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Lügendetektor

Ein "Speckjäger", wie er von seinen Mitstreitern genannt wird, reist. Um uns davon zu erzählen. Ein selbsternannter Ethnologe dringt ein, "in das Gebiet eines unbekannten Stammes." Gefahrenvoll. Denn dieses geheimnisvolle Ödland ist Deutschland, 1944/45. Ist: Chaos... Die Front ist meist nicht wirklich bekannt. In den ersten eingenommenen deutschen Städten fallen noch Bomben, und vereinzelteWehrmachtverbände ergehen sich in sinnlosen Rückeroberungsversuchen. Zudem sind die Städte vermint. Die SS will dem Feind nur Ruinen hinterlassen und ein entvölkertes Land. Und inmitten dieses Chaos versucht Saul. K. Padover- zu reden. Um den Krieg vielleicht entscheidende Sekunden zu verkürzen. 1905 in Wien geboren, gilt er als Experte für das Deutsche. 1920 wanderte die Familie in die USA aus. 1938 war er persönlicher Referent des amerikanischen Innenministers - und 1944, mit 39 Jahren geht er als Nachrichtenoffizier der Abteilung für Psychologische Kriegsführung an die Front.

Hubert Winkels |
    Ursprünglich bestand seine Tätigkeit darin, mit Flugblättern, Lautsprechern und sonstigen Hilfsmitteln die Moral des Feindes zu untergraben und ihn zur Aufgabe zu bewegen. Und mit diesem Rüstzeug bewaffnet schreibt er auch sein Buch. Ein Kriegsverzeichnis. Als Jude, in Feindesland, beauftragt als Kriegsberichter an Präsident Eisenhower. Also keine Trümmerfrauenromantik. Keine wissenschaftliche Analyse. Stattdessen subjektiv, polemisch, vielleicht: ungerecht. Andererseits läßt sich schwerlich verlangen, daß ein Mann in seiner Position "objektiv" in Buchenwald einmarschiert. "Die Deutschen", schreibt er ohne Schonung, "waren derart autoritätshörig und dokumentengläubig, daß sie sich erst beruhigten, wenn wir ihre Ausweise angeschaut hatten. Sie hielten uns ihre Papiere unter die Nase um zu beweisen, daß alles in Ordnung war. Diese leidenschaftlichen Sammler von Papieren, zumal von amtlich beglaubigten, boten einen amüsanten Anblick, bis einem klarwurde, daß dies das Verhalten von Sklaven war, die Bürokraten anbeteten. Erst sehr viel später, als ich in Buchenwald in einer Ecke die Leichenberge und in einer anderen die sorgfältig aufbewahrten Papiere der Ermordeten sah, wurde mir eine Eigentümlichkeit der Deutschen bewußr: es machte ihnen nichts aus, Menschen zu verbrennen, aber Dokumente wurden niemals verbrannt." Damit ist die Marschroute abgesteckt. Seine damaligen Schlußfolgerungen werden heutige Leser entweder unverändert hellsichtig oder entsetzlich verkürzt finden. Deshalb: sie riechen noch nach Krieg, sie sind an der Front geschrieben, umgeben von Wehrmachtsbomben und deutschen Denunzianten.

    Padover dringt mit den ersten amerikanischen Soldaten mitten hinein in eine verstörte deutsche Bevölkerung. Und führt Gespräche, die noch nicht taktisch gekontert werden. Die Deutschen sind wie paralysiert. Und hierin liegt wohl auch der Grund, warum dieses Buch - 1946 in New York und London erschienen, seit Kriegsende niemals in Deutschland veröffentlicht wurde. Es ist kein Heldenbuch. Es zeigt keine demokratische Aufbruchsgeneration. Es zeigt einen unsympathischen Haufen wirrer Monarchisten, scheinbar unpolitischer Rassisten und gefühlloser Jammerlappen. Denn profitiert vom Regime hatten fast alle Interviewten. "Was nützt einem Freiheit, wenn man tot ist. Jeder revolutionäre Widerstand ist in Deutschland völlig undenkbar." So prasselt es in den folgenden Wochen und Monaten auf den verdutzten amerikanischen Chronisten ein. "Der Deutsche ist gehorsam. Er handelt nur unter Druck." Täglich diese Sprüche. Und: kein Mitgefühl für die Opfer der Deutschen. Keine Empörung über schreckliche Verbrechen. Stattdessen juristische Erörterungen - und Heilige Gebote. "Ein Befehl ist unantastbar. In der Seele des deutschen Soldaten ist der Gehorsam tief verwurzelt."

    Übertroffen wird diese Sache nur noch von einer weiteren Nationaltugend: dem Jammern und Klagen. "Wir sind alle unschuldig", heißt es von einem Herrn König, "man darf das deutsche Volk nicht bestrafen". Deshalb fragt Padover bald nicht mehr: "Waren sie in der NSDAP?", sondern: "Und wann MUSSTEN Sie in die NSDAP eintreten?" Alleine diese Frage endete mit einer Flut von solidarischen Verständniserklärungen. Wie sie uns belogen und betrogen haben, diese Nazis, vor allem der Hitler, er hat uns den Endsieg und Urlaub versprochen. Und wir sind hereingefallen. Man muß ihm freilich zugute halten, daß er die kommunistische Gefahr beseitigt hat. Er hat für Ruhe und Ordnung gesorgt. Und - für Ordentlichkeit. Von Greueltaten und vom Ruf der SS hatten alle Deutschen gehört, mit denen Padover sprach. "Ihr Oskar sei jedoch anders", war die klassische Antwort einer jungen Frau. Oskar sei immer ein anständiger Mensch gewesen, ein guter Ehemann und Vater. Und daß er sich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet habe, wird von ihr damit erklärt, daß er bestimmte Charktereigenschaften habe, die einfach stärker gewesen seien. Ihn treffe keine Schuld. er sei halt immer ein begeisterter Jäger gewesen. "Bei den Stollwerks liegt das im Blut".

    Den bösen Blutkrieg wiederum haben abwechselnd die Italiener, meist die Engländer, gerne auch die Polen oder Russen verursacht. "England hat mit dem Krieg angefangen. Die Engländer wollten Deutschland seinen rechtmäßigen Platz in Europa streitig machen. Sie selbst haben ein großes Kolonialreich, aber wenn Deutschland versucht Lebensraum zu erwerben, legen sie uns immer wieder Hindernisse in den Weg." Immer wieder hört Padover diesbezüglich eines: "Man darf Deutschland keine Schuld geben. Man muß es philosophisch sehen. Es ist Deutschlands Schicksal, daß es gemäß seiner historischen Bestimmung immer wieder in den Krieg zieht und seine besten Söhne opfert. Man darf auch nicht vergessen, daß der Krieg eine Epidemie ist.. Dieses Kreuz der Menschheit wird von übernatürlichen Kräften regiert."

    §Auf die Dauer sind diese Deutschen nicht zu ertragen - und das erklärt wohl auch die bisherige Schweigetat an dem Buch. Man kann sie nicht mögen. Vor allem dieses Jammern, wie schrecklich es ihnen geht und wie übel die Welt ihnen doch mitspielt. Selbst die wenigen Widerstandsmythen bröckeln rettungslos zusammen. So waren beispielsweise die Edelweißpiraten für Padover, vorne an der Front, nur ein prügelnder Haufen. "Sie folgen dem Führerprinzip und orientieren sich nicht an aufgeklärten politischen Parteien oder Grundsätzen. Die Edelweißpiraten sind nur insofern interessant, als sie der Feind unseres Feindes sind. Unsere Freunde sind sie nicht. " Wie auch der erste Oberbürgermeister Aachens nach dem Krieg, Oppenhoff, als zutiefst unsympathischer Mensch geschildert wird, der absolut nicht demokratisch gesinnt sei, sondern "die Errichtung eines autoritären Ständestaates anstrebt." Oppenhoff sei ein erklärter Gegner von Wahlen. Parteien und Gewerkschaften.

    Überraschend wiederum dann Einblicke in eine Umbruchszeit, die sonst nicht so deutlich beschrieben werden: Höhlenbewohner. Die Amerikaner ziehen nämlich in beinahe menschenleere, zerbomte Städte. Und Stille. Überall hausen tausende versteckte Zivilisten, die sich dem Räumungsbefehl widersetzt haben und über Wochen verkrochen in Kellern lebten. "In Gesellschaft von Mäusen". In gespenstischer Stille. Ausgerechnet hier aber findet Padover dann einige Deutsche, die ihm Respekt abgewinnen. Wie Josef Mohren, "der Totengräber". Jemand, der ohne Entlohnung durch die Minenfelder robbt und die Leichen herausholt. Glaubt man dem Bericht von Padover, dann waren solche Charakter, solche Individuen aber Einzelbeispiele. Glaubt man Hans-Magnus Enzenberger im Nachwort, dann "dürfte es kein Zufall sein, daß diese wichtige Quelle nie ins Deutsche übersetzt worden ist."