Klein und die zwei 500-Pfund-Bomben und den Kundusfluss und die Taliban-Führer und was auch immer sozusagen unter uns führen. Nein, nein, ich meine, die Gegenseite beobachtet diese Diskussionen, und vielleicht spielt sie auch das eine oder andere Wissen oder Nichtwissen mit ein. Das also ist die eigentliche Naivität, dass wir glauben sozusagen, wir hätten keinen strategischen Gegenakteur, sondern es nur mit uns zu tun.
Müller-Ullrich: Was kann man gegen diese Naivität tun?
Münkler: Ja, im Prinzip eigentlich nur drüber reden und ein bisschen darauf setzen, dass wir halt lernen, dass die Zeiten, in denen wir gewissermaßen im Windschatten der Blockkonfrontation zwar, wenn es schlimm geworden wäre, das erste Opfer geworden wären, aber weil es nicht schlimm geworden ist, auch nicht gefordert werden, dass diese Zeiten vorbei sind und dass wir in anderer Weise herausgefordert sind, dass die Alternative zum Kämpfen nicht immer nur der Friede ist, sondern gelegentlich auch die Unterwerfung, und dass man auch darüber nachdenken muss, das heißt über die Frage, ob man gewissermaßen klein beigibt. Diese Alternative wird zu schlecht formuliert oder nicht formuliert. Es wird sozusagen alternativ formuliert, Krieg oder Frieden. Das ist aber analytisch nicht präzise gedacht.
Müller-Ullrich: Herfried Münkler, Sozialphilosoph an der Berliner Humboldt-Universität, danke für diese Stellungnahme!