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"Piloten haben heutzutage oft verkümmerte Fähigkeiten"

Die Piloten müssten heute sehr wenig manuell fliegen, sagte der Luftfahrt-Journalist Andreas Spaeth im Deutschlandfunk. Deswegen seien ihre Fähigkeiten, was das handwerkliche Fliegen angehe, oft verkümmert. Das führe dazu, dass sie bei Problemen "oft gar nicht oder auch falsch reagieren".

Andreas Spaeth im Gespräch mit Dirk Müller | 26.03.2015
    Außenansicht eines Cockpits einer Lufthansa-Maschine in Frankfurt am Main.
    Piloten "lernen eigentlich fast nie wirklich basismäßige Flugkenntnisse", so Spaeth. (imago/Westend61)
    Dirk Müller: Mitgehört hat der Luftfahrtexperte und Journalist Andreas Spaeth, der sich auch ganz speziell mit Airbus-Maschinen auskennt. Guten Morgen.
    Andreas Spaeth: Guten Morgen!
    Müller: Herr Spaeth, wir haben das gerade von Herrn Wittke gehört: Die Ausbildung der Piloten ist perfekt. Ist sie perfekt?
    Spaeth: Perfekt ist auf der Welt wahrscheinlich ziemlich wenig. Und im Bereich der Ausbildung der Piloten kann man dazu sagen: Es gibt ein Problem seit längerer Zeit. Das sehen sogar die Piloten selbst so. Auch die Vereinigung Cockpit hat darauf bereits in den letzten Tagen hingewiesen. Piloten haben heutzutage oft verkümmerte Fähigkeiten, was das handwerkliche Fliegen betrifft, und das ist auch kein Wunder, weil sie normalerweise gerade von Flugzeugen wie dem Airbus und dessen Cockpit-Philosophie sozusagen geleitet werden. Das heißt, sie müssen eigentlich sehr wenig händisch, manuell fliegen. Sie lernen eigentlich fast nie wirklich basismäßige Flugkenntnisse, etwa ein Flugzeug im Sturzflug abzufangen. Wie das funktioniert, ist eigentlich das ureigene kleine Einmaleins des Fliegens.
    Das lernen heutige Piloten eigentlich überhaupt nicht mehr, weil sie es auch nicht brauchen üblicherweise. Das aber führt dazu, dass nach Hunderten von Routineflugstunden, wenn dann plötzlich ein Problem auftritt, die Piloten oft gar nicht oder auch falsch reagieren. Dafür gibt es verschiedene Beispiele. Das reicht von Air France 447, dem Absturz eines Airbus A330 über dem Südatlantik 2009, bis hin zum berühmten Landeunfall einer Boeing 777 der Asiana Airlines in San Francisco vor anderthalb Jahren, wo auch Piloten ein eigentlich völlig intaktes Flugzeug im Sonnenschein in den Boden geflogen haben, weil sie einfach elementare fliegerische Fähigkeiten nicht hatten offensichtlich. Das ist ein Problem, dass Piloten einfach heutzutage diese ganz klassischen handwerklichen Dinge gar nicht mehr lernen.
    Müller: Das ist so wie: Ein Radfahrer muss auch zur Not mal laufen können.
    Spaeth: In der Art, ganz genau.
    "Im Grunde brauchen die Piloten im Alltag diese Fähigkeit gar nicht"
    Müller: Wenn das erkannt ist, und es gibt ja auch offenbar diese Allianz-Studie der Allianz-Versicherung, die das genau so thematisiert hat als großes Defizit in der Ausbildung, seit Jahren offenbar in der Diskussion - das haben Sie gerade auch gesagt -, warum ist das nicht geändert worden?
    Spaeth: Weil einfach heutige moderne Flugzeuge so zuverlässig sind, dass normalerweise es eigentlich fast reicht, wenn der Pilot in der Lage ist, die Maschine zu überwachen, zu überprüfen und aufzupassen, dass alles so läuft, wie es laufen soll, im Notfall vielleicht graduell eingreift. Der Zwang, überhaupt solche elementaren Flugmanöver auszuführen, den gibt es oft eine ganze Pilotenkarriere lang überhaupt nicht in einem modernen Flugzeug. Das heißt, im Grunde brauchen die Piloten auch im Alltag diese Fähigkeit gar nicht. Nur wenn sie dann plötzlich gefragt ist, dann gibt es ein großes Problem. Wir haben gerade gesehen, es gibt diesen berühmten, erst diese Woche ja bekannt gewordenen Fall eines Lufthansa-Airbus A321 von Bilbao nach Deutschland im November letzten Jahres, und da hat nur der sehr erfahrene Pilot, der offenbar auch mehr „konnte", als das vielleicht jüngere Kollegen heute überhaupt lernen, der war in der Lage zu erkennen, was hier das Problem war und durch eher unkonventionelle Mittel doch wieder die Herrschaft über das Flugzeug zu erlangen. Und wenn Sie sich erinnern an den berühmten Fall im Hudson River, die Notlandung auf dem Wasser, Chesley B. Sullenberger, der berühmte US-Kapitän, der war Segelflieger, der war ein alter Kämpfer unter den Piloten. Der war in der Lage, mit diesen ganz basismäßigen Problemen umzugehen. Aber das ist heutzutage leider die Ausnahme.
    "Das kann man im Simulator gar nicht üben"
    Müller: Herr Spaeth der Airbus A320 - Sie haben viel über Airbus recherchiert und auch geschrieben -, die Unglücksmaschine ist ja sehr stark frequentiert und benutzt weltweit, hat eine sehr, sehr gute Bilanz. Aber ist das eine Maschine, die besonders entmündigt?
    Spaeth: Nein. Es ist einfach eine neue Generation von Flugzeugen, die in den späten 80er-Jahren auf den Markt kam. Damals war das für die Piloten eine riesige Umstellung, weil sie von ihren Steuersäulen gewohnt waren, einen Steuerknüppel in der Hand zu halten, und der Steuerknüppel war mit Hydraulik und Seilen physisch verbunden zum Beispiel mit den Rudern, mit den Klappen, die physisch betätigt wurden im Cockpit durch Kraft in den Händen, in den Armen, in den Beinen teilweise, und insofern war es so, dass die Piloten in diesem Falle jetzt sich umgewöhnen mussten und ganz plötzlich auf diese Elektronik umsteigen mussten. Das gab in den ersten Jahren auch ziemliche Probleme. Es gab auch Unfälle, 1990 zuletzt von Piloten, die einfach nicht in der Lage waren, dieses neue System richtig zu bedienen und zu verstehen. Das ist natürlich mittlerweile ausgereift, nach über 25 Jahren ist das Standard geworden, aber das heißt auch, dass jüngere Piloten diese ganz basismäßigen Dinge zumindest als Teil ihrer Ausbildung so nicht lernen. Es gibt auch bei Lufthansa-Piloten, die privat so etwas anbieten, ein sogenanntes Recovery-Training, heißt das zum Beispiel, wo Piloten wirklich üben, in einem kunstflugtauglichen Flugzeug ein Flugzeug abzufangen, was ins Trudeln gerät. Das kann man im Simulator gar nicht üben.
    "Es gibt solche Fälle, dass Piloten aus Versehen sich aussperren"
    Müller: Jetzt müssen wir über die Meldung von heute Morgen reden, die im Moment alles überdeckt: Der Pilot war vor dem Absturz laut Medienberichten aus dem Cockpit ausgesperrt. Wie kann das sein?
    Spaeth: Das ist im Prinzip ein Fall, der sogar erstaunlich häufig vorkommt. Es gibt einen ganz vergleichbaren Unfall im November 2013. Eine Embraer 190 der mosambikanischen Airline LAM über Namibia hat fast exakt dieselbe Kategorie, wo ein Pilot alleine im Cockpit saß, der andere war ausgesperrt, weil er offenbar auf Toilette war und dann nicht mehr hinein gelassen wurde von seinem fliegenden Kollegen, und man geht davon aus, dass der Pilot damals Selbstmord begangen hat, weil er eine ganz ähnliche Sinkrate wie jetzt eingestellt hatte im Cockpit, weil er ganz bewusst auch Luftbremsen ausgefahren hat, quasi einen Landeanflug aktiv eingeleitet hat, der aber gar nicht vorgesehen war und der auch gar nicht sinnvoll war, weil keinerlei Flughafen in der Nähe war. Es gibt solche Fälle, es gibt teilweise auch die Fälle, dass Piloten aus Versehen sich aussperren und dann aus verschiedenen technischen Gründen nicht zurückkommen ins Cockpit. Es war erst vor wenigen Wochen ein Fall bei Delta Airlines in den USA, wo dann auch der Copilot in der Kabine mit landen musste. Das ist normalerweise kein wirkliches Problem, weil ein einziger Pilot, egal ob der Copilot oder der fliegende Hauptpilot, kann problemlos die Maschine bedienen, kann sie auch landen. Es wird nur dann problematisch, wenn jemand im Cockpit ist, der vielleicht andere Dinge im Schilde führt als eine normale Landung.
    Müller: Wir haben nicht mehr viel Zeit. Dennoch, um am Ende das noch festzuhalten: Das heißt, wenn wir einen Piloten haben und der zweite ist weg, irgendwo auf Toilette oder wo auch immer, ist das zunächst mal nicht relevant?
    Spaeth: Nein. Wenn der Pilot vorne ganz normal arbeitsfähig ist und auch normale Dinge im Schilde führt, ist das überhaupt kein Problem.
    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der Luftfahrt-Journalist Andreas Spaeth. Danke für diese Informationen, für das Gespräch.
    Spaeth: Bitte sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.