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Lügen

Die beste Freundin - das war für lange Zeit eher etwas für den Eintrag ins Poesiealbum oder den Schlagabtausch in Frauenzeitschriften. Dann aber debütierte Ske Naters im vergangenen Jahr mit ihrem Roman "Königinnen" und setzte der Beziehung zum wichtigsten Menschen im Leben einer Frau mit liebevoller Selbstironie ein literarisches Denkmal. Das trug unverblümt auch Spuren jener Enttäuschung, die die Busenfreundschaft auch im richtigen Leben schon einmal verdauen muß. Auch im neuen Roman stehen zwei Frauen, sprich: zwei beste Freundinnen im Mittelpunkt. Die aber haben nun endgültig den Blues. Dazu Naters:

Claudia Kramatscheck |
    "Die Freundschaft ist beständiger als die Liebe und ich finde sie auch interessanter, weil sie losgelöst ist von diesen ganzen Abhängigkeiten, die es natürlich in Freundschaften auch gibt, aber die ich interessanter finde darzustellen als Liebesgeschichten, die doch immer alle dann mehr oder weniger den gleichen Verlauf nehmen. Und Freundschaft wird immer so dargestellt, wie sie gar nicht ist, eben auch ein knallharter Konkurrenzkampf oft, gleichzeitig aber auch ein sehr inniges Verhältnis, eben durchmischt."

    In "Lügen" zelebriert Naters denn auch diese fast unerklärliche Paradoxie von Anziehung und Abstoßung in akribischer Weise: Wie in Echtzeit lauschen wir den Schimpftiraden und Gedankenmanövern von Augusta, einer der beiden Protagonistinnen und die alleinige Erzählstimme, wenn sie wieder einmal von Be, ihrer besten Freundin belogen und betrogen worden ist. Denn Be ist ein Miststück, so erfahren wir, eine, die nur an sich denkt und das Leben ohne Rücksicht auf Verluste genießt - "die Sorglosigkeit in Person" - und das auf Kosten anderer, so findet Augusta, nicht ohne zu betonen, daß man mystifiziert Be dennoch alles Anvertrauen kann, da Be all das, was nicht sie selbst betrifft, sowieso bald wieder vergißt.

    Sei noch zu erwähnen, daß Be natürlich nichts als Männer im Kopf hat, während Augusta auf die große Liebe wartet und die Welt nicht mehr versteht, als Be sich plötzlich in eine Frau verliebt und ihren eigenen Mann dafür verläßt. Doch das scheint eher nebensächlich. So richtig viel passiert denn eigentlich auch nicht, das aber dafür tagtäglich. Und genau diese Tagtäglichkeit lichtet Naters dafür auch wie in Großaufnahme ab, um somit gerade den vermeintlich kläglichen Bodensatz der Alltäglichkeit als die wahre Herausforderung des Seins zu ehren - und sei es nur der allzubekannte Versuch, den Tag für sich zu erobern, indem man das Richtige zum Frühstücken oder zum Anziehen hat. Naters:

    "Die Alltagsphänomene, das ist ein Thema das aus meiner künstlerischen oder fotografischen Arbeit herauskommt. Das Schreiben ist aus dem Fotografieren entstanden bzw. aus der Verhinderung des Fotografieren-Könnens, als ich anfing, (...) Ideen aufzuschreiben, Ideen für Fotos, aus denen Geschichten wurden, aus denen Alltagsbeobachtungen wurden und aus denen dann letztendlich "Königinnen" wurde und ich dann festgestellt habe, daß das mir geeignete Medium der Darstellung eigentlich die Sprache ist und nicht die Fotografie."

    Wahrlich hinreißend sind beispielsweise Augustas fast sophistisch aumutende Gedankenmäander, mit deren Hilfe sie den immer schon nächsten Schritt ihrer Handlungen abzusichern sucht - um mit größerer Sicherheit das Leben an sich wieder einmal zu verpassen. Überhaupt scheint diese Differenz zwischen dem, was an sichtbarer Handlung geschieht, und dem, was daran zu erkennen ist, das ästhetische Credo dieser Literatur, die damit an eine Schriftvariante von Photorealismus erinnert. Nicht umsonst wohl benennt Naters moderne Fotografen wie Andreas Gursky als ihre eigentlichen Vorbilder.

    So gibt sich die Lakonie ihres Tonfalls, mit dem Naters wie schon in "Königinnen' auch in "Lügen" erneut besticht, nur vermeintlich spielerisch und legt in seiner bestrickenden Votdergründigkeit eine falsche Fährte:

    "Das ist ja leider das, was allgemein noch nicht richtig verstanden wird. (...) In meinem Buch geht es eben nicht um Inhalt, es geht nicht um diese Geschichte, die passiert, es geht nicht um die Dinge, diese Dinge, die dann auftauchen wie ( ) Markennamen oder ein bestimmtes Konsumverhalten. Das ist ja wirklich ( ) nur nebensächlich und zeigt ( ) ein bestimmtes ebensgefühl. Worauf man in meinen Büchem achten sollte, ist: Wie wird etwas erzählt, was wird durch diese Sprache für eine Haltung übertragen, wie wird mit diesen Erzählperspektiven gespielt. Die Schilderung der einen, also dieser Be, ist ja eine Projektion der Fxzählerin, und deshalb ist sie keine reale Figur, sie könnte auch ganz anders sein."

    Denn daß Be ein egozentrisches Lügenleben fährt, dieses Bild setzt sich dem Leser tatsächlich allein aus den subjektiven, oder muß man sagen verzerrenden Schilderungen Augustas zusammen, die die alleinige Faktenvertrerin in "Lügen" ist. Und je länger man ihrer anfänglich vertrauensvollen Stinune ausgesetzt ist, umso mehr ahnt man, daß vielmehr Augusta selbst sich in ihrer Schilderung von Be widerspiegelt: Wo Be sich rückhaltlos in das Leben stürzt, aus Angst es zu verpassen, plagt Augusta die Angst vor dem Leben selbst. Elke Naters:

    Augusta möchte nichts falsch machen in ihrem Leben und (... ) dadurch passiert auch nichts, Das ist ihr Problem. Sie hat schon einen Anspruch. Aber was auch ein Thema dieses Buches ist, daß man sich grundsätzlich lächerlich macht, mit dem Anspruch, den man ans Leben hat. Das ist ja auch so ein Schlagwort gerade, die neue Naivität( ... ). In unserem Leben dreht es sich um 95 % um Banalitäten, und über die kann man auch schreiben. Ich meine, das macht das Leben aus, und diese Naivität ist, das wirklich so zu benennen, wie es ist, nämlich daß man sich wirklich meistens lächerlich macht, in dem, was man vom Leben will.

    Selten ist die liebenswerte Lächerlichkeit der versagenden Wünsche so schön belauscht worden wie von Elke Naters. Daß ihr der Stoff eimmal ausgeben wird, ist wohl nicht zu befürchten. Noch hat sie schließlich auch ihre beste Freundin.